Dienstag, 16. Dezember 2014

Genderneutralität und Sprachzerstörung


Aktuell ist das Thema genderneutrale Sprache mal wieder auf allen Onlinemedien präsent. Fast täglich erscheint ein neues Plädoyer für oder gegen genderneutrale Sprache. Das Thema gärt ja schon etwas länger im Untergrund. Im Frühjahr gab es bereits eine kleine Empörungswelle über das Ansinnen nach einer Sprache, die weniger bis gar nicht diskriminierend sei. Ich persönlich hatte ja gehofft, dass danach Ruhe ist und über die kindischen Mätzchen der Befürworter und Gegner sich der Mantel des Schweigens legt. Aus für mich nicht ganz nachvollziehbaren Gründen wird nun dieses typische Sommerloch-Thema wieder hervorgekramt und nochmal richtig breitgetreten und ausgewalzt bis auch die oder der Letzte seinen Senf dazu abgegeben hat. Ich bin mir natürlich darüber bewusst, dass ich mich mit diesem Beitrag nun selbst in die Reihe derer einreihe, die ihren Senf dazu abgeben müssen. Aber es wird Zeit festzustellen: Kinders, langsam nervt es! Auch wenn der folgende Text überwiegend gute Gründe anführt gegen genderneutrale Sprache zu sein, geht es mir nicht darum für oder gegen genderneutrale Sprache Position zu beziehen, sondern warum man die Entscheidung für oder gegen genderneutrale Sprache als solche ablehnen sollte. Als Vorschlag steht sie nun im Raum und fordert Zustimmung oder Ablehnung. Da sich beides auf genderneutrale Sprache bezieht, kommt man wohl oder übel um eine Auseinandersetzung mit ihr nicht herum. 

Diskriminieren im Namen der Antidiskriminierung

Worum geht es eigentlich? Die Empörung über die genderneutrale Sprache entzündete sich damals wie heute an einer Frau, die aussieht wie ein Mann, aber darauf besteht keinem der beiden Geschlechter anzugehören, weil ja Geschlecht nach ihrer Ansicht eh nur sozial konstruiert ist. Die Dame heißt Lann Hornscheidt und hat eine Art Leitfaden für genderneutrale Sprache vorgelegt, welcher dazu dienen soll die deutsche Sprache so zu verändern, dass sie bestimmte, nach Ansicht von vielen Gendertheoretikern diskriminierte, Personengruppen nicht mehr diskriminiert, sondern im öffentlichen Diskurs sichtbar macht. Gegen Diskriminierung zu sein, ist natürlich immer gut und bringt Beliebtheitspunkte im engagierten und allzeit empörungsbereiten Gutmenschen-Milieu. Wenn dann tatsächlich mal konkrete Maßnahmen vorgeschlagen werden, was ja doch eher eine Seltenheit ist, weil man sich am Besten in der Pose moralisierender Besserwisserei gefällt, ist die Euphorie natürlich groß. Endlich liegt mit dem Leitfaden für genderneutrale Sprache ein konkreter Vorschlag auf dem Tisch und man hat eine Diskussionsgrundlage. Wer die Vorschläge für die genderneutrale Sprache kennt, dem war natürlich klar, dass diese Vorschläge nicht kritiklos bleiben werden. Doch während es von Seiten der Kritiker durchaus, aber nicht nur, berechtigte Kritik an der Sache gab, wird diese Kritik mit Verweis auf die gute Absicht abgewehrt. Ein ziemlich altes und ermüdendes Spiel, das die öffentlichen Diskussionen sowohl in der alten Bundesrepublik als auch im wiedervereinigten Deutschland nachhaltig geprägt hat. Dieses Spiel hat jedoch etwas Hinterhältiges. Die gute Absicht wird als Totschlagargument benutzt, um jede Kritik von vorn herein abzublocken. Wer diese Vorschläge gegen Diskriminierung kritisiert, kann ja nur gegen Diskriminierung sein und verdient es daher selbst diskriminiert zu werden. Das Repertoire an ideologischen Phrasen ist inzwischen schon beachtlich angewachsen, um die vermeintlichen Feinde öffentlich sichtbar zu machen. Allerdings bräuchte man zum Verstehen dieser Phraseologie des Öfteren schon mal ein Wörterbuch, um überhaupt zu kapieren, wovon die Rede ist. Dummerweise - oder sollte man sagen glücklicherweise? - kommen diese leeren feministischen Worthülsen in Wörterbüchern gar nicht vor. An diesem Umstand wird vor allem die soziale Abspaltungstendenz dieses soziokulturellen Milieus deutlich und das Ausmaß der damit verbundene Abweichungsverstärkung. Es hat sich schon eine Art Parallelwelt mit eigener Sprache gebildet.

Doch gerade an den Reaktionen auf die Kritik zeigt sich, ob die Befürworter einer genderneutralen Sprache selbst in Übereinstimmung mit den beanspruchten moralischen Idealen handeln oder nicht. Bekanntermaßen sind Reden und Handeln nicht immer dasselbe. Jeder Mensch wird an seinen Handlungen gemessen. Reden ist eine besondere Form des Handelns, die jedoch nicht immer im Einklang mit den restlichen Handlungen einer Person oder einer Gruppe steht. Und deswegen werden die Handlungen jeder Person, egal ob männlich, weiblich oder keins von beidem, an dem im Reden geäußerten Anspruch gemessen. Und so fällt an den moralisch argumentierenden Fraktionen auf, dass sie an den Ansprüchen, die sie an das Handeln von anderen anlegen, nicht unbedingt selbst gemessen werden möchten. Ob es daran liegt, dass man sich der eklatanten Diskrepanz zwischen Reden und Handeln bewusst ist, sei mal dahin gestellt. Nichts desto trotz kann man sich als unbeteiligter Beobachter des Eindrucks nicht erwehren, dass die bornierte Arroganz, mit der auf die Kritik von Seiten der Vorschlagsgegner reagiert wird, von den eigenen Diskrepanzen im Reden und Handeln ablenken soll. Fairer Weise muss man aber zugestehen, dass auf beiden Seiten versierte Konfliktaufwerter am Werk sind, die genau wissen, welche Knöpfe in Form triggernder Begriffe gedrückt werden müssen, um ihre Gegner so richtig auf die Palme zu bringen. Was bei diesem verbalen und öffentlichkeitswirksamen Säbelrasseln jedoch völlig unbeachtet bleibt, sind die berechtigten Einwände gegen eine genderneutrale Sprache, die nämlich zeigen würden, dass eine riesige Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit besteht. Denn ob durch genderneutrale Sprache weniger diskriminiert wird, daran bestehen erhebliche Zweifel. Was sich schon allein an der extensiven Konstruktion von diskriminierenden Feindbildern zeigt, die die Gegner von Diskriminierung statt Argumenten bemühen müssen. Sie diskriminieren selbst ausgiebig, um für ihre Sache – es geht gegen Diskriminierung wohl gemerkt! – zu kämpfen.

