Samstag, 17. Mai 2014

Hat sich die Soziologie in einem double bind verfangen?



Für die Ad-Hoc-Gruppe des Soziologiemagazins mit dem Titel „Krise der Kommunikation: Wo bleibt der soziologische Diskurs?“ , welche im Rahmen des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie 2014 stattfinden wird, habe ich folgenden Beitragsvorschlag eingereicht:


Vor 30 Jahren diagnostizierte Niklas Luhmann, dass die Soziologie in einer Theoriekrise steckt. Heute besteht nicht einmal Konsens über ein gemeinsames Bezugsproblem oder eine gesellschaftliche Funktion der Soziologie. Dies deutet darauf hin, dass sich die Soziologie gegenwärtig nicht nur in einer Theoriekrise befindet, sondern in einer Identitätskrise. Allgemein akzeptiert ist heute lediglich, dass es die Aufgabe der Soziologie sei, die Gesellschaft zu beschreiben und zu verändern. Der Vortrag wird die These entfalten, dass diese Selbstbeschreibungsformel selbst Teil des gegenwärtigen Problems der Soziologie ist, denn sie formuliert eine Doppelfunktion – nämlich Analyse und Veränderung. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Soziologie diese Doppelfunktion in der modernen funktional differenzierten Gesellschaft überhaupt erfüllen kann? 

Ausgehend von Luhmanns Bestimmung der verschiedenen Bezugsprobleme der einzelnen Funktionssysteme der modernen Gesellschaft soll gezeigt werden, dass Analyse und Veränderung Lösungen für zwei unterschiedliche soziale Probleme sind, die heute von unterschiedlichen Funktionssystemen gelöst werden. Während die Analyse die Aufgabe des Wissenschaftssystems ist, ist Veränderung die Aufgabe verschiedener Systeme sozialer Hilfe. Da die beiden Probleme nicht auf einander reduziert werden können, muss sich die Soziologie entscheiden, was sie sein möchte – ein Teilsystem der Wissenschaft oder ein Teilsystem sozialer Hilfe. Beides ist nicht möglich. Vielmehr würde ein soziales System sein eigenes Operieren und seine Weiterentwicklung blockieren, wenn es versuchen würde diese beiden Probleme gleichzeitig zu lösen. 

Gleichwohl wird bis heute auf die oben benannte Selbstbeschreibungsformel rekurriert. Somit wird bis heute der Anspruch kommuniziert, dass die Soziologie beides könne. Das weckt auch falsche Erwartungen bei einem soziologisch interessierten Publikum. Die Soziologie hat sich damit selbst in einen double bind manövriert, denn sie hat sich selbst die Aufgabe gestellt widersprüchliche Erwartungen zu erfüllen. Dies erzeugt auch eine gravierende Verwirrung beim Publikum, welches damit vor die Wahl gestellt wird die Selbstbeschreibung der Soziologie zu akzeptieren und damit auch den Widerspruch zwischen Analyse und Veränderung oder gerade aufgrund der widersprüchlichen Selbstdarstellung dieses Kommunikationsangebot abzulehnen. Aufgrund des vielbeklagten öffentlichen Relevanzverlustes der Soziologie scheint sich das Publikum offenbar für die zweite Möglichkeit zu entscheiden.

Unter Bezugnahme auf die Theorien Niklas Luhmanns, Gregory Batesons und Erving Goffmans soll die Explikation des double binds der Soziologie dazu dienen eine Erklärung für die aktuelle Krise und den Relevanzverlust der Soziologie zu entwickeln. Je nachdem wieviel Vortragszeit eingeplant ist, kann dann auf Folgeprobleme dieser paradoxen Selbstbeschreibung eingegangen werden und/oder auf Lösungen, wie dieser double bind aufgelöst und die Soziologie als Wissenschaft rehabilitiert werden kann.

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Das Paper speiste sich aus meinen zwei kürzlich veröffentlichten Texten „Soziologie zwischen Wissenschaft als Kunst und Flucht in die Kunst“ und „Die Beobachtung der Beobachtung 3.2 – Die Multifunktionalität der Kommunikation als Problem soziologischer Theoriebildung“. Im Vortrag werde ich das gesellschaftstheoretische Argument vorstellen, das beiden Texten zugrunde liegt.


[Update 1]
Im Zuge der Vorbereitung auf die Ad-Hoc-Gruppe hat das Soziologiemagazin einführende Texte der Referenten veröffentlicht. Hier ist der Link zu meinem Text "Das Image der Soziologie und die Spirale wechselseitiger Nicht-Beachtung".

[Update 2]
Hier ist der Link zum Programm der Ad-Hoc-Gruppe. Sie wird im Raum P13 im Hauptgebäude der Uni Trier stattfinden.

[Update 3]
Das Vortragsmanuskript kann nun hier nachgelesen werden.

[Update 4]


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