Wie im vorletzten Beitrag angekündigt, gibt es hier einen weiteren überarbeiteten Text, den ich ursprünglich schon 2013 auf Facebook veröffentlicht habe. Er war eigentlich als Kommentar für einen Beitrag von Hubert Knoblauch auf dem SozBlog gedacht. Damals konnte ich ihn aber nicht posten. Inzwischen habe ich mitbekommen, dass ich nicht der einzige bin, der schon mal vor diesem Problem stand - was darauf hindeutet, dass es sich um technisches Problem des SozBlogs handelt.
Knoblauchs
SozBlog-Beitrag hatte den Titel »Latours
Popanz: Über Mißverständnisse des Sozialkonstruktivismus«. Knoblauch
vertritt darin die These, dass die Diskussionen um den sogenannten
»Sozialkonstruktivismus« bzw. die Kritik an diesem durch eine Reihe von
Missverständnissen bezüglich dieses Sozialkonstruktivismus geprägt sind. Einer
der bekanntesten Vertreter dieser Kritik am Sozialkonstruktivismus ist Bruno
Latour. Knoblauch konzentriert seine Kritik an der Sozialkonstruktivismuskritik
in seinem Beitrag auf Latour. Knoblauchs Vorwurf lautet, dass Latour seinen
eigenen konstruktivistischen Ansatz nur um den Preis einer extrem verzerrten
Darstellung der kritisierten Ansätze als sozialwissenschaftliche Innovation
darstellen kann. Latour konstruiert lediglich Scheingegensätze zwischen seinem
Ansatz und dem klassischen Sozialkonstruktivismus. Dieser Kritik kann ich mich
aufgrund meiner eigenen Lektüre von Latours »Eine neue Soziologie für eine neue
Gesellschaft« (2010 [2005]) nur anschließen. Knoblauch versucht im weiteren
Verlauf seines Beitrags der Frage nach zu gehen, wie es zu diesen gravierenden
Missverständnissen bezüglich des Sozialkonstruktivismus kommen konnte.
Mit »Sozialkonstruktivismus« ist dabei eine Theorielinie gemeint, die sich im Anschluss an Peter L. Bergers und Thomas Luckmanns »Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit« (2012 [1966]) gebildet hat. Knoblauch beklagt die geringe internationale Rezeption dieses soziologischen Klassikers und benennt selber einige Gründe, woran das liegen könnte. Diese treffen zu einem gewissen Grad sicherlich zu. Ich gebe aber zu bedenken, dass im englischsprachigen Raum noch wesentlich elaboriertere Ansätze verbreitet sind, die mehr an Kommunikationstheorie, Systemtheorie und Kybernetik anknüpfen. Aus diesem Umstand lässt sich möglicherweise besser verstehen, warum Latour den Sozialkonstruktivismus Berger/Luckmannscher Prägung unbeachtet lässt.
Mit »Sozialkonstruktivismus« ist dabei eine Theorielinie gemeint, die sich im Anschluss an Peter L. Bergers und Thomas Luckmanns »Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit« (2012 [1966]) gebildet hat. Knoblauch beklagt die geringe internationale Rezeption dieses soziologischen Klassikers und benennt selber einige Gründe, woran das liegen könnte. Diese treffen zu einem gewissen Grad sicherlich zu. Ich gebe aber zu bedenken, dass im englischsprachigen Raum noch wesentlich elaboriertere Ansätze verbreitet sind, die mehr an Kommunikationstheorie, Systemtheorie und Kybernetik anknüpfen. Aus diesem Umstand lässt sich möglicherweise besser verstehen, warum Latour den Sozialkonstruktivismus Berger/Luckmannscher Prägung unbeachtet lässt.