Sprache und Diskriminierung

Würde man es sich einfach machen, könnte man bereits an dieser Stelle die weitere Beschäftigung mit genderneutraler Sprache abbrechen. Denn der performative Widerspruch, der die tiefe Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit anzeigt, macht den Anspruch, gegen Diskriminierung kämpfen zu wollen, äußerst unglaubwürdig. Dieser Eindruck wird noch verstärkt, wenn man sich die Vorschläge für eine genderneutrale Sprache etwas genauer anschaut. Darin zeigt sich nämlich ein sehr naives Verständnis von der sozialen Funktion der Sprache. Nach wie vor gehen die Befürworter der genderneutralen Sprache davon aus, dass Sprache die Realität abbilden müsse. Daraus ergibt sich die erklärte Forderung auch unbeachtete Aspekte der Realität zu beachten, so z. B. unterdrückte oder benachteiligte Personengruppen sprachlich zu würdigen. Die Nichtbeachtung bestimmter Personengruppen in öffentlichen Diskursen, so die Annahme der Befürworter, reproduziere bestimmte Machtverhältnisse. Sprache trägt auf diese Weise zur Reproduktion dieser Machtverhältnisse und zur Benachteiligung dieser Personengruppen bei. Würden nun diese unbeachteten Ausschnitte der Realität sprachlich sichtbar gemacht werden, könnten schon allein dadurch die bestehenden Machtverhältnisse geändert werden. Die Befürworter einer genderneutralen Sprache hängen hier noch einem in Fachkreisen sehr veralteten Verständnis von Sprache an, wonach Sprache die gesamte Welt repräsentieren müsse. Sie müssen der Sprache letztlich diese Funktion zuweisen, denn was sich in den konkreten Vorschlägen für eine genderneutrale Sprache ausdrückt, ist das geradezu zwanghafte Bemühen niemanden bei der Wortwahl zu vergessen. Mit anderen Worten, mit der Prätention der Anerkennung aller Personen soll sprachliche Vollständigkeit erreicht werden. Wenn jedoch die volle Komplexität der Welt in jeder Situation beachtet werden soll, dann würde das die Leistungsfähigkeit der Sprache überfordern und damit auch die Menschen, die diese Sprache benutzen sollen. Hier liegt also schon einiges in der zugrunde liegenden Sprachtheorie im Argen.

Die soziale Funktion der Sprache besteht nicht darin die Realität gleichsam eins zu eins abzubilden, sondern darin dass Menschen ihr Erleben und Handeln in Bezug auf ein gemeinsames Zentrum der Aufmerksamkeit koordinieren können. Das entscheidende Kriterium für die Verwendung von Sprache besteht dann in der Relevanz. Was für die jeweilige Situation, das jeweilige Thema oder das jeweils zu lösende Problem nicht relevant ist, bleibt unbeachtet. Das drückt sich logischerweise auch in der Sprache aus. Warum sollte man eine Situation auch mit Informationen überfrachten, die keine Rolle spielen? Sie sind überflüssig und kosten wertvolle Zeit. Sprache fokussiert und lenkt die Aufmerksamkeit der Kommunikationspartner auf die Aspekte, die es den Kommunikationspartnern ermöglicht ihr Erleben und Handeln wechselseitig sinnhaft aneinander auszurichten. Dazu ist es nicht notwendig, irrelevante Aspekte zu berücksichtigen. Systemtheoretisch könnte man die soziale Funktion der Sprache auch als Komplexitätsreduktion beschreiben. Es gibt immer mehr Möglichkeiten zu erleben und zu handeln, als in einer Situation realisiert werden können. Es ist also eine Bewertung notwendig, was relevant ist und was nicht, um sich dann nur auf die relevanten Aspekte zu konzentrieren. Das meint Komplexitätsreduktion. Alles andere würde das Erleben überfordern und das Handeln unmöglich machen. Ohne eine Bewertung der Relevanz von Informationen kommt es zur Dissoziation der Aufmerksamkeit, weil kein Kriterium zur Verfügung steht, was einen relevanten Unterschied macht und was nicht. Man wüsste also überhaupt nicht, worauf man die Aufmerksamkeit richten sollte. Dass es bereits bei der Bewertung der Relevanz zu Konflikten kommen kann, zeigt die Initiative für eine genderneutrale Sprache. Konflikte zwischen Kommunikationspartnern sind zunächst auch völlig normal und erwartbar. Die Konflikte können durch das gemeinsame Handeln in Bezug auf das gemeinsame Zentrum der Aufmerksamkeit verringert, aber auch verstärkt werden. Bedenklich wird es besonders dann, wenn diese Konflikte, wie beim Streit um die genderneutrale Sprache, bewusst zur Eskalation getrieben werden, weil man nur noch auf dem eigenen Erleben besteht und sich für das Erleben der anderen nicht mehr interessiert.

Was die Befürworter der genderneutralen Sprache übersehen, ist, dass wenn die Sprache ihre soziale Funktion erfüllen soll, dann muss sie diskriminieren. Das tut sie jedoch nicht in irgendeinem politischen Sinne, sondern zunächst völlig wertfrei, weil sie nur so ihre soziale Funktion erfüllen kann. Um die Aufmerksamkeit auf etwas richten zu können, muss anderes unberücksichtigt bleiben. Nicht-Beachtung von anderem ist also die Bedingung, unter der es überhaupt möglich wird etwas Bestimmtem seine Aufmerksamkeit schenken zu können. Nur durch den Aufwand von Zeit können solche Beachtungsdefizite wieder ausgeglichen werden. Mit anderen Worten, man kann nicht allem gleichzeitig seine Aufmerksamkeit schenken, sondern nur nacheinander. Diesen Sachverhalt sollte man zur Kenntnis nehmen, bevor man sich an die Umgestaltung der Sprache macht. Denn der Faktor Zeit spielt bei der Lösung durch genderneutrale Sprache keine Rolle. Gerade der Konflikt um eine diskriminierungsfreie Sprache und die sehr politisierte Kommunikationsweise, die die Befürworter einer genderneutralen Sprache an den Tag legen, zeigt sehr deutlich, dass sie sich mit der sozialen Funktion der Sprache noch nicht wirklich auseinander gesetzt haben. Deswegen können sie dem diskriminierenden Charakter der Sprache nicht entkommen. Vielmehr führen sie ihn in aller Öffentlichkeit vor – und das nicht nur in der wertfreien, sondern in der politischen Form. Die Paradoxie, dass Beachtung nur durch Nicht-Beachtung möglich ist, wird nicht in ein Zeitproblem, sondern in ein Konkurrenzverhältnis aufgelöst. Auf diese Weise können dann die Aufmerksamkeitsbedürfnisse der Menschen gegeneinander ausgespielt werden. Und dadurch wird die Kommunikation über Diskriminierung so stark politisch aufgeladen. In dieser Form wird es aber so gut wie unmöglich das Kommunikationsangebot der Befürworter der genderneutralen Sprache anzunehmen. Es kommuniziert in dieser Form immer die Ablehnung der Adressaten mit. Wer würde auf solch eine Mitteilung ernsthaft eingehen, selbst wenn sie auf ein berechtigtes Anliegen aufmerksam macht

