„Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“
Dieser berühmte Satz von Niklas
Luhmann stammt aus seinem Buch "Die Realität der Massenmedien" (2004 [1995], S. 9) und
sollte vermutlich die zentrale Rolle der Massenmedien in der modernen
Gesellschaft betonen. Er suggeriert, dass die Massenmedien heute die einzige Informationsquelle sind, mit
deren Hilfe man sich über die Welt informieren kann. Dieses Zitat vermittelt allerdings in zweierlei Hinsicht ein verzerrtes Bild über die Funktion der Massenmedien in der modernen Gesellschaft.
Zum einen wird die Funktion der Massenmedien maßlos übertrieben. Denn man erlangt
nicht sein vollständiges Wissen über die Welt aus den Massenmedien. Sicherlich
werden einem über die Massenmedien Informationen aus Bereichen zugänglich
gemacht, die einen über persönliche Kontakte kaum erreichen würden. Anderseits
liefern die Massenmedien keine Informationen über den persönlichen
Nahbereich, in dem man Beteiligungs- und Gestaltungsmöglichkeiten hat. Das gilt
für das Privatleben ebenso wie für das Berufsleben. Über die Personen mit denen
man täglichen Umgang hat, erfährt man – außer man hat selbst einen Beruf im
Showbusiness – nichts aus den Massenmedien. Informationen über sie erhält man vorwiegend
durch die Interaktion mit ihnen. Diese Überlegung führt zum zweiten Aspekt des
verzerrten Bildes, das dieses Zitat suggeriert. Das Zitat ist nicht nur eine
Aussage über die Funktion der Massenmedien in der modernen Gesellschaft,
sondern zugleich auch eine Aussage darüber, wie Wissen heute produziert und
verteilt wird. Ich möchte im Folgenden zunächst auf die wissenssoziologische
Hintergrundannahme dieses Zitats eingehen. Diese Annahme korrespondiert mit
einer von zwei existentiellen Grundhaltungen, mit denen Menschen ihrer Umwelt entgegentreten
können. Im zweiten Schritt werden diese beiden Grundhaltungen, die als partizipierendes und nicht-partizipierendes Bewusstsein bezeichnet werden, skizziert. Bestimmte Erfahrungen
zusammen mit dem Fehlen anderer Erfahrungen können die Bildung einer der beiden
Grundhaltungen begünstigen. Auf der Grundlage dieser Überlegungen wird in einem dritten Schritt ein erneuter Blick auf die gesellschaftliche Funktion der Massenmedien
geworfen.
Wissen
Eine der wichtigsten Einsichten
meines letzten großen Textes „Die Beobachtung der Beobachtung 3.3 - Wissen
in der modernen Gesellschaft“ war, dass Wissen durch Kommunikationsteilnahme
produziert und verbreitet wird. In der üblichen systemtheoretischen Diktion
könnte man auch sagen, Wissen wird durch Kommunikation produziert und
verbreitet. Damit würde aber der wichtigste Aspekt dieses Prozesses verloren gehen,
der sich hinter dem Wort »Teilnahme« verbirgt. Es handelt sich um den Umstand,
dass Kommunikation ohne die aktive
Teilnahme von Menschen nicht funktionieren würde. Kommunikation – hier ist
zunächst nur die Kommunikation unter Anwesenden gemeint – erfordert nicht nur
die Aufmerksamkeit der Kommunikationsteilnehmer, sondern auch die
Inanspruchnahme des menschlichen Körpers. Nicht das Bewusstsein einer Person
verhält sich, denn das bleibt für die Kommunikationspartner unbeobachtbar,
sondern der Körper. Und nur durch die Informationen, die sich am Verhalten der
Körper ablesen lassen, ist überhaupt die Vermutung entstanden, dass er ein
System enthält, das heute entweder »Bewusstsein« oder »Psyche« genannt wird. Je
stärker Aufmerksamkeit und Körper für die Kommunikationsbeteiligung in Anspruch
genommen werden, desto intensiver ist die Erfahrung und desto stärker bleibt sie
im Gedächtnis haften. Dies gilt für positiv und negativ empfundene Erfahrungen.
Die Intensität der Erfahrung kann dadurch gemindert werden, dass entweder nur
der Körper beansprucht wird, dafür aber nicht die Aufmerksamkeit, oder nur die Aufmerksamkeit, dafür aber nicht der Körper. Ersteres stellt sich häufig bei Routinehandlungen,
wie man sie aus der Industrieproduktion vor der Automatisierung kennt, ein.
Letzteres kennt man von rein rezeptiven Tätigkeiten, wie das Lesen eines Buches
oder das Schauen eines Films. Während im ersten Fall nur der Körper an der
Situation beteiligt ist, ist man in Gedanken möglicherweise ganz wo anders. Im
zweiten Fall ist nur die Aufmerksamkeit aktiv und der Körper stillgestellt.
Insofern kann man sich fragen, in wie weit man als Person überhaupt an einer
solchen Situation beteiligt ist. Diese Beobachtung ist entscheidend für die
Beurteilung des obigen Zitats.
Zunächst sei noch darauf
hingewiesen, dass die beiden Extrembeispiele, durch die eine Art Kontinuum der
Beteiligungsintensität eröffnet wird, Tätigkeiten sind, die man allein
ausführt. Nichts desto trotz gelten die Variablen Körper- und Aufmerksamkeitsbeteiligung
auch im Hinblick auf Interaktionssituationen. Die intensivsten Erfahrungen
macht man, wenn Körper und Aufmerksamkeit in gleichem Maße in Anspruch genommen
werden. Entsprechend nachhaltig bleiben die Erinnerungen an solche Situationen
im Gedächtnis. Bei positiven Erfahrungen kann sich das einstellen, was Mihaly Csikszentmihaly
als flow-Erlebnis bezeichnet (vgl.
2010 [1990]). Durch solche Erfahrungen kommt es in der Persönlichkeitsentwicklung
zu einer Differenzierung des Bewusstseins im Hinblick darauf, was als relevante
Information betrachtet werden kann, und eine Verfeinerung der motorischen
Fähigkeiten des Körpers. Es kommt also zu einer Ko-Evolution von Aufmerksamkeit
und den motorischen Fähigkeiten, in dessen Verlauf die Erwartungen an die
auslösenden Informationen bzw. die Stimuli immer weiter steigen können. Das
heißt, die Intensität der Erfahrung kann nicht einfach, gleichsam mechanisch,
reproduziert werden. Menschen funktionieren nicht wie Maschinen. Häufig
beginnen die Probleme dann, wenn sie trotzdem so behandelt werden. Das gilt in psychologischer und soziologischer Hinsicht, denn eine solche
verdinglichende Behandlung kann einem sowohl von anderen zu teil werden als
auch durch sich selbst. Je häufiger eine bestimmte Erfahrung wiederholt wird,
desto geringer ist die gefühlte Intensität. Mit der Zeit stellt sich also eine
gewisse Toleranz gegenüber äußeren Reizen ein und ihre Attraktivität verblasst.