Da sich Latours
Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) nach wie vor sehr großer Beliebtheit erfreut, bleibt die Kritik an seiner Marketingstrategie der ANT nach wie vor aktuell. Ich spreche deshalb von Marketingstrategie, weil der Popanz, den
Latour aufbaut, um seinen Konstruktivismus zu profilieren, lediglich dazu dient
lächerliche Karikaturen der kritisierten Theorien zu zeichnen, um öffentlich Aufmerksamkeit zu erregen. Das Bild, was Latour von diesen Ansätzen zeichnet, bezeichnet Knoblauch als Popanz. Ich würde aufgrund der Art und Weise, wie Latour diesen Popanz aufbaut, eher von Karikaturen sprechen. Wie auch immer man das, was Latour konstruiert, auch bezeichnen will, es gibt einen guten Sparringspartner für theoriepolitisches Schattenboxen ab. Wer sich
inhaltlich mit Latours Kritik auseinandersetzt, wird sehr schnell feststellen,
dass ein Großteil seiner Kritik auf eine extrem verkürzte, oberflächliche und,
wie ich finde, geradezu laienhafte Lesart der kritisierten Ansätze zurückgeht. Deswegen kann man die Kritik an Latours Konstruktivismus, den ich im
Folgenden als »naiven Konstruktivismus« bezeichnen werden, und wie er
diesen vermarktet nicht oft genug wiederholen. Und deswegen präsentiere ich
hier meinen damaligen Kommentar in einer stark überarbeiten und erweiterten Fassung:
Knoblauchs
Kritik an Latour trifft zu weiten Teilen zu. Was er hinsichtlich des
Sozialkonstruktivismus beschreibt, trifft aber auch noch auf viele andere
Soziologen, wie z. B. Durkheim, Goffman oder Luhmann, zu. Dass Latour den
Sozialkonstruktivismus Berger/Luckmannscher Prägung nicht beachtet,
liegt daran, dass andere Ansätze einen wesentlich stärkeren Eindruck auf Latour
gemacht haben. Hier sind vor allem kommunikationstheoretische, kybernetische
und systemtheoretische zu nennen, die sich an Namen wie Gregory Bateson, Erving Goffman
und Niklas Luhmann festmachen lassen. Wenn man »Eine neue Soziologie für eine
neue Gesellschaft« (2010 [2005]) liest, kann man bemerken, dass Latours Kritik
vor allem auf dieses Dreigestirn gerichtet ist. Daneben hat er sich auch noch
Durkheim ausgesucht, um Gabriel Tarde eine späte Genugtuung zu verschaffen.
Information und Ding
Speziell Gregory
Batesons Werk hat einen sehr starken Eindruck auf Latour gemacht. Latours
Aktanten Begriff, wonach jedes Ding, das einen Unterschied macht, eine
Situation verändert (vgl. 2010 [2005], S. 123), ist ziemlich offensichtlich an
Batesons Definition einer Information als „Unterschied, der einen Unterschied
macht“ (1982 [1979], S. 123) angelehnt. Interessanterweise taucht Bateson
jedoch nicht in der Literaturliste auf. Vergleicht man diese beiden
Definitionen von Dingen und Informationen, dann sieht es so aus als dreht Latour
Batesons Definition, die vom Beobachter her gebaut ist, um und konstruiert
seine Theorie vom Beobachteten her. Bei Bateson ist eine Information nur für
einen Beobachter eine Information in Abhängigkeit von den Ideen des Beobachters.
Bateson argumentiert also bereits konstruktivistisch, da die Frage danach, was
das Beobachtete tatsächlich ist, keine Rolle spielt. Denn das Verhalten der
Menschen wird nicht davon bestimmt, was ein Ding wirklich ist, sondern welche
Vorstellung sie von dem betreffenden Ding haben. Durch Versuch und Irrtum können Menschen
lernen ihre Vorstellung von dem jeweiligen Ding zu präzisieren, was dazu
beiträgt eine realistischere Vorstellung zu entwickeln, die dann wiederum zu
einem realistischeren Handeln bezüglich dieses Dings führt. Dasselbe trifft
auch für die Entwicklung einer Vorstellung von anderen Personen zu. Es besteht
allerdings keine gleichsam teleologische Entwicklung hin zu realistischeren
Vorstellungen. Das wechselseitige Rückkopplungsverhältnis zwischen psychischem
Erleben und sozialem Handeln kann auch zu schizoidem Handeln führen, wenn die
Irrtümer ignoriert werden. Mit anderen Worten, wer keine Fehler macht, kann
auch nicht lernen und sich entwickeln.