Es muss festgehalten werden, dass das Ziel, niemanden bei der Wortwahl zu vergessen, praktisch nicht erreichbar ist. Das heißt nicht, dass man es situationsabhängig nicht versuchen soll. Man sollte sich allerdings nicht der Illusion hingeben, die angestrebte sprachliche Vollständigkeit jemals erreichen zu können – zumindest nicht in der Allgemeingültigkeit, wie sie durch die Gendertheoretiker angestrebt wird. Die Lösung liegt in der Zeit und nicht in nichtssagenden Allgemeinplätzen. Sich nur auf dieses unrealistische Ziel zu konzentrieren, um nicht zu sagen zu fixieren, bedeutet das Aufmerksamkeitsfeld einzuschränken und die ganze Welt nur noch in diesem Kontext zu beobachten. Das Erleben wird, da nur ein Kontext beobachtungsleitend ist, gleichsam eindimensional. Und im Bemühen dem Erleben und den Aufmerksamkeitsbedürfnissen der scheinbar Unbeachteten gerecht zu werden, entfernt sich eine genderneutrale Sprache immer weiter davon. Durch allerlei Zeicheneinschübe und der willkürlichen Ersetzung von Endungen durch andere Buchstaben soll ein reflektierter Sprachgebrauch kultiviert werden. Was jedoch tatsächlich geschieht, ist die Inkorporation einer lähmenden Selbstbefangenheit, die gerade durch die Frage, wen man durch die eigene Wortwahl vergessen haben könnte, einen pragmatischen Sprachgebrauch blockiert. Was als Reflexion gedacht ist, führt zu einer unendlichen Beschäftigung mit sich selbst bzw. wie man durch Sprache sein Erleben ausdrücken kann ohne jemanden zu benachteiligen. Durch diese im Prinzip endlose Reflexion des Sprachgebrauchs wird zugleich ein tiefes Misstrauen in die Sprache geschürt. Die Botschaft lautet: „Sprache erzeugt eine falsche Realität. Man kann der Sprache nicht trauen.“ Da aber die Menschen durch Sprache ihr Erleben ausdrücken, kann man in der Konsequenz auch dem mitgeteilten Erleben anderer Menschen nicht trauen. Entsprechend sinkt auch der Wille anderen Menschen überhaupt noch zuzuhören. Stattdessen vertraut man nur noch auf das eigene Misstrauen. Was dabei auf der Strecke bleibt, ist die Fähigkeit sich sinnhaft und emotional in andere Menschen hineinzuversetzen. So erklären sich die performativen Widersprüche der Anhänger einer genderneutralen Sprache. Sie können sich überhaupt nicht mehr vorstellen, welchen Eindruck ihr Verhalten auf andere macht.

Wenn die komplexitätsreduzierende Funktion der Sprache und damit auch ihr diskriminierender Charakter nicht beachtet wird, dann zeigt sich dieser diskriminierende Charakter umso stärker im eigenen Verhalten – und das nicht nur in einem wertfreien Sinne, sondern umso mehr in einem politischen Sinne. Auf diese Weise wird fast zwangsläufig das angestrebte Ideal einer diskriminierungsfreien Sprache durch das diskriminierende Verhalten verfehlt. Es ist wichtig zu betonen, dass hier nicht die Problemanalyse der Gendertheoretiker kritisiert wird. Die Gefahren, auf die mit einer genderneutralen Sprache aufmerksam gemacht werden sollen, sehe ich durchaus. Dazu muss man allerdings nicht davon ausgehen, dass der primäre Zweck der Sprache ein politischer sei – auch wenn es möglich ist sie politisch zu missbrauchen. Von der politischen Funktion der Sprache auszugehen, würde bedeuten die Ausnahme zur allgemeinen Regel zu machen. Das hieße den ersten Schritt hin zu einer verzerrten Wahrnehmung zu vollziehen. Und ebenso unangemessen müssen dann auch die Interventionen ausfallen. Neben dem theoretischen Rahmen sind diese Interventionen hier der Gegenstand der Kritik. Sie leiten sich aus diesem Theorierahmen ab. Betrachtet man diese Interventionen in dem hier eröffneten Theorierahmen, zeigt sich, dass sie für das verfolgte Ziel einer genderneutralen Sprache kontraproduktiv sind.

Wie die Sprache genderneutral gemacht werden soll

Der wohl inzwischen bekannteste Vorschlag ist der, Endungen, die auf das Geschlecht hinweisen, wie z. B. bei Professorin oder Professor, durch ein x zu ersetzen. Dadurch soll die sogenannte ZweiGenderung der Personenansprache aufgebrochen und in Frage gestellt werden. Im Ergebnis sollen alle Personen mit Professorentitel nur noch als Professx angesprochen werden. Zugegebenermaßen sollte die Fähigkeit, die mit dem Professorentitel bescheinigt wird, geschlechtsunabhängig sein. Es gibt auch keinen Grund anzunehmen, dass diese Fähigkeit bei Frauen und Männern unterschiedlich ausgeprägt sein sollte. Dann kann man durchaus einwenden, dass eine Unterscheidung von Professorinnen und Professoren überflüssig ist. Auf der anderen Seite würde dadurch aber die Gleichheit von Frauen und Männern besonders betont und hervorgehoben. Von einem feministischen Standpunkt aus, sollte dieser Sprachgebrauch also gar kein Problem darstellen. Erklärtermaßen geht es aber bei diesem Vorschlag nicht darum auf die Gleichheit von Frauen und Männern hinzuweisen, sondern darauf, dass es neben Frauen und Männern noch eine dritte Geschlechterkategorie geben soll. Es geht ja darum niemanden zu vergessen, denn es soll sich niemand diskriminiert fühlen. Würde mit dem Vorschlag erreicht, darauf aufmerksam zu machen, dass auch Personen, die sich der dritten Geschlechterkategorie zugehörig fühlen, dieselben Fähigkeiten besitzen können, wie Frauen und Männer, wäre der Vorschlag noch nachvollziehbar. Das erklärte Ziel ist aber die etablierten Vorstellungen von Geschlecht in Frage zu stellen. Es geht also gerade nicht darum auf die Gleichheit mit anderen Menschen hinzuweisen, sondern darauf aufmerksam zu machen, dass es Personen gibt, die sich weder als Frauen noch als Männer sehen. Darin liegt ein gravierender Unterschied, wie auf einen bestimmten Sachverhalt aufmerksam gemacht wird. Statt der Gleichheit wird die Differenz betont. Dies geschieht dadurch, dass sowohl Frauen als auch Männer durch die Ansprache als Professx negiert werden. Die gemeinsame Fähigkeit, die die Geschlechterdifferenzen transzendieren sollte, spielt dabei keine Rolle – also das, was auch in normativer oder moralischer Hinsicht eine Gleichbehandlung aller Menschen begründen könnte. Es geht nur um die Befriedigung des Anerkennungsbedürfnisses einer kleinen Gruppe von Personen, die sich weder als Frau noch als Mann fühlen, und nicht um eine diskriminierungsfreie Sprache. Beachtenswert ist die Raffinesse, wie eine Diskriminierung als Maßnahme gegen Diskriminierung verkauft werden soll. Auch wenn dieser Vorschlag gelegentlich als Bereicherung der Sprache angepriesen wird, für die soziale Funktion der Sprache ist dieser Vorschlag keine Bereicherung oder Erweiterung, sondern eine Reduktion.

Ein weiterer Vorschlag, um die Sprache genderneutral zu machen, besteht darin, Geschlechterendungen durch Sternchen zu ersetzen oder durch Unterstriche zu betonen. Beides soll natürlich der Reflexion des Sprachgebrauchs dienen. Eine besondere Herausforderung, weil besonders verwirrend, ist die Anwendung des sogenannten dynamischen Unterstrichs, der auch wieder auf die gesellschaftliche Normierung auf Zweigeschlechtlichkeit aufmerksam machen und sie gleichzeitig in Frage stellen soll. Auch hier soll im Sprachgebrauch durch die Negation von Frauen und Männern eine dritte Möglichkeit aufscheinen. Diesmal wird aber nichts ersetzt, sondern man vergreift sich am Schriftbild. In jedes Wort, von dem man glaubt, es bestätigt die bestehende heteronormative Ordnung, wird ein Unterstrich eingeschoben, um sie zu negieren. An welcher Stelle im Wort ist eigentlich egal. So gewinnt man den Eindruck, die Maßnahme besteht darin Texte durch Zeicheneinschübe unleserlich zu machen. Die Ironie daran ist, dass auf diese Weise nochmals besonders auf die ZweiGenderung aufmerksam gemacht wird. Am Inhalt der sprachlichen Mitteilung ändert der Unterstrich jedoch zunächst nichts. Er ist redundant, bei einer gleichzeitigen Erweiterung des Schriftbildes. Damit ist er nichts weiter als ein Rauschen oder ein Störgeräusch, der bei gleichem Inhalt den Informationsgehalt ansteigen lässt. 