Aufmerksamkeit und Körper werden nicht mehr so stark gefordert wie früher. Also
sucht man sich neue, anspruchsvollere Herausforderungen, um dieselbe Intensität erfahren
zu können. Auf diese Weise entsteht häufig der Wunsch aus den bestehenden
Routinen und Verhältnissen auszubrechen. Neue Beteiligungsmöglichkeiten können dadurch zunächst als Befreiung empfunden werden. Im Laufe der Zeit können sie aber selbst zu einem Gefängnis werden. Dies hängt maßgeblich von der Ausgestaltung der Beteiligungsmöglichkeiten ab. Erlauben sie es den beteiligten Personen mit der Zeit ihre Fähigkeiten durch neue Herausforderungen weiterzuentwickeln oder erlauben sie nur eine gleichsam mechanische Wiederholung derselben Handlungsabläufe?
Durch den inneren wechselseitigen Koordinationsbedarf von psychischem Erleben und körperlichem Handeln prägt sich im Verlauf dieser Ko-Evolution von Körper und Aufmerksamkeit das jeweilige Wissen über Themen und Personen immer tiefer ein und differenziert sich immer weiter aus – sinnhaft und emotional. Die Beteiligungsmöglichkeiten, die durch die Gesellschaft zur Verfügung gestellt werden, können diese Entwicklung fördern oder behindern. Weil Beteiligungsmöglichkeiten zugleich auch Formen der Wissensproduktion und -verbreitung sind, wird ebenso die soziale Evolution der Wissensbestände gefördert oder behindert. Eine optimale Koordination von Körper und Aufmerksamkeit ist zu einem gewissen Maße eine Idealvorstellung, aber eine die durchaus erreichbar ist. Über die Frage, wie man diese erreichen kann, lassen sich Antworten finden, wie man zu einem ausgeglichenen Verhältnis zu seiner Umwelt und zu sich selbst finden kann.
Durch den inneren wechselseitigen Koordinationsbedarf von psychischem Erleben und körperlichem Handeln prägt sich im Verlauf dieser Ko-Evolution von Körper und Aufmerksamkeit das jeweilige Wissen über Themen und Personen immer tiefer ein und differenziert sich immer weiter aus – sinnhaft und emotional. Die Beteiligungsmöglichkeiten, die durch die Gesellschaft zur Verfügung gestellt werden, können diese Entwicklung fördern oder behindern. Weil Beteiligungsmöglichkeiten zugleich auch Formen der Wissensproduktion und -verbreitung sind, wird ebenso die soziale Evolution der Wissensbestände gefördert oder behindert. Eine optimale Koordination von Körper und Aufmerksamkeit ist zu einem gewissen Maße eine Idealvorstellung, aber eine die durchaus erreichbar ist. Über die Frage, wie man diese erreichen kann, lassen sich Antworten finden, wie man zu einem ausgeglichenen Verhältnis zu seiner Umwelt und zu sich selbst finden kann.
Teilnehmendes
und nicht-teilnehmendes Bewusstsein
Wenn man berücksichtigt, dass verschiedene
Aktivitäten den Körper in unterschiedlichem Maße in Anspruch nehmen, lässt sich
bereits erahnen, dass sich auch die Fähigkeit zur Koordination von Körper und Aufmerksamkeit
in unterschiedlichem Maße entwickelt. Solche Aktivitäten, die den Körper
entweder mehr oder weniger in Anspruch nehmen, können schließlich auch die Beziehungen
einer Person zu sich selbst und zu ihrer Umwelt maßgeblich prägen. Überwiegen
die Tätigkeiten, bei denen der Körper beansprucht wird, desto ausgeprägter ist
auch das Körpergefühl und man definiert sich mehr über die körperliche
Leistungsfähigkeit. Überwiegen jedoch die Tätigkeiten, bei denen das
Bewusstsein beansprucht wird, desto weniger ist das Körpergefühl ausgeprägt und
man definiert sich mehr über seine geistige Leistungsfähigkeit. Wenn es gelingt
erlangtes Wissen durch Körperaktivitäten sinnhaft und emotional zu bestätigen,
dann kann sich etwas entwickeln, was teilnehmendes
Bewusstsein genannt wird. Es ist der Mittelweg zwischen den beiden vorher genannten Extremen. Den Begriff »teilnehmendes« bzw. »partizipierendes
Bewusstsein« übernehme
ich von Morris Berman (vgl. 1983 [1981], S. 18f.). Er hat diesen Begriff unter
anderem im Anschluss an Ronald D. Laings Modelle der gesunden und schizoiden Interaktion
entwickelt (vgl. 1976 [1960], S. 69). Diesen Modellen liegt die Annahme zu Grunde, dass
sich Erleben im Handeln und Handeln im Erleben bestätigen. Ausgehend von
diesem Rückkopplungsverhältnis beschreiben die beiden Modelle, wie durch die
Formen der wechselseitigen Bestätigung von Erleben und Handeln sich ein
verkörpertes Selbst oder ein unverkörpertes, geteiltes Selbst entwickeln kann.
Das, was Laing als verkörpertes Selbst bezeichnet, bezeichnet Berman als
partizipierendes Bewusstsein und das, was Laing als unverkörpertes, geteiltes
Selbst bezeichnet, bezeichnet Berman als nicht-partizipierendes
Bewusstsein. Sowohl Laing als auch Berman geht es dabei um die
Unterscheidung von zwei gegensätzlichen existentiellen Grundhaltungen zur
Umwelt und sich selbst, die sich aus dem Prozess der persönlichen Beteiligung
an Kommunikation entwickeln. Während das verkörperte Selbst bzw. das
partizipierende Bewusstsein dadurch gekennzeichnet ist, dass die betreffende
Person sich darüber bewusst ist, dass sein Handeln Konsequenzen positiver oder
negativer Art für die eigene Person nach sich ziehen kann, zeichnet sich das
unverkörperte Selbst bzw. das nicht-partizipierende Bewusstsein dadurch aus,
dass es sich so verhält als ob ihr Handeln keinerlei Konsequenzen für die
eigene Person hätte. Mit anderen Worten, ein Indikator für das Vorhandensein eines nicht-partizipierendes Bewusstsein ist, wenn eine Person sich so verhält als wäre sie nicht Teil der Welt, in der sie handelt. Dann kann sich das psychische Erleben nicht mehr im Handeln bestätigen oder widerlegen.