Bei Latour wird
dagegen der Unterschied durch ein Ding von
außen bewirkt. Unterschiede, die Unterschiede machen, werden nicht durch
die beobachtende Person konstruiert, sondern sie sind gleichsam in den Dingen
angelegt und werden der beobachtenden Person von außen eingeprägt oder
aufgedrängt. Das ist, auch wenn Latour
was anderes behauptet, kein Konstruktivismus. Denn die Eigenleistung der
menschlichen Vorstellungskraft bei der Konstruktion der handlungsleitenden
Vorstellungen beachtet er nicht. Und ebenso wenig beachtet er die
Verstärkungseffekte, die auftreten können, wenn Personen ähnliche Vorstellungen
von den Dingen haben und sich durch Interaktionen, bei denen dieses Ding im
Fokus der gemeinsamen Aufmerksamkeit steht, gegenseitig ihre handlungsleitenden
Vorstellungen bestätigen, wie realistisch oder illusionär diese Vorstellungen
auch immer sein mögen. Mithin geht Latour davon aus, dass es möglich ist die
Dinge quasi frei von den Verzerrungen der sozialen Konstruktionen zu erkennen,
denn immerhin sind es ja laut Latour die Dinge, die eine Situation verändern
und nicht die beteiligten Personen. Unter der Hand beschreibt Latour auf diese
Weise Menschen als völlig umwelt- bzw. fremdbestimmt.
Verwechselt Latour die Dinge mit ihrer Beschreibung?
Um die Dinge
richtig zu erkennen, muss man die Dinge nach Latour nur richtig versammeln. »Versammeln«
meint dabei die Dinge so zu konstruieren, wie sie wirklich sind. Spannend wird
es bei der Frage, wie man erkennen kann, wie die Dinge wirklich sind. Wie
Latour sich diesen Prozess vorstellt, kann man anhand seiner eigenen Methode,
dem Berichte-Schreiben, erahnen. Latours Ausgangspunkt ist die Idee, dass es eine Welt gibt und wir alle müssten
eigentlich denselben Eindruck bzw. dieselbe Vorstellung von ihr haben (vgl. 2010 [2005], S. 205f.). Faktisch
ist dies aber offensichtlich nicht der Fall, was für ihn ein Problem darstellt. Ja, das ist ein Problem - aus meiner Sicht sogar das
Ausgangsproblem heutiger soziologischer Theoriebildung. Aber anstatt
anzuerkennen, dass im Prinzip jede Person dasselbe anders sehen kann, um davon
ausgehend die Frage zu stellen, wie die Menschen mit diesem Problem umgehen –
also wie sie trotz verschiedener Vorstellungen vom selben Sachverhalt ihr
Handeln in Bezug auf diesen Sachverhalt koordinieren können –, geht Latour gerade
nicht von diesem Problem aus, sondern versucht sich des Problems dadurch zu
entledigen, dass er einfach Batesons Definition der Information umdreht und die
Dinge selbst als Informationen betrachtet, die in der Umwelt des Beobachters
gegeben wären und Veränderungen bewirken. Das ist nichts
weiter als eine Reformulierung der naiv-realistischen Annahme, dass die
Bedeutung in den Dingen selbst liegt. Man könnte auch sagen, dass Latour davon
ausgeht, dass sich die Dinge selbst erklären bzw. sie selbst-verständlich sind. Wie es dann allerdings überhaupt dazu kommen konnte, dass dieselben Dinge von verschiedenen Personen anders beobachtet werden, kann in diesem Theorierahmen nicht erklärt werden.