Alle Vorschläge für eine genderneutrale Sprache gehen nach den beiden soeben vorgestellten Mustern vor: entweder eine negierende bzw. aufhebende Reduktion oder eine redundante Erweiterung der Sprache. Die soziale Funktion, die der Sprache damit aufoktroyiert wird, ist jedoch immer dieselbe: mit aller Macht auf die Möglichkeit einer dritten Geschlechterkategorie hinzuweisen. Was allerdings nur über die Negation der anderen beiden Geschlechterkategorien gelingt. Nimmt man alle Vorschläge für eine genderneutrale Sprache zusammen und schaut sich das Ergebnis an, so erscheint das entstandene Schriftbild für Personen, die an einen konventionellen Sprachgebrauch gewöhnt sind, fast schon unleserlich. Nicht nur, dass es sehr verwunderlich ist, dass ausgerecht Personen, die an Sprache interessiert sind, offenbar jegliches Stilgefühl vermissen lassen. Darüber hinaus erinnert die genderneutrale Sprache auch irgendwie an eine Programmiersprache. Dieser Eindruck wird durch die Anwendungsempfehlungen im Leitfaden noch verstärkt. Obwohl nur die Sprache verändert werden soll, geht es ja eigentlich darum das Denken der Menschen zu verändern. Liest man sich den Leitfaden durch, bekommt man den Eindruck die Menschen sollen umprogrammiert werden wie Maschinen. Durch den Leitfaden für genderneutrale Sprache bekommt man daher einen guten Eindruck, wie Gendertheoretiker andere Menschen wahrnehmen. Wie diese Sprache ausgesprochen werden soll, kann man sich bei einem derartig zerrütteten Schriftbild aber kaum noch vorstellen. Wenn man genderneutrale Sprache noch nie gehört hat, kann man den Eindruck bekommen, es geht gar nicht darum ein anderes Sprechen zu ermöglichen, sondern darum mit dieser Sprache anderen Personen das Sprechen unmöglich zu machen. Man bekommt das Gefühl, die Botschaft besteht lediglich in der Mitteilung „Halt die Fresse!“. Der Geräuschpegel, der durch alle diese aufhebenden Reduktionen und redundanten Erweiterungen erzeugt wird, ist so groß, dass diese genderneutrale Sprache kaum noch ihre soziale Funktion erfüllen kann. Durch das erzeugte Rauschen kann sie nur noch auf den Sachverhalt hinweisen, dass es Personen gibt, die glauben, dass es ein drittes Geschlecht geben kann. Egal worüber gesprochen wird, an diesen Sachverhalt wird man mit fast jeder Äußerung erinnert. Um jedoch diese extrem reduzierte soziale Funktion erfüllen zu können, muss die Sprache in dieser Art verstümmelt werden. Zumindest scheinen die Vorschläge für eine genderneutrale Sprache auf eine radikale Verstümmelung der Sprache hinauszulaufen. Die Sprache wird unaussprechlich. Psychologen würden in diesem Fall auch von Sprachzerstörung sprechen (vgl. Lorenzer 2010 [1970]). Denn das ist es, was rein phänomenologisch geschieht. Die Sprache wird zerstört, damit sie lediglich diesem einen Zweck dienen kann.

Sprachzerstörung und Verdrängung

Sprachzerstörung ist ein Hinweis auf psychische Verdrängungsprozesse (vgl. Lorenzer 2010 [1970]). Der große psychologische und soziologische Vorteil solcher feministischen Interventionen ist, dass man an ihnen Verdrängungsprozesse in einer Systematik und theoretischen Strenge studieren kann, wie man sie in psychologischen Therapien vermutlich selten beobachten kann. Dies ist möglich, weil die Einteilung nach Geschlechtern auf die ganze Menschheit angewendet werden kann. Auf diese Weise lässt sich die Menschheit schon mal in mindesten zwei Gruppen einteilen: Frauen und Männer. Dieser Umstand macht es Personen, die sich von beiden Geschlechtern entfremdet haben, möglich Probleme ihrer individuellen Persönlichkeitsentwicklung zu Gruppenproblemen umzudeuten. Auf diese Weise können die Ursachen ihrer Probleme der sozialen Umwelt, also der Gesellschaft, angelastet werden, womit die vermeintliche Diskriminierung für die Betroffenen eine quasi-objektive Selbstverständlichkeit bekommt, die aber nur das Ergebnis einer gemeinschaftlichen Konstruktion der Betroffenen selbst ist. Auf diese Weise lassen sich die sehr komplexen persönlichen Problemlagen sehr leicht ausblenden. Und ebenso schwierig wird es dann eine der jeweiligen Person angemessene Lösung zu finden. Stattdessen wird eine Lösung für alle empfohlen – die genderneutrale Sprache –, von der man mit Sicherheit annehmen kann, dass sie die sehr persönlichen Probleme nicht lösen wird. Dieses Problem ergibt sich im Übrigen bei jedem kollektivistisch inspirierten Lösungsansatz. Aber was soll mit dieser Sprachzerstörung verdrängt werden? Es ist die Unterscheidung von Frauen und Männern selbst, die verdrängt werden soll - und das nicht nur psychisch, sondern durch die gemeinschaftliche Anstrengung sogar sozial. Man könnte leicht den Eindruck bekommen, dass genderneutrale Sprache das Produkt von Männerhasserinnen ist. Dieser Eindruck wird auch durch die Selbstbeschreibung als „feministisch“ verstärkt. Wie aber weiter oben gezeigt wurde, konzentrieren sich die Vorschläge für eine genderneutrale Sprache nicht nur darauf eine, wie auch immer geartete, männliche Vorherrschaft zu brechen, sondern vielmehr soll durch die gemeinschaftliche Verdrängung die Möglichkeit eliminiert werden überhaupt sprachlich zwischen Frauen und Männern unterscheiden zu können. Darin besteht ja aus Sicht der Gendertheoretiker die heteronormative Hegemonie, die Welt nur in Männer und Frauen einzuteilen. Dies zu ändern gelingt nur, indem man die Sprache von der Möglichkeit bereinigt zwischen Frauen und Männern unterscheiden zu können.

Auch wenn Frau Hornscheidt nicht müde wird zu betonen, dass die Kategorien „Frau“ und „Mann“ auch heute noch unverzichtbar sind. Wer sich den von ihr mitverfassten Leitfaden durchliest, dem wird zuerst die geradezu obsessive Fixierung auf diese Unterscheidung auffallen, die sich in den Versuchen ausdrückt, die mit der Unterscheidung erzeugte Differenz unter Kontrolle zu kriegen und sie zu unterdrücken, damit sich bloß niemand diskriminiert fühlt. Es handelt sich zugleich um einen Versuch die Gefühlszustände der Menschen, die sich potentiell angesprochen fühlen könnten, vorweg zu nehmen. Durch diese Antizipation ihrer Gefühlszustände werden Menschen aber zu Objekten gemacht. Auch wenn es gut gemeint ist, wird ihnen durch diese vorauseilende Empathie ihre Autonomie abgesprochen. Vorn herein wird versucht jede Situation, in der sich diese Autonomie z. B. durch Widerspruch zeigen könnte, zu vermeiden. Außerdem ist diese vorauseilende Empathie nur gespielt, denn eine wirkliche Einfühlung in den Kommunikationspartner findet überhaupt nicht statt. Vielmehr wird ein überempfindliches, extrem auf sich selbst fixiertes Opfer als imaginärer Kommunikationspartner konstruiert. Man könnte auch sagen, ein Klischee wird zum generalisierten Anderen im Sinne George Herbert Meads (vgl. 1973 [1934], S. 196) stilisiert. Die genderneutrale Sprache würde dann eine bequeme Möglichkeit bieten, sich der Herausforderung zu entledigen, sich in den Kommunikationspartner hinein zu versetzen. Wenn auch sehr subtil, läuft es also trotz aller Beteuerungen des Gegenteils auf eine Negation – und damit auch auf eine Diskriminierung – von Männern und Frauen hinaus. Das ist der Grund, warum der Vorschlag so heftige Reaktionen auslöst. Es ist nichts weiter als eine Form zu sagen: „Das was du über mich denkst, interessiert mich nicht. Entweder du akzeptierst mich so, wie ich mich sehe, oder gar nicht.“ Und auch wenn Frau Hornscheidt in Interviews sehr nett und verständig klingt, sollte man sich von der Form der Mitteilung nicht verwirren lassen. Der Inhalt ihrer Botschaften ist trotzdem unannehmbar. Die genderneutrale Sprache dient nur dazu Personen, die glauben keinem Geschlecht anzugehören, zu ermöglichen ihr eigenes illusionäres Selbstbild absolut zu setzen und gegen Widerspruch zu immunisieren. Auf diese Weise wird radikaler Subjektivität und reiner Willkür Tür und Tor geöffnet. Das ist Identitätspolitik nach Gutsherrenart. Gendertheoretiker sollten dringend mal die Privilegien reflektieren, die es ihnen ermöglichen eine solche Identitätspolitik zu betreiben. Während sie die Privilegien ihrer Gegner mühelos identifizieren können, werden sie in Bezug auf ihre eigenen Privilegien von einer bemerkenswerten Blindheit befallen, die sich jedoch von denen ihrer Gegner kaum unterscheiden.