Entsprechend sinnlos wird dann das Handeln und das Erleben bestätigt sich nur
noch selbst, wodurch es psychotisch und illusionär wird [1]. Die Entstehung dieser beiden
Grundhaltungen kann nur anhand der persönlichen Geschichte der Kommunikationsbeteiligung
nachvollzogen werden.
Auf der
Grundlage dieser Überlegungen über die Rolle des Körpers bei der Wissensproduktion deutet sich schon an, dass die Massenmedien bei der
Produktion und Verbreitung des relevanten Wissens für das Erkennen und Wahrnehmen von Beteiligungsmöglichkeiten im
persönlichen Nahbereich eine eher untergeordnete Rolle spielen. Das eingangs vorgestellte Luhmann-Zitat scheint diesen Umstand nicht zu berücksichtigen. Vielmehr suggeriert es, dass alle Menschen nur noch vor Büchern oder Bildschirmen hocken - also körperlich nicht sehr anspruchsvolle Tätigkeiten - und die Welt beobachten, die die Massenmedien präsentieren. Man muss zumindest feststellen, dass es ein sehr verkürztes Verständnis über die Produktion und Verbreitung von Wissen vermittelt. Da es sich bei massenmedialer Kommunikation um Kommunikation unter Abwesenden handelt, lassen sich hinsichtlich der Beteiligungsmöglichkeiten zwei Aspekte voneinander unterscheiden: die Relevanz der massenmedial zugänglichen Informationen für die Beteiligung an Kommunikation unter Abwesenden und unter Anwesenden.
Die wichtige Funktion des Körpers bei der menschlichen Kommunikationsbeteiligung besteht darin, dass sich das Wissen im Handeln bestätigt. Er gibt, mit anderen Worten, durch die Wahrnehmung und die Emotionen eine viel dichtere und intensivere Art von Feedback als es rein geistige Aktivitäten könnten. Die ausgewogene Inanspruchnahme von Körper und Aufmerksamkeit schärft die realistische Wahrnehmung und ermöglicht sinnvolles Handeln. Wenn man sich sein Wissen über die Welt nur über die Massenmedien verschafft, dann ist das Feedback aufgrund der Beteiligungsmöglichkeiten, die sie bieten, nicht sehr intensiv. Darüberhinaus bleiben die Mitteilungen via Internet weitestgehend ohne Konsequenzen für den persönlichen Nahbereich. Es kommt zwar auch zum Feedback. Aber darauf muss man sich nicht zwingend einlassen, denn Folgen hat es so gut wie keine, wenn man eine Kritik aus dem Internet ignoriert. Es hängt maßgeblich von der jeweiligen Person ab, ob sie sich von dem Feedback irritieren lässt oder nicht. Die durch die Abwesenheit der Kommunikationspartner geschaffene Distanz macht dies nur leichter als in einer Situation, in der sich die Kommunikationspartner Auge in Auge gegenüberstehen. Durch fehlendes Feedback kann sich weder die Wahrnehmung verfeinern, noch kann das erlangte Wissen in sinnvolles Handeln umgesetzt werden. Eine Möglichkeit der Korrektur gibt es in diesem Fall nicht. Außerdem werden lediglich die Erlebensmöglichkeiten durch die unüberschaubare Anzahl von Sinnangeboten via Massenmedien erweitert. Die Beteiligungsmöglichkeiten sind jedoch weitestgehend gleich geblieben. Mit dem Internet hat sich lediglich die Asymmetrie zwischen den etablierten massenmedialen Institutionen und dem Publikum verringert.
Die wichtige Funktion des Körpers bei der menschlichen Kommunikationsbeteiligung besteht darin, dass sich das Wissen im Handeln bestätigt. Er gibt, mit anderen Worten, durch die Wahrnehmung und die Emotionen eine viel dichtere und intensivere Art von Feedback als es rein geistige Aktivitäten könnten. Die ausgewogene Inanspruchnahme von Körper und Aufmerksamkeit schärft die realistische Wahrnehmung und ermöglicht sinnvolles Handeln. Wenn man sich sein Wissen über die Welt nur über die Massenmedien verschafft, dann ist das Feedback aufgrund der Beteiligungsmöglichkeiten, die sie bieten, nicht sehr intensiv. Darüberhinaus bleiben die Mitteilungen via Internet weitestgehend ohne Konsequenzen für den persönlichen Nahbereich. Es kommt zwar auch zum Feedback. Aber darauf muss man sich nicht zwingend einlassen, denn Folgen hat es so gut wie keine, wenn man eine Kritik aus dem Internet ignoriert. Es hängt maßgeblich von der jeweiligen Person ab, ob sie sich von dem Feedback irritieren lässt oder nicht. Die durch die Abwesenheit der Kommunikationspartner geschaffene Distanz macht dies nur leichter als in einer Situation, in der sich die Kommunikationspartner Auge in Auge gegenüberstehen. Durch fehlendes Feedback kann sich weder die Wahrnehmung verfeinern, noch kann das erlangte Wissen in sinnvolles Handeln umgesetzt werden. Eine Möglichkeit der Korrektur gibt es in diesem Fall nicht. Außerdem werden lediglich die Erlebensmöglichkeiten durch die unüberschaubare Anzahl von Sinnangeboten via Massenmedien erweitert. Die Beteiligungsmöglichkeiten sind jedoch weitestgehend gleich geblieben. Mit dem Internet hat sich lediglich die Asymmetrie zwischen den etablierten massenmedialen Institutionen und dem Publikum verringert.
Für persönliche Kontakte sind die massenmedial verbreiteten Informationen sicherlich nicht völlig irrelevant, denn man kann sie als Gesprächsanlässe verwenden. Gleichwohl lässt sich darüber keine besonders tiefe Beziehung zueinander aufbauen, denn meistens unterhält man sich dann über Dinge, die beide Gesprächspartner nicht direkt betreffen und auf die sie auch keinen unmittelbaren Einfluss haben. Das heißt, massenmedial verbreitete Informationen haben nur sehr geringe Konsequenzen auf die Umsetzung dieser Informationen in situationsbezogenes Handeln, das über Reden selten hinausgehen. Die Themen, über die die Massenmedien informieren, haben selbst einen nicht unbeträchtlichen Einfluss auf das Erkennen von Beteiligungsmöglichkeiten. Die Massenmedien bringen die weltweiten Probleme direkt nach Hause ins Wohnzimmer. Zumeist sind das jedoch nicht die eigenen Probleme. Trotzdem wird man dazu verführt sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Dies kann soweit gehen, dass man darüber hinaus vergisst, sich mit den Problemen auseinanderzusetzen, die einen selbst betreffen.
