Sonntag, 20. Dezember 2015

Der Islamische Staat - Organisation oder Bewegung?


Auf dem sozialwissenschaftlichen Portal Soziopolis und dem Sozialtheoristen-Blog fand vor einiger Zeit eine Diskussion über einen kurzen Text des Bielefelder Soziologen Stefan Kühl statt, in dem er die These aufstellt, dass der Islamische Staat durch »Verorganisierung« leichter bekämpfbar wird. Da ich im August diesen Jahres auf meinem Blog selbst einen Artikel über die Gemeinsamkeiten zwischen den Phänomenen Amok und Terror veröffentlicht habe, im Zuge dessen auch der Islamische Staat gestreift wurde, habe ich die Diskussion selbstverständlich verfolgt. Außerdem versuchte Kühl die Systemtheorie Niklas Luhmanns in Anschlag zu bringen, um den Islamischen Staat zu beobachten. Das versprach zunächst eine interessante Diskussion. Das Ergebnis fiel leider ziemlich ernüchternd aus. Daher möchte ich im Folgenden einige Anmerkungen machen, die zum einen den Zusammenhang von Organisation und sozialer Adresse und zum anderen das Phänomen Islamischer Staat betreffen. Bevor ich dazu komme, stelle ich Kühls These kurz vor. 

Sonntag, 6. Dezember 2015

Falsche Fragen und richtige Antworten


...kommen wir jetzt zu etwas völlig anderem - oder auch nicht:


„Du Papa, kann man auf falsche Fragen richtige Antworten geben?“

„Sohn, eigentlich gibt es auf falsche Fragen auch nur falsche Antworten. Aber wenn schon falsch, dann sollte man sie richtig falsch beantworten.“

„Woher weiß ich denn, dass ich richtig falsch geantwortet habe?“ 

Donnerstag, 12. November 2015

Ist die Flüchtlingskrise ein Ausnahmezustand?


Der aktuelle Ansturm von Flüchtlingen auf Deutschland ist ohne Zweifel historisch beispiellos. Vergleiche mit früheren Völkerwanderungen tragen schon deswegen nicht, weil es damals noch keine modernen Nationalstaaten mit festen Staatsgebieten und den dazugehörigen Grenzen gab. Die aktuelle Situation stellt für alle Betroffenen einen Notstand dar. Häufig wurde auch von einem Ausnahmezustand gesprochen. Mit dem Begriff des Ausnahmezustands ist bis heue ein Name untrennbar verbunden: Carl Schmitt. Schmitt war ein Verfassungsrechtler, der in der Zeit von 1933 bis 1945 eine zweifelhafte Karriere im nationalsozialistischen Deutschland gemacht hat. Trotzdem besitzen viele seiner Überlegungen zu Politik und Staat auch heute noch eine gewisse Relevanz. Selbst einige linke Theoretiker greifen Schmitts Überlegungen auf. Sofern von einem Ausnahmezustand die Rede ist, kann man inzwischen darauf warten, dass sein Name fällt [1]. Ich nutze daher die Gelegenheit und prüfe im Folgenden, ob es sich bei der Flüchtlingskrise um einen Ausnahmezustand im Schmitt’schen Sinne handelt.


Donnerstag, 5. November 2015

Sind Nazi-Vergleiche ein Tabu in Deutschland?


Anlässlich einer Rede vom Organisator der Pegida-Demonstrationen Lutz Bachmann am 2. November 2015, in der er Justizminister Heiko Maas mit Joseph Goebbels verglich, gab der Münchener Soziologe Armin Nassehi dem Radiosender NDR Kultur am Tag darauf ein Interview zu diesem Vorfall. Was mich bei diesem Interview ins Stutzen gebracht hat, war die Prämisse, unter der das Interview geführt wurde. Die Moderatorin leitet es mit der scheinbar selbstverständlichen Behauptung ein, dass Nazi-Vergleiche in Deutschland ein Tabu seien. Schaut man sich jedoch den Verlauf vieler öffentlicher Debatten an, dann kommen mir erhebliche Zweifel, ob Nazi-Vergleiche in Deutschland wirklich tabuisiert sind.

Samstag, 24. Oktober 2015

Die Flüchtlingskrise: Der Anfang vom Ende des deutschen Wohlfahrtsstaates?