Aus einer systemtheoretischen Perspektive sieht man jedoch, dass Latour durch die Annahme, es gäbe die eine Welt, die alle Menschen eigentlich gleich sehen müssten, beobachtende Person und beobachtetes Ding verwechselt. Latour löst
auf diese Weise die Subjekt/Objekt-Unterscheidung nicht auf, er dreht sie lediglich um. Er
macht das Objekt zum Subjekt und das Subjekt zum Objekt, denn die Dinge
bewirken nach Latour die Veränderungen in den Personen. »Eine
neue Soziologie für eine neue Gesellschaft« (2010 [2005]) ist von der
Spannung geprägt, dass sich Latour zwar bewusst ist, dass er nicht hinter eine
konstruktivistische Position zurückkommt, sich aber nicht mit den vielfältigen
Deutungen der einen Welt der Dinge abfinden kann. Also geht er von der Annahme aus, dass es eine Welt gibt, die eigentlich alle gleich sehen müssten, es aber faktisch nicht tun. Mit dem Aktanten-Begriff wird zumindest theoretisch die Möglichkeit geschaffen, eine einheitliche Sichtweise aller Menschen auf die Dinge zu imaginieren. Dann bleibt aber immer noch das empirische Problem, dass sich diese einheitliche Sichtweise offenbar nicht unter den Menschen ausbildet. Das Ergebnis bezeichne ich als
»naiven
Konstruktivismus«, der Realismus und Konstruktivismus zu versöhnen sucht,
dabei aber die Dinge mit ihrer Beschreibung verwechselt, was schließlich zu einer Konfusion von beidem führt. Latour begeht damit
einen klassischen Kategorienfehler. Man kann zwar
die Unterscheidung von Subjekt und Objekt kritisieren. Es kann aber nicht die
Lösung sein, die Unterscheidung einfach umzudrehen. Denn damit wird das zugrunde
liegende Problem nicht gelöst, sondern perpetuiert. Die Unterscheidung hebt sich erst dann auf, wenn man berücksichtigt, dass sich Subjekte auch selbst
beobachten können und sich auf diese Weise zum Objekt machen. In diesem
Fall sind Subjekt und Objekt identisch und somit macht die Unterscheidung von
Subjekt und Objekt im Hinblick auf das Beobachtete keinen Unterschied mehr, der
einen Unterschied macht. Die soziologische Systemtheorie spricht in diesem Fall von einem re-enry.
Latour fordert zwar immer wieder die Überwindung des dualistischen Denkens, kann es jedoch theoretisch nicht begründen. Nicht nur dass Latour Subjekt und Objekt vertauscht, er presst sie auch noch in das Kausalschema und eliminiert damit jeglichen Moment der Selektivität – sowohl in der zwischenmenschlichen Interaktion als auch im Denken. Das Ding bzw. Subjekt bewirkt etwas im Objekt Mensch. Die Konsequenz daraus besteht darin, dass Freiheit und Autonomie in diesem Theorierahmen gar nicht denkbar sind, weil es keine Alternativen gibt, zwischen denen man wählen könnte. Ein Ding ist, was es ist, und nichts anderes. Dadurch wird die ANT zu einem deterministischen Theorieansatz. Weil die Dinge als selbst-verständlich gedacht werden, ist aus Latours Sicht auch schon klar, worin die Veränderung besteht. Ein ähnliches Problem hatte bereits der Behaviorismus mit seinem Stimulus-Response-Modell. Mit solch deterministischen Ansätzen werden Menschen zu Automaten degradiert, bei denen man nur bestimmte Knöpfe drücken muss und schon reagieren sie in der gewünschten Art und Weise. Solche Verhaltensmodelle werden brisant, wenn sie zu politischen Steuerungsmodellen umfunktioniert werden.