Die Bedeutung der Körperbeteiligung ist also für die Ausbildung einer realistischen Wahrnehmung und für sinnvolles Handeln nicht zu unterschätzen, denn der Körper ist die vermittelnde Instanz zwischen psychischem Erleben und sozialem Handeln. Er ist maßgeblich an der Bewertung von Informationen beteiligt, was in einem weiteren Schritt die informationelle Offenheit bzw. die psychische Irritationsfähigkeit beeinflusst. Je weniger körperliche Aktivitäten im Leben einer Person eine Rolle spielen, desto größer ist das Risiko ein nicht-partizipierendes Bewusstsein zu entwickeln. Das gilt besonders wenn man sich zu stark von Massenmedien als Informationsquelle abhängig macht. Sie machen es sowohl sehr einfach Informationen zu ignorieren als auch mehr Informationen zu beachten als man möglicherweise verarbeiten kann. Die geringe Intensität der Beteiligung, das Gefälle zwischen Erlebens- und Beteiligungsmöglichkeiten und die fehlende persönliche Betroffenheit können dazu beitragen, dass sich das Gefühl entwickelt der Welt enthoben zu sein, weil man zu stark auf geistige Tätigkeiten eingeschränkt wird. Dies kann zu einer Überbetonung des Selbst oder zu Selbstvergessenheit führen, je nach dem ob die Relevanzkriterien zu rigide gestaltet sind und die Irritationsfähigkeit zu stark reduziert wird oder ob die Relevanzkriterien zu locker gestaltet sind und die Irritationsfähigkeit zu stark erhöht wird. Beides kann die Ausbildung eines nicht-partizipierenden Bewusstseins begünstigen. In beiden Fällen entwickelt sich nur eine geringe Irritationsfähigkeit für die Folgen des eigenen Handelns. Ein Verantwortungsgefühl kann sich auf diese Weise bei einer Person kaum ausbilden. Indikatoren für die Überprüfung, ob sich die eigenen Erwartungen im Handeln realisiert haben, hat sie nur schwach entwickelt. Ihre Sprache bleibt daher unpräzise und diffus, weil sie nicht durch Erfahrung gesättigt ist.
Das Vorangegangene sollte
allerdings nicht als ein Plädoyer für den Verzicht auf massenmediale Angebote verstanden werden. Es geht mir nur darum auf das Risiko hinzuweisen. Die
Massenmedien können trotzdem wertvolle Informationen zur Verfügung stellen, die
es wert sind sich den beschriebenen Risiken zu stellen. Es kommt auf den
richtigen Umgang mit ihnen an. Ein Bewusstsein darüber, wie man bei
verschiedenen Beteiligungsmöglichkeiten psychisch und körperlich in Anspruch
genommen wird, kann dabei helfen den Risiken aus dem Weg zu gehen, indem man in anderen Tätigkeiten einen Ausgleich findet. Das Risiko ein nicht-partizipierenden Bewusstseins zu entwickeln, ist durch die Massenmedien sicherlich gestiegen. Dieses Risiko besteht jedoch auch ohne sie. Entscheidend ist die Form der Kommunikationsbeteiligung, die immer auch ein Selbstschutz ist. Je nachdem vor welchen Informationen man sich schützen will, kann sich ein nicht-partizipierendes Bewusstsein auch bei einer überwiegenden Kommunikation unter Anwesenden bilden.
Partizipierendes Bewusstsein und
Massenmedien
Im Kontext der vorangegangenen Überlegungen muss ich das obige Luhmann-Zitat als Ausdruck eines
nicht-partizipierendes Bewusstseins lesen. Ich möchte Luhmann zwar nicht
generell unterstellen, dass seine komplette Theorie aus dem Geiste des
nicht-partizipierenden Bewusstseins entsprungen ist. Dieses Zitat scheint mir
jedoch ziemlich klar diesem Geiste zu entspringen [2]. Es stellt sich
allerdings die Frage, ob Luhmann es wirklich so gesehen hat oder ob er
lediglich dem journalistischem Selbstverständnis entgegenkommen wollte – also
ob es vielleicht eine ironische Anspielung war. Heute kann man darüber nur
spekulieren. Immerhin hatte bereits Arnold Gehlen gesehen, dass unter anderem
Journalisten, Schriftsteller und Redakteure sich den gesellschaftlichen
Konflikten entzogen haben und diese durch ihre Arbeiten zugleich weiter
befeuern (vgl. 2004 [1969], S. 151f.). Sie sind eigentlich nicht an den gesellschaftlichen
Konflikten beteiligt, nehmen aber qua Beruf doch an ihnen teil. Sie nehmen
quasi nur von den Zuschauerplätzen am Spielfeldrand teil. Trotzdem beeinflussen
sie durch ihre Beiträge das Spiel, aber ohne Konsequenzen für die eigene Position. Zugleich wollen
sie aber die Folgen ihres Handelns nicht wahrhaben. Damals befasste sich Gehlen
mit dieser Art des Handelns noch unter dem Etikett »Gesinnungsethik“
im Unterschied zu einer Verantwortungsethik. Damit hatte er bereits das identifiziert, was hier als
nicht-partizipierendes Bewusstsein im Unterschied zu einem partizipierenden
Bewusstsein behandelt wird. Nicht nur das Publikum steht also unter dem
ständigen Risiko ein solches zu entwickeln. Da es eine große Schnittmenge
zwischen dem Tätigkeitsprofil des Publikums und dem der journalistischen Profis
gibt, begünstigen die Beteiligungsmöglichkeiten auch bei letzteren die Bildung eines
nicht-partizipierenden Bewusstseins. Es lassen sich einige Hinweise finden,
dass es schon weit verbreitet ist. Dazu muss ich allerdings etwas weiter
ausholen und bei dem vorherrschenden Verständnis von Meinungsfreiheit beginnen.
Es muss festgestellt werden, dass
in Europa einige gravierende Missverständnisse bezüglich der Meinungsfreiheit in einem demokratischen System verbreitet sind.
Speziell die Reaktionen, die das Attentat auf die Charlie-Hebdo-Redaktion in
Paris nach sich zogen, haben gezeigt, dass mit Meinungsfreiheit häufig die Erwartung verbunden
wird, dass man alles sagen darf ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. So kann man z. B. in einem FAZ-Online-Artikel von Roberto Saviano Folgendes lesen: „Meinungsfreiheit heißt, man braucht nicht zu überlegen, ob man etwas sagen darf oder nicht.“ Meinungsfreiheit
ist aber nicht dazu da alles, auch jede noch so haltlose oder beleidigende
Behauptung, äußern zu können ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Wäre dem so, dann würde es sich nur um apodiktische Verlautbarungen handeln, die man folgenlos in die
Welt setzt. Eine Beteiligung anderer Personen durch Gegenrede ist nicht
vorgesehen. Feedbackmöglichkeiten sind bei diesem Verständnis von Meinungsfreiheit nicht erwünscht. Dahinter versteckt sich letztlich nichts anderes als die Forderung nach Narrenfreiheit.