Die Flüchtlingskrise erregt nach wie vor die Gemüter in Deutschland. Doch während man in den Massenmedien und in der Politik auf Bundesebene mehrheitlich noch glaubt »wir schaffen das«, macht sich auf der Ebene der Lokalpolitik bereits Ernüchterung breit. Denn so einfach, wie gedacht, ist die Unterbringung und Verpflegung der ankommenden Flüchtlinge doch nicht. Zu Beginn der Flüchtlingskrise glaubte man noch, man könne die Integration von hunderttausenden, vielleicht sogar Millionen Menschen mal eben aus der Portokasse bezahlen. Jetzt stellt sich heraus, dass die Kapazitäten bereits bei der Unterbringung erschöpft sind.

Es lässt sich kaum mehr verbergen. Die Situation wurde im Sommer von Frau Merkel falsch eingeschätzt als sie am 4. September 2015 die Entscheidung traf, die Flüchtlinge aus Ungarn via Österreich nach Deutschland zu holen – eine Entscheidung, der bis heute eine demokratische Legitimation fehlt und weder durch deutsches Recht noch europäische Verträge gedeckt ist. Wie Frau Merkel auf die Idee gekommen ist, dass es keine Grenzen mehr gebe, bleibt bis heute schleierhaft. Damit geriet die Situation außer Kontrolle. Soweit es Deutschland betrifft, reagierte Frau Merkel jedoch nicht auf einen Notstand, sondern hat mit ihrer Entscheidung erst einen Notstand herbeigeführt, der nun auch noch als Begründung dient sich über weitere Gesetze hinweg zu setzen. Für den Rechtsstaat könnte der Schaden, den Frau Merkel angerichtet hat, kaum größer sein. 

Nun würden viele gerne die Notbremse ziehen. Aber noch ist die Politik nicht bereit einen Aufnahmestopp zu verhängen. Besonders die Kanzlerin tut so, als hätte man es bei den Flüchtlingsströmen mit einer Art Naturgewalt zu tun, gegen die die Politik machtlos sei. Ehemals glaubte man an die sozialtechnologische Gestaltungsmacht der Politik. Von diesem Glauben ist nicht mehr viel übrig geblieben. Machtlosigkeit wird in Form der Unterlassung zum neuen Leitprinzip der deutschen Politik. Es gibt keine Alternative mehr als sich den Umständen zu fügen. Widerstand ist zwecklos. Das Problem daran ist, dass es Frau Merkel nicht einmal versucht. Sie kapituliert von vornherein vor den Umständen. Gerade das unterstreicht ihre Machtlosigkeit und ist zugleich der politische Offenbarungseid. Deutschland ist in den Augen von Frau Merkel offenbar nur noch ein Korken auf dem Ozean der Weltgesellschaft, der sich treiben lässt. Damit hätte Deutschland seine Souveränität praktisch aufgegeben – und es gibt nicht wenige Anzeichen, die dafür sprechen. 

Freitag, 24. Juli 2015

Hat sich die Soziologie in einem double bind verfangen? - Zum Dritten


Am 10.10.2014 habe ich beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie im Rahmen der Ad-Hoc-Gruppe „Krisen der Kommunikation. Wo bleibt der soziologische Diskurs?” einen Vortrag mit dem Titel „Hat sich die Soziologie in einem double bind verfangen?“ gehalten. Die Ad-Hoc-Gruppe wurde von den Machern des Soziologiemagazins veranstaltet. Die komplette Veranstaltung wurde damals auf Video mitgeschnitten. Nun wurden die Videos auf youtube veröffentlicht. Hier ist der Mitschnitt zu meinem Vortrag:

Sonntag, 31. Mai 2015

Über Sthenographie. Zum Problem von Problembegriffen


Über Sthenographie habe ich, verteilt über meine bisherigen Texte, schon einige Bemerkungen gemacht [1]. Mit »Sthenographie« ist eine problemfokussierte Betrachtungsweise gemeint. Probleme werden heute sprachlich zumeist in die Form einer Paradoxie gebracht. Sthenographie zeichnet sich dadurch aus, dass die konstruierte Paradoxie nicht entfaltet wird, sondern nur offen zur Betrachtung dargeboten wird. Paradoxien sind jedoch logische Anomalien. Sie verwirren den Geist, weil sie Widersprüchliches behaupten. Es kann ja nicht sein, dass Gegenteiliges zugleich gilt. Dies macht die Präsentation einer Paradoxien zu einer Darstellungsmethoden, die beim geneigten Publikum eine Menge Schaden anrichten kann. 