Latour fordert zwar immer wieder die Überwindung des dualistischen Denkens, kann es jedoch theoretisch nicht begründen. Nicht nur dass Latour Subjekt und Objekt vertauscht, er presst sie auch noch in das Kausalschema und eliminiert damit jeglichen Moment der Selektivität – sowohl in der zwischenmenschlichen Interaktion als auch im Denken. Das Ding bzw. Subjekt bewirkt etwas im Objekt Mensch. Die Konsequenz daraus besteht darin, dass Freiheit und Autonomie in diesem Theorierahmen gar nicht denkbar sind, weil es keine Alternativen gibt, zwischen denen man wählen könnte. Ein Ding ist, was es ist, und nichts anderes. Dadurch wird die ANT zu einem deterministischen Theorieansatz. Weil die Dinge als selbst-verständlich gedacht werden, ist aus Latours Sicht auch schon klar, worin die Veränderung besteht. Ein ähnliches Problem hatte bereits der Behaviorismus mit seinem Stimulus-Response-Modell. Mit solch deterministischen Ansätzen werden Menschen zu Automaten degradiert, bei denen man nur bestimmte Knöpfe drücken muss und schon reagieren sie in der gewünschten Art und Weise. Solche Verhaltensmodelle werden brisant, wenn sie zu politischen Steuerungsmodellen umfunktioniert werden.
Durch Berichte schreiben in den Dingen aufgehen
Die Konfusion von Beobachter und Beobachtetem macht sich
besonders in Latours Methode bemerkbar, die in nichts weiter besteht als
Berichte bzw. Beschreibungen anzufertigen. Latours einzige
Empfehlung für empirische Arbeit besteht darin, sich als Beobachter so eng wie möglich an die
soziale Wirklichkeit anzuschmiegen. Je genauer der Bericht ausfällt desto besser (vgl Latour 2010 [2005], S 238ff.). Der
Bericht soll für sich selber sprechen ohne Verzerrungen durch einen
theoretischen Überbau – wobei der Bericht ja eigentlich für den
Forschungsgegenstand sprechen soll. Der Bericht soll also genauso selbst
erklärend sein, wie die Dinge selbst. Dass dieser Bericht von einem Beobachter
bzw. einer Person angefertigt wird, berücksichtigt Latour nicht einmal. Die
unbestreitbare Materialität der physischen Umwelt wird von Latour als
trügerische Krücke verwendet, den Ergebnissen der Berichte ihre empirische
Evidenz zu verleihen. Und wenn es nicht passt, dann ist die Lösung, wie Paul Watzlawick sagen würde, noch »mehr
desselben«
(vgl. 2007 [1983], S. 28ff.), also mehr Berichte und noch mehr
Berichte schreiben. Da jede Sprache der beschriebenen Realität immer hinterher hinkt, weil
sie sie niemals vollständig, sondern immer nur ausschnitthaft erfassen kann, stellt
sich die Frage, an welchem Punkt man mit dem Berichte schreiben aufhören sollte. Ansonsten würde die Methode in einen unendlichen Regress führen. Einer von Latours Lehrern, Michel Serres, hatte das Problem einmal folgendermaßen ausgedrückt: „Der Bericht treibt vor sich her, was er erzählt.“ (1987 [1980], S. 367) Man muss also an irgend einem Punkt aufhören, um sich nicht völlig im Beobachteten zu verlieren. Eine effektive Stopregel kann Latour jedoch nicht angeben. Er möchte jeden noch so irrelevanten Aspekt berücksichtigt wissen. Gerade durch dieses
ausufernde Berichtswesen bekommt man den Eindruck, Latour möchte in den Dingen
aufgehen, mit ihnen Eins werden bis der Bericht das Beschriebene vollständig
erfasst hat - was jedoch praktisch unmöglich ist. Hier zeigt sich wieder der besagte Kategorienfehler: der Bericht wird
mit dem Gegenstand, der Beobachter mit dem Beobachteten, das Zeichen mit dem
Bezeichneten, die Beschreibung mit dem Beschriebenen identifiziert - im Sinne von identisch gesetzt.