Meinungsfreiheit kann aber nur dann eine gesellschaftliche Funktion haben, wenn die Äußerung der eigenen Meinung Konsequenzen hat, d. h. wenn kein Monolog sondern ein Dialog geführt wird, an dem mehrere Personen beteiligt sind. Mit den Konsequenzen sind natürlich nicht staatliche Repressionen gemeint, sondern Äußerung anderer Ansichten zum selben Thema. Die soziale Funktion der Meinungsfreiheit besteht letztlich darin zu wissen, was andere Personen zum selben Thema denken, um gegebenenfalls darauf mit Gegenargumenten reagieren zu können. Eine der charakterlichen Grundvoraussetzungen, um an demokratischen Prozessen teilnehmen zu können, besteht deswegen darin, unvoreingenommen die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass man mit seiner Meinung entweder falsch liegen könnte oder, was vermutlich häufiger der Fall ist, nicht alles bedacht hat. In der modernen hochkomplexen und unübersichtlichen Gesellschaft ist dies völlig normal. Insofern sollte man jede andere Meinung zunächst mal als Erweiterung des eigenen Horizontes ernst nehmen. Die Reaktionen können dann zum Korrektiv der eigenen Meinung werden oder zumindest das eigene Bild noch erweitern und differenzieren. Der zivilisatorische Fortschritt einer demokratischen Organisation des politischen Systems besteht darin, dass ein unblutiger Wechsel der Regierung möglich wird. Die politische Auseinandersetzung mit Gewalt wird ersetzt durch eine Auseinandersetzung mit Worten. Ohne die Überzeugungsbereitschaft der beteiligten Personen kann eine Demokratie jedoch nicht funktionieren.
Meinungsfreiheit kann aber nur dann eine gesellschaftliche Funktion haben, wenn die Äußerung der eigenen Meinung Konsequenzen hat, d. h. wenn kein Monolog sondern ein Dialog geführt wird, an dem mehrere Personen beteiligt sind. Mit den Konsequenzen sind natürlich nicht staatliche Repressionen gemeint, sondern Äußerung anderer Ansichten zum selben Thema. Die soziale Funktion der Meinungsfreiheit besteht letztlich darin zu wissen, was andere Personen zum selben Thema denken, um gegebenenfalls darauf mit Gegenargumenten reagieren zu können. Eine der charakterlichen Grundvoraussetzungen, um an demokratischen Prozessen teilnehmen zu können, besteht deswegen darin, unvoreingenommen die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass man mit seiner Meinung entweder falsch liegen könnte oder, was vermutlich häufiger der Fall ist, nicht alles bedacht hat. In der modernen hochkomplexen und unübersichtlichen Gesellschaft ist dies völlig normal. Insofern sollte man jede andere Meinung zunächst mal als Erweiterung des eigenen Horizontes ernst nehmen. Die Reaktionen können dann zum Korrektiv der eigenen Meinung werden oder zumindest das eigene Bild noch erweitern und differenzieren. Der zivilisatorische Fortschritt einer demokratischen Organisation des politischen Systems besteht darin, dass ein unblutiger Wechsel der Regierung möglich wird. Die politische Auseinandersetzung mit Gewalt wird ersetzt durch eine Auseinandersetzung mit Worten. Ohne die Überzeugungsbereitschaft der beteiligten Personen kann eine Demokratie jedoch nicht funktionieren.
Aber auch in einer Demokratie kann man einiges
falsch machen, je nachdem wie man sich an dieser Auseinandersetzung beteiligt.
Wenn die Auseinandersetzung nicht mit themenbezogenen Argumenten geführt wird,
sondern mit persönlichen Beleidigungen oder der Reduktion der Gegner auf Klischees, fördert das nicht
die Überzeugungsbereitschaft bei den Konfliktparteien. Während Argumente in der
Sache gute Gründe für eine bestimmte Position offenlegen können, auf die sich
jeweils auch die Gegenseite einlassen muss, um einen Kompromiss zu erzielen,
zeigen persönliche Beleidigungen nur, dass es nicht um die Lösung des Konflikts
geht, sondern um die eigene Macht. Wird die demokratische Meinungsbildung durch den
Austausch von Beleidigungen geprägt, werden damit nur bestehende Ressentiments
bestätigt und verstärkt. Die Angesprochenen können sich jedoch unmöglich
auf solche abwertenden Äußerungen einlassen. Das macht mit der Zeit eine themenfokussierte
Auseinandersetzung immer schwieriger. Die Fronten verhärten sich. Die
politische Auseinandersetzung hat dann seinen Zweck nur noch in der
Unterhaltung und Belustigung der jeweiligen Anhängerschaft. Offenheit und
Reflexionsfähigkeit zum Zwecke der Meinungsbildung wird auf diese Weise nicht
gefördert, sondern eher die ressentiment-gestärkte Ignoranz. Wenn die
Auseinandersetzung nur über persönliche Beleidigungen und Reduktion auf
Klischees geführt wird, nehmen beide Seiten nicht wirklich an der Kommunikation
teil, sondern tun nur so. Dies hat zwar den Vorteil, dass man einem direkten
Vergleich der politischen Positionen ausweichen kann. Es wird dann aber nur
noch, wenn man so sagen darf, zu den Bekehrten gepredigt. Auf diese Weise
gewinnt man weder neue Anhänger noch motiviert man den politischen Gegner zu
einer Kooperation – und wenn doch, dann nur sehr widerwillig. Wer sich nicht
verändern will, weicht daher gern auf die persönliche Ebene aus.
Es besteht jedoch das nicht
unbeträchtliche Risiko, dass diese Schaukämpfe vom Publikum als solche
durchschaut werden und immer mehr Menschen sich resigniert abwenden. Daran
offenbart sich ein grundlegender Fehler in der strategischen Ausrichtung vieler
Parteien. Sie sind von der Richtigkeit ihrer Position so überzeugt, dass sie es in der Vergangenheit schlicht nicht für nötig gehalten haben, diese weitergehend zu begründen. Dies
musste zwangsläufig auf eine Verteidigung des Erreichten hinauslaufen, ohne
dass man sich Gedanken über die Gewinnung neuer Anhänger gemacht hat. Während
sich die etablierten Gegner immer noch mit sich selbst beschäftigen, wachsen
außerhalb der massenmedialen Aufmerksamkeit neue politische Bewegungen heran [3].
Wie im Falle von Pegida sind die Überraschung und das Entsetzen groß, wenn sie
plötzlich und unerwartet an die Öffentlichkeit treten. Interessanterweise
katalysiert sich an der Pegida-Bewegung aus, dass die Diskussionskultur der
Anti-Pegida-Bewegung ebenso vorurteilsbeladen ist, wie die der Pegida selbst.
