Negationen haben
bis heute etwas Rätselhaftes an sich. Durch eine Negation wird Etwas in Nichts
verwandelt: aus »p« wird »~p«. Aber was
bedeutet dieses »nicht-p«? Offenbar
soll damit auf etwas anderes verwiesen werden als auf »p«. Aber was
genau? Unter »~p« kann man sich nichts
vorstellen. Negative Formulierungen lassen sich generell nicht visualisieren. Bei
Negationen versagt die Vorstellungskraft. Im Versuch es trotzdem zu tun, wird
man zudem mit einer Paradoxie konfrontiert. Gerade wenn man versucht »p« zu negieren,
wird man von »p« verfolgt, denn auch mit der Formulierung, die durch eine
Negation erzeugt wird, muss man sich auf »p« beziehen. So stellt sich die Frage,
was dem Negierten durch die Negation hinzugefügt wird? Schon Ludwig
Wittgenstein notierte dazu:
»Daß aber die Zeichen ›p‹ und ›~p‹ das gleiche sagen können, ist wichtig. Denn es zeigt, dass dem Zeichen ›~‹ in der Wirklichkeit nichts entspricht.« (2003 [1918], S. 36; Hervorhebung im Original)
In meinem Text
»Die Regeln der Form« (Walkow 2016) habe ich mich ausführlich mit dem Umgang mit Negationen
und Negativität auseinandergesetzt. Es war zugleich eine Auseinandersetzung mit
den Schriften zweier Autoren, die sich ebenfalls mit diesem Thema beschäftigt
haben. Das waren zum einen George Spencer-Brown und zum anderen Gotthard Günther. Beide haben ebenfalls nach Lösungen für den Umgang mit Nichts gesucht.
Spencer-Brown stellte in seinem Buch »Gesetze der Form« (1999 [1969]) einen
Formkalkül vor, mit dem es möglich ist, jeden Ausdruck darauf hin zu
untersuchen, welche Informationen mitgeteilt werden. Gotthard Günther
entwickelte die Idee einer Negativsprache (vgl. 2000 [1979]). Sie blieb
allerdings nur eine Idee. Günther ist es nicht gelungen eine Sprache zu
entwickeln, mit der es möglich ist die Rolle der zweiten Negation, die G. W. F.
Hegel als Akkretion bezeichnete, bei der Evolution von Sprache und Sinn zu beschreiben.
Schon in »Die Regeln der Form« habe ich mich gegen die Negativsprache ausgesprochen. Der Text
hatte zum Ziel eine eigene Theorie über Negativität zu entwerfen. Es war kein
expliziter Vergleich des Formkalküls mit der Negativsprache. Das möchte ich an dieser Stelle in
aller Kürze nachholen. Ich werde mich nur auf den aus meiner Sicht wesentlichen Gesichtspunkt konzentrieren: die Unterscheidung von einfacher Negation und akkretiver Negation. Im Zuge dessen wird auch noch einmal der Leitgedanke von
»Die Regeln der Form« deutlich.