Donnerstag, 4. September 2014

Wer kann durch Nudging beeinflusst werden?


Vor einiger Zeit war bei FAZ-Online ein Artikel über eine etwas kuriose Stellenausschreibung des Bundeskanzleramts zu lesen. Das Kanzleramt suchte drei Referenten mit vertieften Kenntnissen über Psychologie, Anthropologie und Verhaltensökonomik für den Stab Politische Planung, Grundsatzfragen und Sonderaufgaben. Die einen werden in dieser Stellenausschreibung vermutlich einen Beleg für die Unfähigkeit der Regierung sehen. Die anderen werden mit dieser Stellenausschreibung wahrscheinlich ihren Verdacht bestätigt sehen, dass die Regierung die Bürger gezielt manipulieren will. Die Methode zur Beeinflussung der Bürger, für die Experten gesucht werden, heißt „Nudging“, zu Deutsch „Stubsen“, und funktioniert folgendermaßen. Im Artikel wird das Beispiel säumiger Steuerzahler genannt. Lässt man den säumigen Steuerzahler wissen, wie viele seiner Nachbarn bereits Steuern gezahlt haben, kann diese Information dazu führen, dass auch er seine Steuern zahlt. Experimente zeigen, dass durch diese Methode die Steuermoral in bestimmten Regionen gesteigert werden konnte.

Einen Tag später berichtete Sascha Lobo in seiner wöchentlichen Kolumne über ein ähnliches Experiment, um die Wahlbeteiligung zu steigern. Facebook präsentierte Usern zur Wahl wie viele ihrer Facebook-Freunde bereits gewählt haben mit dem Aufruf dies ebenfalls zu tun. Lobo bezeichnete es als „Digital Gerrymandering“. Gerrymandering bezeichnete ursprünglich eine bestimmte Art Wahlbezirke zusammenzustellen. Die Ähnlichkeit von Digital Gerrymandering und Nudging ist jedoch nicht zu übersehen. Und auch die Manipulationsmöglichkeit ist leicht zu erkennen. Denn woher will man als Nutzer wissen, ob es stimmt, dass die Freunde bereits gewählt haben.

Doch genauso leicht lässt sich dieser Manipulation widerstehen, wenn man verstanden hat, wie sie funktioniert. Das Prinzip ist einfach. Durch die Präsentation der Information, wie viele Bekannte bereits eine bestimmte Handlung ausgeführt haben, die zivilgesellschaftlich oder staatsbürgerlich wünschenswert wäre, soll die adressierte Person ebenfalls zu dieser Handlung bewegt werden. Es wird nur der Konformitätsdruck auf die angesprochene Person erhöht. Das funktioniert besonders gut bei Personen, die ihr Entscheidungsverhalten an ihrem sozialen Umfeld ausrichten. Das entscheidende Kriterium ist dann weniger die zweckmäßige Gebotenheit, sondern die soziale Erwünschtheit. Damit Nudging funktionieren kann, muss also an das Konformitätsbedürfnis bzw. den Herdentrieb appelliert werden. Diese Einschränkung impliziert bereits, dass Nudging nicht bei jedem funktioniert. Die wichtigste Voraussetzung ist die Unentschlossenheit der betreffenden Person. Nur wer sich noch nicht entschieden hat Steuern zu zahlen oder auch nicht zu zahlen, kann überhaupt zur Entscheidung motiviert werden. Wer sich bereits entschieden hat, ist für eine derartige Manipulation auch nicht empfänglich.

Daraus ergibt sich die Möglichkeit, wie man sich einer solchen Manipulation entziehen kann. Wer weiß, was er will und was er nicht will, kann nicht durch Nugding beeinflusst werden. Denn wenn man weiß, was man will, kann man solchen Beeinflussungsversuchen auch ohne großes Zögern widerstehen. Nur wer unentschlossen ist und sich bei seinen Entscheidungen an anderen orientiert, ist für solche Beeinflussungsversuche empfänglich. Das gilt im weiteren Sinne für alle Beeinflussungsversuche im Internet, auch wenn es nicht ums Anstupsen zu einer Wahlentscheidung u. ä. geht, wie z. B. Werbung. Viele haben ja so viel Angst davor durch Algorithmen mit ihren eigenen Wünschen geködert zu werden. Werbung ist aber nichts weiter als ein Kommunikationsangebot, dass man annehmen oder ablehnen kann. Wenn man weiß, was man will, fällt es auch genauso leicht einen Verbraucherhinweis als unnötig zu ignorieren. Was allerdings nicht heißen soll, dass man immer widerstehen muss. Es kann ja durchaus passieren, dass Produkte beworben werden, die man tatsächlich kaufen würde.

Der Eindruck, dass man manipuliert wird, entsteht häufig bei Kommunikationsformen auf die man nicht direkt antworten kann - also bei massenmedialer Kommunikation. Internetwerbung ist so ein Fall. Man kann und muss auf eine Werbung aber auch nicht direkt antworten. Ob man eine Werbung verstanden hat, zeigt sich erst an der Kasse. Wenn man nicht interessiert ist, reicht Nicht-Beachtung völlig aus. Man kann also nicht manipuliert werden, sondern man kann sich nur manipulieren lassen. Unentschlossenheit fördert diese Manipulierbarkeit. Es ist schon seltsam, warum ausgerechnet bei massenmedialer Kommunikation der Manipulationsverdacht entsteht, obwohl es so leicht ist ein Kommunikationsangebot abzulehnen. Konsequenzen muss man bei der Nicht-Beachtung eines Angebots eh nicht fürchten. 

Ich selbst bilde mir ja ein, dass ich ein ziemlich unattraktives Ziel für Werbeversuche bin. Wenn wirklich irgendwelche Algorithmen mein Konsumverhalten analysieren würden, müssten die eigentlich schon längst mitbekommen habe, dass ich relativ unempfänglich für Werbung bin. Entsprechend müsste ich von Internetwerbung weitestgehend verschont bleiben oder zumindest die Werbung bekommen, die mich interessieren würde. Das ist leider nicht der Fall. Nach wie vor brauche ich Adblocker, um mich vor der Werbeflut im Netz zu schützen. Das zeigt mir, dass es solche intelligenten Algorithmen entweder noch nicht gibt oder noch längst nicht so intelligent sind, wie uns das im Feuilleton gerne eingeredet werden soll. Wenn ich mir anschaue, wie penetrant man heute mit Internetwerbung bombardiert wird, dann halte ich es für wahrscheinlicher, dass für viele Leute Internetnutzung eher durch diese Werbeflut als durch die NSA-Überwachung unattraktiv wird.  

Wer sich jetzt übrigens fragt, wie man wissen kann, was man will, kann davon ausgehen, dass er ein sehr gutes Opfer für Nugding ist. Das Wissen, was man will, steckt nicht einfach in einem, sondern es handelt sich um einen Lernprozess. Die Frage, wie man wissen kann, was man will, ist nur ein Totschlagargument, das einen davon abhält in diesen Lernprozess einzutreten, und eine bequeme Rechtfertigung für die daraus resultierende Unentschlossenheit.



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