Zu mehr als der Nazi-Keule, die heute auch schon niemanden mehr abschreckt,
oder schlichtes Niederbrüllen und –pfeifen sind die Anhänger der
Anti-Pegida-Bewegung auch nicht fähig. Bemerkenswert ist die Regelmäßigkeit solcher Reaktionen von linker Seite. Sie haben die Erwartungssicherheit eines Automaten. Eine demokratische Auseinandersetzung
sieht anders aus. Letztlich versucht die Anti-Pegida-Bewegung den Konflikt
wieder in die alten Bahnen des Rechts-Links-Gegensatzes zu kanalisieren,
während die Pegida-Bewegung zum Teil bemüht ist sich nicht in das alte
Rechtsaußen-Klischee drängen zu lassen. Wie ernst das gemeint ist, wird die
Zukunft zeigen [4]. Bei solchen Formen der politischen Auseinandersetzung geht es mehr um Selbstbestätigung als ums Überzeugen von anderen Personen. Die ausgetragenen politischen Konflikte werden auf diese Weise nicht gelöst, sondern vertieft und blockieren die weitere Entwicklung einer Gesellschaft. Denn diese Selbstbestätigungsmethoden funktionieren über kommunikative Exklusionsversuche. Abwertende Mitteilungen sind ausschließend, denn sie ziehen Grenzen zwischen sich selbst und den Anderen. Wenn öffentlich das Risiko einer Spaltung der Gesellschaft beschworen wird, um einen Konsens herzustellen, dann handelt es sich dabei ironischerweise bereits um einen Spaltungsversuch. Man kann nur hoffen, dass der Rechts-Links-Gegensatz,
der die Entwicklung Deutschlands seit Jahrzehnten blockiert, endlich
überwunden wird.
Wissensproduktion durch echte Teilnahme
bedeutet also zwangsläufig Veränderung – und zwar bei allen Beteiligten. Damit dies jedoch
funktionieren kann, muss bei allen Teilnehmern eine Überzeugungsbereitschaft
vorhanden sein. Man könnte auch sagen, die
demokratische Lösung politischer Konflikte funktioniert nur ideologiefrei.
Das gilt natürlich ebenso für die Berichterstattung darüber. Meinungsfreiheit
ist gerade in Europa häufig zur fragwürdigen Legitimation persönlicher Angriffe
gegen einzelne politische Protagonisten seitens der Journalisten und
Schriftsteller missbraucht worden, um auf diese Weise eine der Konfliktparteien
zu unterstützen. Damit haben sie auch nichts anderes gemacht als Ressentiments und Vorurteile zu verbreiten. Dass man der Demokratie mit dieser Simulation einer
demokratischen Auseinandersetzung einen Bärendienst erwiesen hat, zeigt sich
jetzt erst langsam. Noch immer werden weite Teile der Redaktionen von diesem
nicht-partizipierenden Geist beherrscht. Befeuert durch den allgemeinen
Vertrauensverlust in die etablierten Medien, scheint jedoch langsam ein
Umdenken einzusetzen. Vielleicht erhält dieser Prozess durch die Anschläge auf
die Redaktion der Zeitschrift »Charlie Hebdo« einen weiteren Schub, denn dieses
Ereignis führte in aller Deutlichkeit vor Augen, dass man auch als Journalist
Teil des weltpolitischen Geschehens ist und bereit sein muss in letzter
Konsequenz für die eigenen Inhalte mit dem Leben einzustehen. Man sollte
zur Kenntnis nehmen, dass eine Meinungsäußerung, auch wenn sie formal durch das
Recht gedeckt ist, trotzdem Konsequenzen haben kann. Speziell wenn man es
mit politischen Bewegungen zu tun hat, die keine demokratische Tradition haben
und Gewalt nach wie vor als legitimes Mittel der Konfliktlösung ansehen, kann
die Art und Weise der politischen Auseinandersetzung in Europa völlig falsche
Signale setzen. Diese Anschläge haben eindrücklich gezeigt, dass sich heute
niemand mehr der Verantwortung für sein Handeln entziehen kann [5]. Es gibt
gegenwärtig politische Bewegungen, die sich von dem staatlichen Drohpotential
nicht mehr abschrecken lassen, weil sie nicht nur bereit sind dafür zu sterben, woran sie glauben, sondern genauso den Tod von anderen Menschen in Kauf nehmen,
um einer menschenverachtenden Ideologie zum Sieg zu verhelfen. Solche Leute
sind nur schwer mit Argumenten oder Karikaturen zu überzeugen. Es wäre daher an
der Zeit, dass auch Journalisten, Schriftsteller und Satiriker einsehen, dass der
Kampf mit Worten gescheitert ist und dass man auf dieser Eskalationsstufe das
Feld der Politik überlassen sollte. Das bedeutet nicht den Kampf mit Worten
völlig aufzugeben. Man sollte aber registrieren, wer dafür empfänglich ist und
wer nicht. Wer sich in der aktuellen Situation mit Leuten anlegt, die dafür
nicht empfänglich sind, der begibt sich leichtfertig in die Schusslinie.
Der globalisierte, dezentrale und
unkontrollierbare islamistische Terror bringt der ganzen Welt israelische
Zustände. Rückzugsräume gibt es nicht mehr. Heute kann jeder Verlierer weltweit
– und hier scheint vor allen das Gefühl zu zählen als die tatsächliche soziale Position – sich auf die islamistische Ideologie als Legitimationsgrundlage
berufen, um seiner eigenen sinnlosen Existenz und seinem selbst gewählten Tod eine
höhere Bedeutung zu verleihen. Auch das Verhalten der Terroristen entspringt
letztlich einem nicht-partizipierenden Bewusstsein, denn auch sie ignorieren
jegliches körpervermittelte Feedback. Ansonsten würden sie nicht den eigenen
Tod in Kauf nehmen. Umso wichtiger ist daher die Ausbildung eines
partizipierenden Bewusstseins, denn Konflikte entstehen und reproduzieren sich
durch die Handlungen von Personen, die nur noch auf ihrem eigenen Erleben
beharren und jede Abweichung davon aus ihrer Welt verbannen wollen – zuerst mit
Worten, dann mit Gewalt. Gegenwärtig fehlt offenbar eine Sprache mit der solche
inakzeptablen Beteiligungsformen von akzeptablen unterschieden werden können. Ein
partizipierendes Bewusstsein kann nicht nur ein Selbstwirksamkeitsgefühl
vermitteln, dass sich nicht nur in der Zerstörung bestätigt, sondern auch die
Sprache liefern, um solche Beteiligungsformen voneinander zu unterscheiden. Dass in dieser
Hinsicht der Westen, speziell Europa, auch nicht sehr gut gewappnet ist, sollte
bereits deutlich geworden sein. Der unter europäischen Intellektuellen
weit verbreitete nihilistische Kritizismus – egal ob
rechts oder links – konnte sich seine Selbstbestätigung auch nur über
Zerstörungsversuche, wenn auch nur mit Worten, verschaffen. Ihr Selbstbild war
ihnen schon immer wichtiger als das, was ihr Verhalten über sie verrät. Berauscht
von der Vorstellung die Guten zu sein, hat man verlernt die Folgen des eigenen
Verhaltens zu berücksichtigen. Darin unterscheidet sich die humanitaristische
Ideologie europäischer Intellektueller nicht von der islamistischen. Beide
definieren sich nur über das eigene illusionäre Selbstbild ohne Rücksicht, ob sich dieses auch
im Handeln bestätigt oder nicht. Es handelt sich also in beiden Fällen, um Formen nicht-partizipierenden Bewusstseins. Mit Blick auf Europa und speziell Deutschland steht daher zu
befürchten, dass, solange die Angst als Ausländerfeind dazustehen größer ist
als die Angst vor Terroranschlägen oder vor den Folgen einer unkontrollierten Zuwanderung,
wahrscheinlich noch viel Schlimmeres passieren muss, bevor Journalisten,
Satiriker, Schriftsteller und auch viele Politiker endlich einsehen, dass man
sich dem weltpolitischen Geschehen nicht entziehen kann.
[1] An anderer Stelle (vgl. Abschnitt VI, Absatz
3ff.) hatte ich mit Rekurs auf Laing versucht
zu zeigen, dass das postmoderne Denken auch nicht-partizipierend ist. Im Anschlusstext (vgl. Abschnitt IX) wurde dies durch die Unterscheidung von zwei
verschiedenen Formen der Kommunikationsbeteiligung nochmals bekräftigt. Danach
ist Teilnahme eine aktive und bewusste
Form und Teilhabe eine passive und
unbewusste Form. Postmoderne Kommunikation wurde darin als eine Form der
Teilhabe beschrieben.
Das Buch von Berman hatte ich
damals noch nicht gelesen. Es bestätigte mir nochmals die Wichtigkeit
verschiedene Beteiligungsformen zu unterscheiden. Darin liegt für mich trotz
einer großen Anzahl anregender Gedanken die größte Schwäche von Bermans „Wiederverzauberung der Welt“. Obwohl partizipierendes und nicht-partizipierendes
Bewusstsein als zentrale Kategorien eingeführt werden, versäumt es Berman den
Begriff der Partizipation theoretisch weiter zu unterfüttern, um eine
Unterscheidung verschiedener Beteiligungsformen vornehmen zu können.
Stattdessen konzentriert er sich darauf das kartesianische Paradigma und dessen
mechanistisches Weltbild als eine Form des nicht-partizipierenden Bewusstseins
zu beschreiben, um im Anschluss Gregory Batesons Theorieansatz als Gegenentwurf
zu präsentieren. Bermans Intuition führte ihn zwar in die richtige Richtung.
Allerdings spielte der Begriff der Partizipation, soweit ich das beurteilen
kann, in Batesons Ansatz nie eine große Rolle. Berman hilft sich deswegen mit
dem Begriff der Mimesis als erotischer Aneignung der Welt aus. Da sich
der Begriff jedoch auf Prozesse des Körpers und des Bewusstseins bezieht, die
dem soziologischen Blick zwangsläufig entzogen bleiben, erscheint dieser Weg
für mich als eine Sackgasse. Mir erscheint die weitere Ausarbeitung des
Begriffs der Partizipation erfolgversprechender. Die Ausführungen in meinem
Text „Wissen in der modernen Gesellschaft“ und in diesem Beitrag stellen erste
tastende Versuche dar.
[2] Ich verstehe Luhmanns Systemtheorie zwar nicht als Ausdruck eines nicht-partizipierendes Bewusstseins. Gleichwohl kann auch ich nicht ignorieren, dass sich einige Anzeichen finden lassen Luhmann auf diese Art zu lesen. Man kann ihm durchaus vorwerfen, dass die Menschen in seiner Theorie viel zu
kurz kommen. In dieser Frage ist seine Theorie ambivalent geblieben. Obwohl er
immer betont hat, dass Kommunikation ohne Menschen nicht möglich ist, hatte er
doch ein ostentatives Desinteresse seiner Theorie für Menschen postuliert. Mit
diesem Selbstverständnis wäre sie nur in der Lage die Hälfte des Bildes zu
zeichnen. Doch gerade diese Selbstbeschränkung auf Kommunikation rächt sich nun
bei der Weiterentwicklung des Luhmannschen Theoriekorpus. Nun wird diese
Beschränkung von einigen Systemtheoretikern wörtlich verstanden. Was zu einer sträflichen Ignoranz
gegenüber dem Erleben der einzelnen Menschen geführt hat. Sie sind gleichsam
mit einem Beobachtungsverbot belegt. Meine Kritik an dieser Lesart der Luhmannschen Systemtheorie kann hier nachgelesen werden.
Es sei darauf hingewiesen, dass die Bezeichnung »Kommunikationstheorie« nur eine andere Bezeichnung für eine Theorie menschlichen Verhaltens ist. Diese Lesart ergibt sich aus der Lektüre von z. B. Watzlawick/Beavin/Jackson 2011 [1969]. Wenn Handeln eine Funktion von psychischem Erleben ist, dann erlaubt die Beobachtung von Kommunikationssequenzen Rückschlüsse auf das Erleben der beteiligten Personen. Mithin erfolgt, wie bereits oben im Text beschrieben, die Vermittlung von psychischem Erleben und sozialem Handeln durch Beteiligung. Wenn Systemtheoretiker heute so tun als wären Menschen black boxes und es würde sich verbieten aufgrund des beobachtbaren Verhaltens Annahmen über das Erleben der beobachteten Person zu bilden, dann entspringen diese Beobachtungsverbote auch einem nicht-partizipierenden Bewusstsein. Denn auf diese Weise wird letztlich die Kommunikationsbeteiligung von Menschen bestritten. Dann wäre man nicht in der Lage, das zu beobachten, für das sich die soziologische Systemtheorie interessiert, nämlich wie Personen sich zu ihrer sozialen Umwelt in Beziehung setzen. Um die verschiedenen Formen zu unterscheiden, in denen dies geschehen kann, wird der Begriff der Beteiligung so wichtig.
Es sei darauf hingewiesen, dass die Bezeichnung »Kommunikationstheorie« nur eine andere Bezeichnung für eine Theorie menschlichen Verhaltens ist. Diese Lesart ergibt sich aus der Lektüre von z. B. Watzlawick/Beavin/Jackson 2011 [1969]. Wenn Handeln eine Funktion von psychischem Erleben ist, dann erlaubt die Beobachtung von Kommunikationssequenzen Rückschlüsse auf das Erleben der beteiligten Personen. Mithin erfolgt, wie bereits oben im Text beschrieben, die Vermittlung von psychischem Erleben und sozialem Handeln durch Beteiligung. Wenn Systemtheoretiker heute so tun als wären Menschen black boxes und es würde sich verbieten aufgrund des beobachtbaren Verhaltens Annahmen über das Erleben der beobachteten Person zu bilden, dann entspringen diese Beobachtungsverbote auch einem nicht-partizipierenden Bewusstsein. Denn auf diese Weise wird letztlich die Kommunikationsbeteiligung von Menschen bestritten. Dann wäre man nicht in der Lage, das zu beobachten, für das sich die soziologische Systemtheorie interessiert, nämlich wie Personen sich zu ihrer sozialen Umwelt in Beziehung setzen. Um die verschiedenen Formen zu unterscheiden, in denen dies geschehen kann, wird der Begriff der Beteiligung so wichtig.
[3] In der Diskussion über Postdemokratie ist dieser Aspekt bisher nicht berücksichtigt worden. Eigentlich handelt es sich bei dieser Diskussion nicht um ein Krisenzeichen der Demokratie als Organisationsprinzip zum gewaltlosen Wechsel der Regierung, sondern um ein Krisensymptom des dieser Diskussion zugrunde liegenden Demokratieverständnisses, das ein anderes ist als das hier vorgestellte. Demokratie, verstanden als Herrschaft des Volkes, bestimmt noch nicht näher, wie diese Herrschaft aussehen soll. Mithin kam es in der Geschichte ja schon häufiger vor, dass sich Diktaturen als Demokratien beschrieben haben. Solange Demokratie nur als Herrschaft des Volkes beschrieben wird, gibt es einen großen Deutungsspielraum, wie diese Herrschaft aussehen könnte. Die gegenwärtige Diskussion über postdemokratische Verhältnisse ist nur die artikulierte Verwunderung darüber, dass bestimmte parteipolitische Positionen, wie Sozial- oder Christdemokratie, nicht mehr ihre Anhängerschaften mobilisieren können. Gefangen im Rechts-Links-Schema ist man unfähig zu erkennen, dass sich der Rechts-Links-Gegensatz verbraucht hat und längst zu einem Relikt aus vergangener Zeit geworden ist.
[4] Diesbezüglich gibt es gute Gründe weiter skeptisch zu bleiben. Neben der Islamisierung hat man nun als zweites Zugpferd die Amerikanisierung entdeckt. Wie hier richtig angemerkt wird, besteht in diesem Punkt durchaus eine große Schnittmenge zwischen Rechten und Linken. Und es kam ja bei diesem Thema bereits zu Kooperationen. Siehe hier. Wenn die extreme Rechte und extreme Linke erstmal ihre ideologischen Scheuklappen abgelegt haben und erkennen, dass sie die gleichen Feindbilder und zum Teil die gleichen Lösungen präferieren, werden sich sehr kuriose, aber auch sehr explosive Koalitionen bilden. Und man darf gespannt sein, wie groß der Anteil unter Christ- und Sozialdemokraten sein wird, die bei solchen politischen Angeboten standhaft bleiben werden. Wie sehr Anti-Amerikanismus bereits zur Staatsräson geworden ist, hat man spätestens mit der NSA-Affäre gesehen. Doch genauso alt wie die deutsche Opferhaltung ist auch der deutsche Anti-Amerikanismus. Um sich darüber ein Bild zu machen, empfiehlt sich die Lektüre von Thomas Manns „Betrachtungen eines Unpolitischen“. Solange die deutsche Identität nur durch die Abwertung von anderen Identitäten und illusionären Selbstbeschreibungen, die sich nicht im Handeln bestätigen, bestimmt wird, wurde aus den Fehlern der Weimarer Republik nichts gelernt.
[5] Stéphane Charbonnier, der Chefredakteur von Charlie Hebdo, war sich offenbar über das große Risiko bewusst, das er mit der Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen einging. So wird er in dem FAZ-Online-Artikel von Roberto Saviano folgendermaßen zitiert: „Ich habe keine Angst vor Vergeltung. Ich habe keine Kinder, ich habe keine Frau, ich habe kein Auto und keine Schulden. Es mag sich ein wenig pompös anhören, aber ich sterbe lieber stehend als auf Knien zu leben." Saviano will gemäß dem oben im Text zitierten Verständnisses von Meinungsfreiheit dieses Risiko immer noch nicht wahrhaben. Ebenso wenig wird der Ansatz von Charlie Hebdo in Frage gestellt, welchen Saviano so beschreibt: „Diese Satirezeitschrift stellt sich gegen alle.“ Wenn man sich gegen alle stellt, ist aber immer noch nicht klar wofür man ist. Dieser nihilistische Kritizismus, der alles kritisiert ohne selbst Position zu beziehen, ist auch ein Ausdruck nicht-partizipierenden Bewusstseins. Diese Form der Kritik ist zynisch und dadurch nicht sehr demokratieförderlich, da sie auch die Abwertung des Systems impliziert, das solch eine Form von Kritik überhaupt ermöglicht. Saviano versucht den Rest des Artikels wenig überzeugend darzulegen, warum man trotzdem alles sagen dürfe sollte. Er offenbart damit ein fehlendes Bewusstsein gegenüber dem Problem, dass man gegen gewaltbereite politische Extremisten oder Mafia-Banden mit Worten wenig ausrichten kann, das schon fast an Autismus grenzt.
Literatur
Berman,
Morris (1983 [1981]):
Wiederverzauberung der Welt. Am Ende des Newton‘schen Zeitalters.
Dianus-Trikont Verlag München
Csikszentmihaly,
Mihaly (2010 [1990]): Flow. Das
Geheimnis des Glücks. 15. Auflage Klett-Cotta Stuttgart
Gehlen,
Arnold (2004 [1969]): Moral und
Hypermoral. Eine pluralistische Ethik. 6. erweiterte Auflage Klostermann
Frankfurt am Main
Laing, Ronald D. (1976 [1960]): Das geteilte Selbst. Eine
existentielle Studie über geistige Gesundheit und Wahnsinn. Rowohlt Taschenbuch
Verlag Reinbek bei Hamburg
Luhmann,
Niklas (2004 [1995]): Die Realität der
Massenmedien. 3. Auflage VS Verlag für Sozialwissenschaften Wiesbaden
Watzlawick,
Paul/Beavin, Janet H./Jackson, Don D. (2011 [1969]): Menschliche Kommunikation.
Formen, Störungen, Paradoxien. 12. Unveränderte Auflage Verlag Hans Huber
Bern
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