Bisher habe ich mich bei der Rede von Sthenographie in meinen Texten vorwiegend auf sozialwissenschaftliche Problembeschreibungen konzentriert, deren Zweck es ist bei den Adressaten einen politischen Handlungsdruck zu erzeugen. Häufig werden die Probleme dann in einer Art säkularisierten Theodizee-Frage formuliert. Statt »Wie kann Gott dieses ganze Leid auf der Welt zulassen?« heißt es nun »Wie kann die Gesellschaft dieses ganze Leid auf der Welt zulassen?«. Doch anstatt dann Lösungen für die kritisierten Probleme vorzustellen, belässt man es beim Offenlegen der Paradoxie. Die Gesellschaft ist schuld. So einfach ist das. Einige werden sich von solchen Argumentationsfiguren sicherlich angesprochen fühlen und denken, wenn so viele Menschen auf der Welt leiden, wie kann es mir selbst dann gut gehen? Da man im Alltagsverständnis ja selbst irgendwie Teil der Gesellschaft ist, wird man ratlos und mit einer Menge Schuldgefühlen allein gelassen. Und bevor es den anderen Menschen nicht gut geht, kann bzw. darf es einem selbst auch nicht gut gehen. 

Für die seelische Gesundheit sind solche Denkfiguren sicherlich nicht förderlich. Aber was kann man in solch einer Situation tun? Da man selbst nichts tun kann, muss die Politik ran. In ihrer Macht liegt es die Gesellschaft zu kontrollieren - so glaubt man zumindest. Und Politiker haben ja heute immer ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte ihrer Bürger. Man kann sogar unerfüllbare Forderungen an sie herantragen. Da die Politiker um jede Stimme kämpfen müssen, sind die meisten heute zu schwach auch mal klar zu sagen, was nicht in ihrer Macht liegt. Dann lässt es sich umso besser unerfüllbare Forderungen stellen. Das entlastet zum einen. Zum anderen können sich die besorgten Bürger dann wieder an dem süßlichen Gift der Paradoxie berauschen und ihren Sorgen neue Nahrung geben. Im schaurig-schönen Hochgefühl der Angstgemeinschaftlichkeit lässt es sich dann wieder umso besser neue unerfüllbare Forderungen aufstellen. 

Der Teufelskreis ist geschlossen. Mit der Lösung der unlösbaren Probleme dürfen sich dann die Politiker rumschlagen. Und wenn sie es nicht schaffen, kann man sie wunderbar der Lüge bezichtigen. Der postmoderne Erstarrungstanz um das goldene Kalb der Paradoxie hat begonnen. Bei diesem Spiel ohne Gewinner handelt es sich nur um die populärste Form der Sthenographie. In diesem Beitrag soll es um Sthenographie in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen gehen.

Sonntag, 3. Mai 2015

Naiver Konstruktivismus - oder wie Latour Bateson auf den Kopf stellt


Wie im vorletzten Beitrag angekündigt, gibt es hier einen weiteren überarbeiteten Text, den ich ursprünglich schon 2013 auf Facebook veröffentlicht habe. Er war eigentlich als Kommentar für einen Beitrag von Hubert Knoblauch auf dem SozBlog gedacht. Damals konnte ich ihn aber nicht posten. Inzwischen habe ich mitbekommen, dass ich nicht der einzige bin, der schon mal vor diesem Problem stand - was darauf hindeutet, dass es sich um technisches Problem des SozBlogs handelt.

Knoblauchs SozBlog-Beitrag hatte den Titel »Latours Popanz: Über Mißverständnisse des Sozialkonstruktivismus«. Knoblauch vertritt darin die These, dass die Diskussionen um den sogenannten »Sozialkonstruktivismus« bzw. die Kritik an diesem durch eine Reihe von Missverständnissen bezüglich dieses Sozialkonstruktivismus geprägt sind. Einer der bekanntesten Vertreter dieser Kritik am Sozialkonstruktivismus ist Bruno Latour. Knoblauch konzentriert seine Kritik an der Sozialkonstruktivismuskritik in seinem Beitrag auf Latour. Knoblauchs Vorwurf lautet, dass Latour seinen eigenen konstruktivistischen Ansatz nur um den Preis einer extrem verzerrten Darstellung der kritisierten Ansätze als sozialwissenschaftliche Innovation darstellen kann. Latour konstruiert lediglich Scheingegensätze zwischen seinem Ansatz und dem klassischen Sozialkonstruktivismus. Dieser Kritik kann ich mich aufgrund meiner eigenen Lektüre von Latours »Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft« (2010 [2005]) nur anschließen. Knoblauch versucht im weiteren Verlauf seines Beitrags der Frage nach zu gehen, wie es zu diesen gravierenden Missverständnissen bezüglich des Sozialkonstruktivismus kommen konnte. 

Mit »Sozialkonstruktivismus« ist dabei eine Theorielinie gemeint, die sich im Anschluss an Peter L. Bergers und Thomas Luckmanns »Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit« (2012 [1966]) gebildet hat. Knoblauch beklagt die geringe internationale Rezeption dieses soziologischen Klassikers und benennt selber einige Gründe, woran das liegen könnte. Diese treffen zu einem gewissen Grad sicherlich zu. Ich gebe aber zu bedenken, dass im englischsprachigen Raum noch wesentlich elaboriertere Ansätze verbreitet sind, die mehr an Kommunikationstheorie, Systemtheorie und Kybernetik anknüpfen. Aus diesem Umstand lässt sich möglicherweise besser verstehen, warum Latour den Sozialkonstruktivismus Berger/Luckmannscher Prägung unbeachtet lässt. 

Donnerstag, 16. April 2015

Mensch und Technik. Gedanken zum Absturz der Germanwings-Maschine


Ich lese aktuell von Niklas Luhmann seine Vorlesung »Einführung in die Systemtheorie« (2011 [2002]). Im Kapitel »Operative Geschlossenheit« bin ich auf eine Passage gestoßen, die man als direkten Kommentar auf den absichtlich herbeigeführten Absturz der Germanwings-Maschine am 24. März 2015 lesen kann:

Sonntag, 29. März 2015

Wie viele Soziologen sind nötig um eine Glühbirne auszuwechseln?


a) ...keinen. Die Glühbirne ist der Repräsentant eines repressiven und ausbeuterischen Systems. Es wird sich deswegen kein Soziologe finden, der dieses System durch Affirmation unterstützt - was in diesem Fall bedeuten würde die Glühbirne auszuwechseln. Die Arbeit bleibt also wie immer am einfachen Arbeiter von der Straße hängen.

Montag, 9. März 2015

Die Dummheit der Soziologen


„Wenn man etwas nicht definieren kann, hat man keine formale, rationale Kenntnis von seiner Existenz. Ebensowenig kann man dann einem anderen wirklich mitteilen, was es ist. Es besteht tatsächlich kein formaler Unterschied zwischen der Unfähigkeit zu definieren und Dummheit.“
Robert M. Pirsig

Dieses Zitat aus Pirsigs sehr empfehlenswertem Buch »Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten« (2013 [1974], S. 217f.) bringt für mich am besten zum Ausdruck, was Ludwig Wittgenstein vermutlich mit seinem berühmten Schlussparagraphen im »Tractatus logico-philosophicus« (2003 [1922]) sagen wollte. Dieser lautet:

„§ 7 Wovon man nicht reden kann, davon muss man schweigen.“

Worüber man nicht reden kann, existiert nur in der eigenen Wahrnehmung oder der eigenen Vorstellung. Das Wahrgenommene bleibt ohne Sprache inkommunikabel. Die große Errungenschaft der Sprache besteht darin, dass man nicht nur seine eigene Aufmerksamkeit auf einen Sachverhalt lenken kann, sondern auch die der Kommunikationspartner. Ohne Sprache kann man im Umkehrschluss seine Kommunikationspartner auch nicht auf einen bestimmten Sachverhalt aufmerksam machen, den man selber wahrzunehmen glaubt. Sozial existiert dieser Sachverhalt damit nicht, weil es nichts Mitteilbares gibt, woran der Kommunikationspartner anschließen könnte. Zugleich wird man nie erfahren, ob es sich bei dem Wahrgenommenen nicht vielleicht nur um eine Einbildung handelt oder ob es andere auch beobachten.

Montag, 16. Februar 2015

Die Soziologie und die Tragik der helfenden Berufe


Im letzten Jahr hatte ich einen Erklärungsansatz für die gegenwärtige Krise der Soziologie und für die geringe öffentliche Aufmerksamkeit der Soziologie vorgestellt. Die Grundthese war und ist, dass die Soziologie durch den Anspruch, die Gesellschaft analysieren und verändern zu wollen, eine widersprüchliche Selbstbeschreibung konstruiert. Bei dieser Selbstbeschreibung bleibt unklar, ob die Soziologie dem Wissenschaftssystem oder dem System sozialer Hilfe zugeordnet werden kann. Diese These wurde vor dem Hintergrund der Theorie funktionaler Differenzierung Niklas Luhmanns aufgestellt, wonach die moderne Gesellschaft in verschiedene Sub- bzw. Funktionssysteme wie Wirtschaft, Politik und eben auch Wissenschaft und helfende Systeme differenziert ist (vgl. Luhmann 1997). Jedes dieser Funktionssysteme erfordert es, dass die professionellen Leistungserbringer jeweils eine andere Leistungsrolle annehmen. Politiker sind keine Priester, Priester sind keine Wissenschaftler, Wissenschaftler sind keine Künstler, Künstler sind keine Politiker usw. Dementsprechend präzisieren sich auch die Erwartungen der potentiellen Leistungsempfänger. Wer Bauchschmerzen hat, geht nicht zum Biologen, sondern zum Arzt. Umso mehr muss mit der Zeit auch eine Selbstbeschreibung auffallen, die eine unklare oder widersprüchliche Leistungsrolle vermittelt. Man geht nicht gern zu Leuten, bei denen nicht klar ist, ob sie einen behandeln oder bekehren wollen. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass immer weniger Menschen eine unklar oder widersprüchlich definierte Leistung nachfragen. Daraus kann etwas entstehen, was ich Spirale wechselseitiger Nicht-Beachtung bezeichnet habe. Ein Angebot wird immer weniger nachgefragt bis es irgendwann komplett verschwindet, weil niemand mehr daran interessiert ist. Die Widersprüchlichkeit der soziologischen Selbstbeschreibung steigert ihre Ablehnungswahrscheinlichkeit. Weil die Ablehnungswahrscheinlichkeit durch das eigene Verhalten gesteigert wird, handelt es sich dabei um ein Risiko (vgl. Luhmann 2005 [1990]). Aus dem Anspruch, die Gesellschaft verändern zu wollen, ergibt sich für die Soziologie allerdings noch ein ganz anderes Risiko. Um dieses Risiko soll es im Folgenden gehen.

Sonntag, 1. Februar 2015

Wissen, Massenmedien und partizipierendes Bewusstsein


„Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir  durch die Massenmedien.“ 


Dieser berühmte Satz von Niklas Luhmann stammt aus seinem Buch "Die Realität der Massenmedien" (2004 [1995], S. 9) und sollte vermutlich die zentrale Rolle der Massenmedien in der modernen Gesellschaft betonen. Er suggeriert, dass die Massenmedien heute die einzige Informationsquelle sind, mit deren Hilfe man sich über die Welt informieren kann. Dieses Zitat vermittelt allerdings in zweierlei Hinsicht ein verzerrtes Bild über die Funktion der Massenmedien in der modernen Gesellschaft. Zum einen wird die Funktion der Massenmedien maßlos übertrieben. Denn man erlangt nicht sein vollständiges Wissen über die Welt aus den Massenmedien. Sicherlich werden einem über die Massenmedien Informationen aus Bereichen zugänglich gemacht, die einen über persönliche Kontakte kaum erreichen würden. Anderseits liefern die Massenmedien keine Informationen über den persönlichen Nahbereich, in dem man Beteiligungs- und Gestaltungsmöglichkeiten hat. Das gilt für das Privatleben ebenso wie für das Berufsleben. Über die Personen mit denen man täglichen Umgang hat, erfährt man – außer man hat selbst einen Beruf im Showbusiness – nichts aus den Massenmedien. Informationen über sie erhält man vorwiegend durch die Interaktion mit ihnen. Diese Überlegung führt zum zweiten Aspekt des verzerrten Bildes, das dieses Zitat suggeriert. Das Zitat ist nicht nur eine Aussage über die Funktion der Massenmedien in der modernen Gesellschaft, sondern zugleich auch eine Aussage darüber, wie Wissen heute produziert und verteilt wird. Ich möchte im Folgenden zunächst auf die wissenssoziologische Hintergrundannahme dieses Zitats eingehen. Diese Annahme korrespondiert mit einer von zwei existentiellen Grundhaltungen, mit denen Menschen ihrer Umwelt entgegentreten können. Im zweiten Schritt werden diese beiden Grundhaltungen, die als partizipierendes und nicht-partizipierendes Bewusstsein bezeichnet werden, skizziert. Bestimmte Erfahrungen zusammen mit dem Fehlen anderer Erfahrungen können die Bildung einer der beiden Grundhaltungen begünstigen. Auf der Grundlage dieser Überlegungen wird in einem dritten Schritt ein erneuter Blick auf die gesellschaftliche Funktion der Massenmedien geworfen.

Freitag, 23. Januar 2015

Leben und Macht


Die Paradoxie den menschlichen Lebens besteht darin, dass man, um die Ziele zu erreichen, die man erreichen will, Dinge tun muss, die man nicht will, und dass die Dinge, die man tun will, nicht zwingend dazu beitragen, die Ziele zu erreichen, die man erreichen will.

In diesem Paradox liegt der Grund, warum die Menschen, die nichts tun, was sie nicht wollen, und die, die nur das tun, was sie tun wollen und trotzdem nicht das erreichen, was sie erreichen wollen, von fremden Mächten sprechen, obwohl es nur ihre Einstellung ist, die ihnen im Weg steht, um das zu erreichen, was sie wollen.