Gleichwohl hat diese Eliminierung der Unterscheidungsmöglichkeit von Frauen und Männern weitreichende Konsequenzen. Sie negiert auch die sozialen Beziehungen zwischen Frauen und Männern, denn sie können ohne diese Unterscheidung nicht mehr bezeichnet werden – zumindest nicht ohne auch noch auf die dritte Geschlechterkategorie hinzuweisen. Dieses Problem betrifft in der Konsequenz auch homosexuelle Beziehungen. Ohne die Unterscheidung von Frauen und Männern können auch keine homosexuellen Beziehungen mehr benannt werden. Die Art und Weise, wie eine genderneutrale Sprache die psychische Aufmerksamkeit fokussiert und damit Personen negiert, negiert nicht nur heterosexuelle Frauen und Männer, sondern auch homosexuelle. In einer genderneutralen Sprache kommen dadurch zwei Dinge zum Ausdruck, zum einen die Ablehnung der Unterscheidung von Frauen und Männern und zum anderen der Wunsch nach einer geschlechtslosen Welt. Wenn man den Begriff „Genderneutralität“ wörtlich versteht, dann bedeutet er im Prinzip auch nichts anderes als Geschlechtslosigkeit. Nichts könnte verachtender sein, als biologische, soziale und psychische Realitäten zu ignorieren, in denen Geschlechterunterschiede sehr wohl noch eine Rolle spielen. Insofern ist die Selbstbeschreibung als feministisch irreführend, denn faktisch richtet sich feministisches Sprachhandeln auch gegen feministische Ziele, denn es zerstört ebenso die Möglichkeit Frauen angemessen zu adressieren. Gleichberechtigung wird auf diese Weise allenfalls negativ erreicht, indem Frauen und Männer gleichberechtigt abgewertet und diskriminiert werden.

Gendersprech oder Was würde Wittgenstein dazu sagen?

Vor einiger Zeit wurde mal Wittgenstein mit dem Satz 5.6 aus dem Tractatus logico-philosophicus bemüht, um die Gegner der genderneutralen Sprache zu überzeugen: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ (vgl. 2003 [1922], S. 86; kursiv im Original) Wittgenstein macht mit diesem Satz darauf aufmerksam wie sprachabhängig das Denken des Einzelnen ist. Wenn man der Meinung ist, genderneutrale Sprache kann die Grenzen der Sprache überwinden und die Sprache bereichern, dann mag dieses Zitat sicherlich dafür sprechen. Nach der kurzen Analyse, die hier durchgeführt wurde, sind jedoch erhebliche Zweifel entstanden, ob die genderneutrale Sprache tatsächlich die Ausdrucksmöglichkeiten erweitert. Es muss wohl eher vom Gegenteil ausgegangen werden. Die Sprachzerstörung beschneidet die Ausdrucksmöglichkeiten. Nur weil man etwas nicht benennen kann, heißt das aber noch lange nicht, dass man es nicht wahrnehmen kann. Ich weiß nicht, ob Wittgenstein auch diesen Sachverhalt im Auge hatte, als er den Tractatus mit dem berühmten Satz 7 schloss: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ (vgl. 2003 [1922], S. 111) Es hat allerdings den Anschein als machen sich die Anhänger einer genderneutrale Sprache diesen Satz auf ihre Weise zu Eigen. Nimmt man den Menschen die Ausdrucksmöglichkeiten um einen benennbaren Sachverhalt zu benennen, können sie natürlich auch nicht mehr darüber sprechen. Solche Maßnahmen werden in der Regel als Zensur bezeichnet. Wobei mit der genderneutralen Sprache diese Sprechverbote nicht offen politisch durchgesetzt werden, sondern als Erziehungsmaßnahme getarnt. George Orwell hat in seinem Roman „1984“ diesen Sachverhalt am Neusprech zu illustrieren versucht (vgl. 2006 [1949]). Neusprech ist die Sprache des Großen Bruders, mit der die Menschen indoktriniert werden sollen, damit sie keine Kritik mehr an dem Herrschaftssystem üben können, das sich hinter dem Großen Bruder verbirgt. Die Eliminierung der Möglichkeit die Geschlechterdifferenz zu benennen, stellt einen vergleichbaren Versuch dar, die Ausdrucksmöglichkeiten zu beschneiden. Dies ist ein weiterer Aspekt, warum ich den Eindruck habe, dass mit einer genderneutralen Sprache in Bezug auf ein bestimmtes Thema die Menschen zum Schweigen gebracht werden sollen.

Selbst wenn man davon ausgeht, es bestehe tatsächlich eine männliche Vorherrschaft, kann die Sprachzerstörung im Namen der Genderneutralität dieses Problem nicht lösen. Im Gegenteil, wenn man nicht mehr zwischen Frauen und Männern unterscheiden kann, dann lassen sich auch nicht mehr die Ungerechtigkeiten benennen, die mit der Geschlechtszugehörigkeit zusammenhängen. Weiter oben wurde bereits darauf aufmerksam gemacht, dass Sprechen nur eine, aber bei weitem nicht die einzige Form des Handelns ist. Sprechverbote würden es dann sogar erleichtern diese Ungerechtigkeiten weiter zu reproduzieren. Während munter weiter diskriminiert wird, besteht nicht mal die Möglichkeit mit Hilfe der Sprache auf diese Ungerechtigkeiten hinzuweisen. Wenn man die gemeinsam geteilte Welt nicht mal beschreiben kann, dann kann man sie erst recht nicht verändern. Vielmehr hat man sich mit seiner Sprache schön in seiner eigenen kleinen geschlechtslosen Welt eingemauert und kann nur noch passiv, hilflos und entsetzt zuschauen, wie die Ungerechtigkeiten immer größere Ausmaße annehmen.

Darüber hinaus hatte Wittgenstein von den Grenzen seiner Sprache geschrieben. Selbst wenn man den Satz 5.6 verallgemeinert, bezieht er sich auf den Wortschatz einer einzelnen Person und nicht den einer ganzen Gesellschaft. Wer also Wittgenstein bemüht, um für eine genderneutrale Sprache zu werben, gibt damit vor allem über seinen eigenen begrenzten Wortschatz Auskunft. Über den sozial verfügbaren Wortschatz ist damit nichts gesagt. Im Prinzip wird auf diese Weise auf ein entwicklungspsychologisches Problem aufmerksam gemacht und nicht auf ein soziales. Man könnte es allenfalls noch als eine nachträgliche Kritik an der Erziehung verstehen, die die Anhänger der genderneutralen Sprache genossen haben. Was von Gendertheoretikern auch gerne verschwiegen wird, ist die Tatsache, dass es bereits seit Jahrtausenden sprachliche Formen gibt, auf diese anderen Geschlechterformen hinzuweisen, die angeblich nicht beachtet werden. Hermaphroditen sind ja keine Erfindungen der Moderne, sondern spätestens seit der Antike bekannt und benannt. Wittgenstein kann also nur als schlechter Gewährsmann für die Legitimation einer genderneutralen Sprache herhalten. Der Satz 7 weist vielmehr darauf hin, wo die Schwachstellen der Gender Studies liegen. Eigentlich beruht die Idee der genderneutralen Sprache auf einem simplen Kategorienfehler: psychologische Probleme werden mit sozialen Problemen verwechselt. Ein begrenzter Wortschatz ist eben kein soziales Problem. Gleichwohl gibt es soziale Bedingungen, die zu einer Begrenzung führen können. Wie das gelingen kann, kann man ironischerweise, wie sich gezeigt hat, an der genderneutralen Sprache sehr gut studieren. Unerfüllte Aufmerksamkeitsbedürfnisse und der daraus folgende freiwillige Konformismus, um überhaupt beachtet zu werden, spielen dabei eine sehr große Rolle.

Erinnern durch Verdrängen

Den einzigen, denen mit einer genderneutralen Sprache möglicherweise geholfen wäre, sind diejenigen Personen, die sich tatsächlich keinem der beiden Geschlechter zugehörig fühlen. Aber auch in diesem Punkt bestehen ersthafte Zweifel. Denn die Möglichkeit zu der Erkenntnis, dass man sich keinem der beiden Geschlechter zugehörig fühlt, wird einem erst durch den Gegensatz von Frau und Mann gegeben. Ohne diese Unterscheidung wäre es nicht möglich überhaupt auf eine solche Idee zu kommen. Auch wenn die Unterscheidung verdrängt werden soll, bestimmen auch die vermeintlich Geschlechtslosen ihre soziale Identität in Bezug auf diese Unterscheidung, wenn auch nur dadurch, dass sie sie negieren. Trotzdem wird die Unterscheidung nicht gewechselt. Selbst wenn die Unterscheidung von Frau und Mann negiert wird, bleibt die Aufmerksamkeit trotzdem auf sie gerichtet. Worauf sollte man sie sonst richten? An diesem Sachverhalt zeigt sich eine Aporie der genderneutralen Sprache. Das Bemühen um eine genderneutrale Sprache läuft nämlich auf eine unlösbare Paradoxie hinaus, die der Paradoxie des Vergessens sehr ähnlich ist. Man kann nicht bewusst etwas vergessen, weil man sich genau dann wieder an das erinnert, was vergessen werden soll. Bei der genderneutralen Sprache ist es dasselbe Problem. Sie ist dazu entworfen worden, um etwas zu verdrängen, nämlich die Unterscheidung von Mann und Frau. Das ist ihr Zweck. Wenn man die genderneutrale Sprache benutzt, wird man aber jedes Mal auch an ihren Zweck erinnert und damit auch an die Unterscheidung, die es zu verdrängen gilt. Das macht das Verdrängen unmöglich.

Eine Flucht vor der Unterscheidung ist unmöglich

Eine eben solche Aporie stellt die Vorstellung dar, sich in eine dritte Möglichkeit flüchten zu können. Gemeinhin wird von den Gendertheoretikern angenommen, dass es sich bei der Unterscheidung von Frau und Mann um ein binäres Schema handelt. Man kann die Unterscheidung natürlich so benutzen. Dadurch versperrt man sich aber die Einsicht, dass man dieser Unterscheidung für die Konstruktion einer eigenen sozialen Identität nicht entkommen kann. Statt als binäres Schema empfiehlt es sich, diese Differenz eher als ein Kontinuum zu betrachten, mit Frau und Mann als idealtypische Endpunkte auf jeweils einer der beiden Seiten. Dazwischen eröffnet sich dann ein unerschöpflicher Spielraum für die Kombination von Attributen, die gemeinhin mit weiblich oder männlich assoziiert werden. Angefangen bei Männern, die sich wie Frauen kleiden, und Frauen, die sich wie Männer kleiden über Frauen, die mal Männer waren, und Männer, die mal Frauen waren, bis zu heterosexuellen Männern, die entweder weibliche Körperzüge oder weibliche Verhaltensweisen aufweisen, und heterosexuellen Frauen, die männliche Körperzüge oder Verhaltensweisen aufweisen. Die Aufzählung ließe sich beliebig weiter differenzieren und der binäre Gegensatz hätte sich in ein fließendes Kontinuum verwandelt, mit allen möglichen Mischformen. In diesem Kontext ist die eingangs gegebene Beschreibung von Lann Hornscheidt als Frau, die aussieht wie ein Mann und glaubt geschlechtslos zu sein, zu lesen.

Es ist wahrscheinlich einer der verbreitetsten Irrtümer unter Gendertheoretikern, dass Hermaphroditen die Unterscheidung von Frau und Mann negieren würden und dadurch auf ein drittes Geschlecht hinweisen. Sie stellen aber allenfalls die Trennschäfte der Kategorien in Frage. Trotzdem ermöglichen beide Kategorien die Beschreibung einer Person als Hermaphrodit. Die mangelnde Trennschärfe rechtfertigt aber noch nicht die Idee eines dritten Geschlechts neben Frau und Mann. Mag sein, dass das Weibliche und das Männliche Idealtypen sind, die sich in der Realität nicht finden lassen. Nichts desto trotz erlauben sie die Beobachtung und den Vergleich von Personen und geben eine Tiefe und Vielfalt in der interpersonellen Wahrnehmung, wie man sie den Gendertheoretikern nur wünschen kann, um zu erkennen, dass es die Welt, die sie beobachten nicht gibt – zumindest nicht außerhalb ihrer Vorstellung. Die Grenzen der genderneutralen Sprache sind sehr eng gezogen und ebenso oberflächlich, kurzsichtig und eindimensional ist die Welt, die sie mit ihrer verstümmelten Sprache beobachten können. Es liegt allerdings eine gewisse Tragik darin, dass, wenn der Glaube an diese Welt das Handeln bestimmt, diese Welt auch zur sozialen Wirklichkeit werden kann. Es ist also völlig zwecklos die Unterscheidung von Frauen und Männern eliminieren zu wollen. Man wird auf die eine oder andere Weise immer wieder von ihr eingeholt. Egel ob Hermaphroditen, Transsexuelle, Transgender usw., alle diese Zuschreibungen sind mit Hilfe der Unterscheidung von Frau und Mann entstanden und nicht ohne sie. Positive Aufmerksamkeit und Anerkennung kann man also nicht gegen diese Unterscheidung erlangen, sondern nur mit ihr. Darüber hinaus dekonstruiert die Kombination von weiblichen und männlichen Attributen zur Beobachtung von Personen die Vorstellung von der natürlichen Determination der sozialen Geschlechter viel wirkungsvoller als die einfache Negation der Unterscheidung.

Geschlechtslosigkeit als Inszenierung

Wenn es unmöglich ist der Unterscheidung von Frauen und Männern zu entkommen, stellt sich schließlich die soziologische Frage, welche Funktion es eigentlich hat, sich für andere als geschlechtslos zu inszenieren? Meine Vermutung ist, es handelt sich um einen modernen Versuch, sich zu einer Heiligen zu stilisieren. Durch die Selbstbeschreibung als geschlechtslos wird nicht nur versucht sich gegen die Unterscheidung von Frauen und Männern zu stemmen, sondern auch die eigene Körperlichkeit und sexuellen Bedürfnisse zu leugnen. Auf diese Weise wird versucht die eigene Menschlichkeit, die immer auch mit Körperlichkeit und Sexualität verbunden ist, zu überwinden, um sich eine übermenschliche Aura zu verleihen. Es ist der verzweifelte Versuch sich als Person mit einer Qualität auszustatten, die ein irgendwie Besser oder Überlegen im Vergleich zu anderen Personen suggerieren soll. Dabei handelt es sich jedoch um eine Art der Selbstverleugnung, in der sich die Entfremdung der angeblich Geschlechtslosen von ihrer eigenen menschlichen Existenz ausdrückt. Diese Inszenierungsversuche wirken allerdings etwas lächerlich, weil die bemüht zur Schau gestellte liberale Anerkennungsbereitschaft von allem und jedem von einer Asexualtität und Prüderie kontrastiert wird, gegen die der Puritanismus wie ein Swinger Club ausgesehen hat. Es ist interessant, dass es nur Frauen sind, die so etwas versuchen. Darauf soll wohl die Selbstbeschreibung als „feministisch“ hindeuten. Denn wie bereits bemerkt, ist Genderneutralität mit feministischen Zielsetzungen unvereinbar. Auch wenn Gendertheoretiker vorgeben gegen Diskriminierung zu kämpfen, negieren sie damit die Menschheit, also den potentiellen Anwendungsbereich der Unterscheidung von Frauen und Männern, insgesamt. Eigentlich handelt es sich bei der Idee der genderneutralen Sprache um nichts anderes als ein anti-humanistisches Ressentiment in die Form einer pseudo-wissenschaftlichen Theorie verpackt. Es ist schon bemerkenswert, wie mit der Beteuerung der guten Absichten selbst solch menschenverachtende Inhalte verbreitet werden können. Der postmoderne Hang nur noch auf die Form und nicht mehr auf den Inhalt einer Mitteilung zu achten, hat einen nicht unbeträchtlichen Anteil daran, dass dies möglich ist.

Inszenierte Geschlechtslosigkeit ist darüber hinaus der personifizierte Schuldkomplex des weißen Mannes und zugleich der Versuch diese Schuld wieder gut zu machen. Das Opfer, das Geschlechtslose dafür bringen, ist die Lossagung von der Menschheit insgesamt. Und obwohl Geschlechtslose eigentlich nichts mehr mit Menschen zu tun haben wollen, fühlen sie sich zugleich für die Grausamkeiten, die sich Menschen gegenseitig zufügen verantwortlich. Da sie aber unfähig sind sich in die diskriminierten Personen hineinzuversetzen, werden eigentlich nur alle sexistischen und rassistischen Klischees reproduziert. Die öffentlichkeitswirksame Negation dieser Klischees ändert daran noch nichts, denn das allein vermag noch nicht die Aufmerksamkeit auf andere Handlungsmöglichkeiten zu lenken. Das beste Beispiel dafür lieferte dieses Jahr das, wenn auch feministisch inspirierte, Hollaback-Video, das sexistische Gesellschaftsstrukturen aufdecken sollte, aber am Ende unfreiwillig nur die schlimmsten rassistischen Vorurteile über männliche Schwarze und Latinos der US-amerikanischen Unterschicht bestätigte. In feministischen Worten, das Video war sexistisch, rassistisch und klassistisch. Und die Alternativen, die aufgezeigt werden, können zumeist, wie am Beispiel der genderneutralen Sprache deutlich geworden sein sollte, nicht als ernsthafte Alternativen betrachtet werden, weil sie die kritisierten Missstände ebenso reproduzieren wie deren Affirmation. Auf soziale Missstände aufmerksam zu machen, bedeutet noch nicht automatisch, dass sie dann verschwinden. Die Missstände sind nur benannt, nicht mehr und nicht weniger. Mit dieser Form von Kritik wird nur die bestehende soziale Ordnung bestätigt. Insofern handelt es sich eigentlich nicht um Kritik. Das Geschlechtslose im Kampf für eine gerechtere Welt selbst wiederum ausgiebig diskriminieren müssen, macht sie dann wiederum umso menschlicher, aber mit Sicherheit nicht besser.

Im Übrigen sei darauf aufmerksam gemacht, dass Andersartigkeit an sich noch kein Grund ist, etwas zu akzeptieren und anzuerkennen. Anscheinend ist es den Befürwortern der genderneutralen Sprache noch nicht aufgefallen, dass mit der Begründung, andere Perspektiven aufzuzeigen zu wollen, Rassisten, Päderasten oder Frauenhasser mit demselben Recht auf ihrem Standpunkt beharren können und es tun. So verachtend diese Sichtweisen auch sind, auch sie können Andersartigkeit für sich in Anspruch nehmen. Nach der Beachtungslogik von Gendertheoretikern hätten solche Ansichten ein ebenso legitimes Recht auf Beachtung. Etwas zur Sprache bringen, heißt aber nicht zwangsläufig, dass es von den Adressaten auch angenommen wird. Wie bereits aufgezeigt, wird allenfalls das Bestehende bestätigt. Implizit wird seitens der Gendertheoretiker immer von einem Determinimus zwischen dem Akt des Mitteilens und der Annahme der Mitteilung durch den Adressaten ausgegangen, der faktisch nicht existiert. Mit anderen Worten, nur weil man etwas mitteilt, heißt das noch lange nicht, dass andere Personen es genauso sehen müssen. Die Möglichkeit der Ablehnung einer Mitteilung ist gleich wahrscheinlich. »Anders« heißt auch nicht zwingend immer neu. Im Vergleich zu modernen Lebensstilen war und ist das Leben in der Steinzeit oder im nationalsozialistischen Deutschland ebenso anders, aber heute bestimmt nicht mehr neu. Und ebenso wenig ist die soziale Funktion der genderneutralen Sprache neu, sondern erinnert sehr stark an die Standardmethoden totalitärer Propaganda. Auch wenn es darum gehen soll, andere Möglichkeiten aufzuzeigen, werden dafür wiederum andere Möglichkeiten unterdrückt. 

Für die Legitimation der genderneutralen Sprache wird das Etikett »Andersartigkeit« nur dazu benutzt, um andere Möglichkeiten, in diesem Fall die Möglichkeit sich als Frau oder Mann zu sehen und zu fühlen, auszuschalten. Der Anspruch anders zu sein, wird also nur instrumentalisiert. Dabei bedeutet »anders« weder moralisch besser, neu oder progressiv. Dass Vielfalt in dieser Form selbst wiederum zu einer Monokultur erstarrt, sei nur nebenbei bemerkt. Die Andersartigkeit muss für die Alternativen, die miteinander in Beziehung gesetzt werden, inhaltlich bestimmt werden. Es muss also ein Unterschied erkennbar sein, der einen Unterschied macht. »Anders« ist dabei nicht nur eine der Alternativen. Im Vergleich zueinander sind es immer beide. Diesen Sachverhalt kann man nur übersehen, wenn man bereits von vornherein eine Präferenz für eine der Alternativen hat, die man dann selbst repräsentiert. »Andersartigkeit« ist also immer eine Frage des Beobachtungsstandpunkts. Dies ist ein Hinweis, dass diejenigen, die sich für anders oder alternativ halten, nicht unvoreingenommen argumentieren. Ansonsten müssten sie erkennen, dass die Andersartigkeit nicht nur einfach behauptet werden kann, sondern inhaltlich bestimmt werden muss. Formal unterscheidet man sich durch Andersartigkeit daher überhaupt nicht von den Gegnern, die man bekämpft. Die Legitimationsstrategie für eine genderneutrale Sprache weist aufgrund dieses naiven Verständnisses von »Andersartigkeit« eine seltsame Ambivalenz auf. Zum einen soll dem Anderen seine Bedrohlichkeit genommen werden, um die Gesellschaft für das vermeintlich Andere zu desensibilisieren. Zugleich setzt man aber genau auf diesen bedrohlichen Eindruck, um die Gegner der genderneutralen Sprache zu provozieren und man ist noch stolz darauf. Dies wird deutlich, wenn die Kritik an genderneutraler Sprache nur als simpler Abwehrreflex abgewertet wird. Von Fall zu Fall mag das sogar stimmen, trotzdem ist eine Pauschalisierung nicht gerechtfertigt und fatal.