Man könnte auch sagen, Latour fehlt jegliche kritische Distanz zu seinen Beobachtungsmitteln. Diesen Vorgang kann man auch als Konfusion bezeichnen. Das erklärt Latours Fixierung auf Dinge. Bei ihm wird das Berichte-Schreiben zu einer Art Beschäftigungstherapie für Zwangsneurotiker, die sich für Wissenschaftler halten und ihre egozentrische Sichtweise zu universalisieren versuchen. Das soziale Moment, nämlich die Tatsache, dass mindestens zwei Personen an der Kommunikation beteiligt sind und dass es aufgrund von unterschiedlichen Sichtweisen auch zu Konflikten kommen kann, fehlt. Selbstverständlich kann man gegenüber Kommunikationspartnern nicht einfach bestreiten, dass es da ein wahrnehmbares Ding gibt, was im gemeinsamen Fokus der Aufmerksamkeit steht. Aber man kann dasselbe anders beschreiben. Dann kann man sich zumindest darüber einigen, dass man offenbar nicht dieselben Zeichensysteme verwendet. Gleichwohl bietet der gemeinsame Fokus der Aufmerksamkeit die gemeinsame Basis, um diese Differenzen durch Kommunikationsbeteiligung zu überwinden. Wenn Latour aber das Assoziieren von heterogenen Bestandteilen als »sozial« bezeichnet (vgl. 2010 [2005], S. 17), dann unterschlägt er sowohl die Unterschiede zwischen verschiedenen Personen als auch zwischen sozialen und psychischen Systemen. Daran zeigt sich, dass er auch psychische und soziale Systeme als identisch behandelt. Das Wort »sozial« benutze ich als Hinweis auf die Beteiligung von mindestens zwei Personen. Bei Latours Verständnis von »sozial« fehlt dieser Hinweis. Deswegen würde ich sein Verständnis von »sozial« als asozial bezeichnen.
Wie Latour mit Theorie Politik macht
Die normative Erwartung, alle Menschen müssten die Welt gleich sehen, macht Latour blind für das Soziale im hier vertretenen Sinne. Mit dieser Erwartung müssen aber die tatsächlichen Unterschiede zwischen den Menschen nur noch stärker und vor allem negativ bzw. als unerwünscht hervortreten. Diese Unterschiede lassen sich dann hervorragend politisieren. Es dürfte daher auch kein Zufall sein, dass Latour am Ende von »Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft« (2010 [2005]) nur politische Ziele benennen kann anstatt einen soziologischen Ansatz vorzustellen, der in der Lage wäre zu analysieren, wie die Menschen mit dem sozialen Grundproblem der ständig drohenden Divergenz des psychischen Erlebens verschiedener Personen umgehen. Vielmehr präsentiert er indirekt selbst ein Lösungsangebot, dass nur in der schlichten, wie naiven und zugleich normativen Annahme besteht, dass alle Menschen die Welt gleich sehen müssten. Es sieht so aus als glaubt Latour an eine natürliche, gleichsam automatische Konvergenz des psychischen Erlebens verschiedener Personen. Jedem, der noch ein bisschen wissenschaftlichen Sachverstand mitbringt, wird spätestens am Schluss des Buches klar, dass man es nicht mit einem wissenschaftlichen, sondern mit einem politischen Programm zu tun hat. Letztlich lässt sich Latour nur auf einen konstruktivistischen Ansatz ein, um die Unterscheidung zwischen richtigen und falschen Konstruktionen einzuführen, weil es aus seiner Sicht nur die eine Welt gibt, die alle gleich sehen müssten. Da sie es aber faktisch nicht tun, bekommt das Konstruieren eine negative Konnotation. Latour weiß zwar auch nicht, wie man die Dinge richtig versammelt. Dafür weiß er aber ziemlich gut, wie man sie nicht richtig versammelt. Sein Rundumschlag gegen die Soziologie lässt sich nur so verstehen. Womit er aber darüber informiert, dass er sehr wohl glaubt zu wissen, wie man die Dinge richtig versammelt.
Man könnte auch sagen, Latour fehlt jegliche kritische Distanz zu seinen Beobachtungsmitteln. Diesen Vorgang kann man auch als Konfusion bezeichnen. Das erklärt Latours Fixierung auf Dinge. Bei ihm wird das Berichte-Schreiben zu einer Art Beschäftigungstherapie für Zwangsneurotiker, die sich für Wissenschaftler halten und ihre egozentrische Sichtweise zu universalisieren versuchen. Das soziale Moment, nämlich die Tatsache, dass mindestens zwei Personen an der Kommunikation beteiligt sind und dass es aufgrund von unterschiedlichen Sichtweisen auch zu Konflikten kommen kann, fehlt. Selbstverständlich kann man gegenüber Kommunikationspartnern nicht einfach bestreiten, dass es da ein wahrnehmbares Ding gibt, was im gemeinsamen Fokus der Aufmerksamkeit steht. Aber man kann dasselbe anders beschreiben. Dann kann man sich zumindest darüber einigen, dass man offenbar nicht dieselben Zeichensysteme verwendet. Gleichwohl bietet der gemeinsame Fokus der Aufmerksamkeit die gemeinsame Basis, um diese Differenzen durch Kommunikationsbeteiligung zu überwinden. Wenn Latour aber das Assoziieren von heterogenen Bestandteilen als »sozial« bezeichnet (vgl. 2010 [2005], S. 17), dann unterschlägt er sowohl die Unterschiede zwischen verschiedenen Personen als auch zwischen sozialen und psychischen Systemen. Daran zeigt sich, dass er auch psychische und soziale Systeme als identisch behandelt. Das Wort »sozial« benutze ich als Hinweis auf die Beteiligung von mindestens zwei Personen. Bei Latours Verständnis von »sozial« fehlt dieser Hinweis. Deswegen würde ich sein Verständnis von »sozial« als asozial bezeichnen.
Wie Latour mit Theorie Politik macht
Die normative Erwartung, alle Menschen müssten die Welt gleich sehen, macht Latour blind für das Soziale im hier vertretenen Sinne. Mit dieser Erwartung müssen aber die tatsächlichen Unterschiede zwischen den Menschen nur noch stärker und vor allem negativ bzw. als unerwünscht hervortreten. Diese Unterschiede lassen sich dann hervorragend politisieren. Es dürfte daher auch kein Zufall sein, dass Latour am Ende von »Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft« (2010 [2005]) nur politische Ziele benennen kann anstatt einen soziologischen Ansatz vorzustellen, der in der Lage wäre zu analysieren, wie die Menschen mit dem sozialen Grundproblem der ständig drohenden Divergenz des psychischen Erlebens verschiedener Personen umgehen. Vielmehr präsentiert er indirekt selbst ein Lösungsangebot, dass nur in der schlichten, wie naiven und zugleich normativen Annahme besteht, dass alle Menschen die Welt gleich sehen müssten. Es sieht so aus als glaubt Latour an eine natürliche, gleichsam automatische Konvergenz des psychischen Erlebens verschiedener Personen. Jedem, der noch ein bisschen wissenschaftlichen Sachverstand mitbringt, wird spätestens am Schluss des Buches klar, dass man es nicht mit einem wissenschaftlichen, sondern mit einem politischen Programm zu tun hat. Letztlich lässt sich Latour nur auf einen konstruktivistischen Ansatz ein, um die Unterscheidung zwischen richtigen und falschen Konstruktionen einzuführen, weil es aus seiner Sicht nur die eine Welt gibt, die alle gleich sehen müssten. Da sie es aber faktisch nicht tun, bekommt das Konstruieren eine negative Konnotation. Latour weiß zwar auch nicht, wie man die Dinge richtig versammelt. Dafür weiß er aber ziemlich gut, wie man sie nicht richtig versammelt. Sein Rundumschlag gegen die Soziologie lässt sich nur so verstehen. