Wie er meinem Lebenslauf entnehmen könne, sei ich
bereits vollständig in das akademische Leben eingegliedert, werbe immer wieder
erfolgreich Forschungsgelder ein, habe lange an verschiedenen Hochschulen
unterrichtet, publiziere regelmäßig, halte international Vorträge, arbeite an
einem Buch, organisiere aktuell eine internationale Konferenz. Nur eben immer
wieder ohne einen Cent Gehalt.
Die Sozial- und
Geisteswissenschaften in Deutschland stecken nicht erst seit gestern in der
Krise. Sie siechen schon seit vielen Jahren in der gesellschaftlichen
Irrelevanz vor sich hin. Dies betrifft Theorieentwicklung und Forschungspraxis,
die es kaum noch vermögen eine nennenswerte Außenwirkung zu erzielen. Für eine
Wissenschaft, die die Expertise für zwischenmenschliche Beziehungen für sich an
Anspruch nimmt, ist das ziemlich merkwürdig, dass sie den Menschen nicht mal mehr
erklären kann, warum man sie überhaupt noch braucht. Nicht dass sie überflüssig wäre.
Aber auch das vermeintlich Notwendige sollte begründet werden, um akzeptiert zu
werden. Nichts ist mehr gott- oder naturgegeben, nichts ist mehr selbstverständlich.
Das wird gerade von Sozial- und Geisteswissenschaftlern immer wieder betont. Leider
wird das sofort vergessen, sobald es um sie selbst geht. Viele von ihnen halten ihr Fach für eine unhinterfragte Selbstverständlichkeit. Wer jedoch nicht um Akzeptanz wirbt, darf
auch keine erwarten. Wer es unterlässt, seine Behauptungen zu begründen, weiß
es entweder nicht besser oder hat etwas zu verbergen. Manchmal fällt auch beides
zusammen. Dass es unterlassen wird, stärker für die öffentliche Aufmerksamkeit
und Akzeptanz der Sozial- und Geisteswissenschaften zu werben, liegt
möglicherweise daran, dass man verbergen muss, dass man nicht weiß, wie das geht.
Trotz dieses Legitimationsproblems
wird an den deutschen Universitäten eine relativ hohe Zahl an Sozial- und
Geisteswissenschaftlern ausgebildet. Nur ein Bruchteil wird aufgrund der wenigen
Stellen seine Karriere in Forschung und Lehre fortsetzen können. Wo der große
Rest auf dem Arbeitsmarkt unterkommen soll, interessiert niemanden. Im Lehr- und
Forschungsbetrieb wird diese Frage so gut wie nicht gestellt. Da wird höchstens mal auf die allgemein niedrige Arbeitslosenquote unter Akademikern verwiesen. Demnach braucht man sich also keine Sorgen machen. Darüber hinaus beruhigen sich nicht wenige mit der Erwartung, dass
die Sozial- und Geisteswissenschaften nur noch den Nachwuchs für den deutschen Staatsbetrieb »Universität« ausbilden sollen. Viele Studenten und akademische Mitarbeiter halten das schon für ein
ungeschriebenes Naturgesetz. Auch wenn dem nicht so ist, sind die Karriereerwartungen derzeit sehr eindimensional ausgerichtet. Im Anbetracht der wenigen Stellen im Universitätsbetrieb bietet das eigentlich genug Anlass zur Sorge.
Politisch
gewollt wird ein Überangebot an mehr oder weniger gut qualifizierten
Arbeitskräften geschaffen. Im Sinne der Erhöhung des Bildungsniveaus und
Angleichung der Partizipationschancen mag man das zunächst begrüßen. Das hat
jedoch auch seine Schattenseiten. Denn das Arbeitskräfteüberangebot erhöht den
Konkurrenzdruck auf jeden einzelnen Absolventen. Wenn darüber hinaus alle
dasselbe können, dann spielt die persönliche Leistung bei der Auswahl eines
Bewerbers keine Rolle mehr, denn alle liefern dasselbe ab. Damit trotzdem eine
Entscheidung für einen Bewerber getroffen werden kann, muss man sich stattdessen an sachfremden
Kriterien orientieren. Gerecht ist das nicht. Chancengleichheit, bis zur letzten Konsequenz durchgespielt, führt also gar
nicht zu mehr Gerechtigkeit, sondern erhöht sogar noch die Ungerechtigkeiten. Am
Beispiel der Universität als Arbeitgeber zeigt sich diese Dialektik der
Chancengleichheit derzeit sehr deutlich. Steht dem Überangebot an Arbeitskräften dann noch
nicht einmal eine entsprechende Nachfrage durch offene Arbeitsstellen
gegenüber, muss man kein Prophet sein und auch keine groß angelegten
Untersuchungen durchführen, um zu ahnen, dass sich ein Großteil der Studenten
direkt in die Arbeitslosigkeit qualifiziert. Wenn die beruflichen Perspektiven außerhalb der Wissenschaft fehlen, dann wird durch den Arbeitskräfteüberschuss das akademische Prekariat erst geschaffen, das heute so häufig beklagt wird.
In
letzter Zeit konnte man einige Erfahrungsberichte von Betroffenen lesen, die mit der
unangenehmen Erkenntnis konfrontiert wurden, dass das, was sie im Studium und in
ihrer weiteren akademischen Karriere gelernt haben, außerhalb der Universitäten
und Forschungsinstitute kaum etwas wert ist. Besonders bitter ist diese
Erkenntnis, wenn sie sich erst nach der Promotion einstellt, da an diesem Punkt der
Karriere bereits so viel Lebenszeit und persönliches Engagement investiert
wurde, dass man nicht einfach neu anfangen kann.
Liest man jedoch diese Erfahrungsberichte, kann man den Eindruck gewinnen, dass
vielen akademischen Mitarbeitern früher oder später trotzdem nichts anderes übrig
bleiben wird.