Die verstümmelte Sprache trägt dann ihr Übriges dazu bei die Groteske auf die Spitze zu treiben. So macht man sich bestimmt nicht zu einer Heiligen, aber in einer gewissen Art und Weise zu einer Unberührbaren. Darin liegt wahrscheinlich der Grund, warum Lann Hornscheidt und ihr Vorschlag aktuell noch einmal so viel massenmediale Aufmerksamkeit erhält – ein Schelm, wer dabei an eine Freakshow denkt. Auch wenn einige Medienleute wirklich daran glauben, der aufklärerische Zweck erscheint nur vorgeschoben, wenn man weiß nach welchen Kriterien die Massenmedien ihre Themenwahl treffen. Eine geschlechtslose Erscheinung hat nichts Heiliges an sich, sondern höchstens etwas Diabolisches. Über die heftigen und zum Teil überzogenen Reaktionen der Gegner braucht man sich angesichts dieser anti-sozialen Expressivität nicht zu wundern. Auch wenn es netter formuliert ist, bleibt die Botschaft genauso menschenverachtend, wie die der Gegner. Denn neben den Umprogrammierungsversuchen drückt sich in dem Versuch die Unterscheidung von Frau und Mann zu eliminieren nur der Neid und die Missgunst auf die Intimbeziehungen zwischen Frauen und Männern, zwischen Frauen und Frauen und zwischen Männern und Männer aus. Es ist also ein ziemlich hilfloser und verzweifelter Versuch durch die Negation der Unterscheidung von Frau und Mann und deren moralischer Verbrämung Aufmerksamkeit zu erregen. Eigentlich ist nichts unattraktiver als die Kommunikation von Ablehnung und Verachtung. Deswegen müssen die Befürworter der genderneutralen Sprache sich so nett geben. In den Massenmedien finden solche provokanten Versuche, Aufmerksamkeit zu erregen, trotzdem erwartungsgemäß dankbare Abnehmer - allerdings nicht mehr unbedingt beim Publikum, wie der aktuelle Vertrauensverlust in die etablierten Medien zeigt. Genderneutrale Sprache ist eigentlich nur eine entwertende Metakommunikation über Intimbeziehungen, die den Personen, die sich einbilden geschlechtslos zu sein, vermutlich verwehrt bleibt. Mit anderen Worten, genderneutrale Sprache ist ein Ausdruck von grenzenloser Egozentrik und SelbstbezogenheitMal ehrlich, wer würde sich solche unqualifizierten Kommentare schon längere Zeit gefallen lassen? Und eine Frage muss an dieser Stelle unbeantwortet bleiben: Welche intime Beziehung – und Sexualität gehört nun mal dazu – ist eigentlich zu Geschlechtslosen möglich? So bleibt möglicherweise die Präferenz der Massenmedien für alles Neue, Ungewöhnliche, Spektakuläre, Beängstigende, Empörende oder sonst irgendwie von der Normalität abweichende die einzige Hoffnung für inszenierte Geschlechtslosigkeit, um Aufmerksamkeit zu bekommen.

Jetzt ist auch mal wieder gut

Also Kinders, es bringt nichts sich darüber zu streiten, ob das Geschlecht natürlich oder sozial ist. Wie immer liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen. Mit radikalen Positionen steht man ansonsten immer irgendwann alleine da. Genderneutrale Sprache ist damit eine Alternative, die keine Alternative ist. Mit ihr wird Andersartigkeit nur vorgegaukelt. Der wechselseitigen Aufmerksamkeit können sich die Befürworter und Gegner der genderneutralen Sprache aber gewiss sein – allerdings nicht die Art von Aufmerksamkeit, die man sich vielleicht gewünscht hätte, und nicht von denjenigen, die sie einem nun schenken. Aber immerhin haben zwei Gruppen unverbesserlicher Streithanseln zueinander gefunden. In einer Mischung aus Ahnungslosigkeit und Dogmatik können beide Seiten vortrefflich aneinander vorbei diskutieren und sich gegenseitig ihrer Missachtung versichern, was ja auch eine Form von Aufmerksamkeit ist. Es ist ein Spiel, bei dem keine der beiden Seiten gewinnen kann. Der Konflikt strukturiert ihre ganze Welt – in Freund und Feind. Gleichwohl treibt beide die Illusion an, dass es möglich wäre zu gewinnen. Es sei der Hinweis erlaubt, dass es reine Zeitverschwendung ist durch die öffentliche Diffamierung um die Anerkennung des Feindes zu ringen. Die Hoffnung ihn überzeugen zu können, ist nichts anderes als die Hoffnung auf seine Anerkennung. Und wenn nicht Überzeugen das Ziel sein sollte, was ist es dann?

Wenn man den eigenen Glauben über jede empirische Evidenz stellt und Personen nur danach beurteilt, was sie sagen und nicht auch nach dem was sie tun, werden sich die Grenzen der eigenen Sprache und damit die Grenzen der eigenen Welt niemals verschieben lassen. Von mir aus könnt Ihr euch bis in alle Ewigkeit miteinander streiten. Aber zieht bitte keine Unbeteiligten in Eure verrückten Spiele mit rein. Es würde sicherlich auch nicht schaden ab und zu mal Kontakt zu Personen zu suchen, die einen nicht gleich aufgrund ihres Glaubens akzeptieren oder ablehnen. Nichts verzerrt die eigene Wahrnehmung verlässlicher als die Fixierung auf Personen, die einen entweder bedingungslos akzeptieren oder ablehnen. Es wäre also dringend an der Zeit nicht nur die eigene Sprache, sondern auch das eigene Handeln zu reflektieren. Reflexion kann erst beginnen, wenn man den Unterschied zwischen Reden und Handeln akzeptiert, denn Reflektieren im strengen Sinne bedeutet zu prüfen, ob die im Reden beanspruchten Werte sich auch im Handeln einer Person widerspiegeln. Genderneutrale Sprache ist einer, aber bei weitem nicht der einzige Versuch, die Sprache, die den Vergleich zwischen Reden und Handeln ermöglicht, für politische Zwecke weg zu theoretisieren. Dass solche anti-aufklärerischen Unternehmungen auch mit Steuergeldern finanziert werden, das ist der Skandal. Und den Diskriminierten ist durch Sprachzerstörung nicht mal ansatzweise geholfen.





Literatur
Lorenzer, Alfred (2000 [1970]): Sprachzerstörung und Rekonstruktion. Vorarbeiten zu einer Metatheorie der Psychoanalyse. 5. Auflage Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main
Mead, George Herbert (1973 [1934]): Geist, Identität und Gesellschaft. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main
Orwell, George (2006 [1949]): 1984. 28. Auflage Ullstein Verlag Berlin
Wittgenstein, Ludwig (2003 [1922]): Logisch-philosophische Abhandlung. Tractatus logico-philosophicus. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main

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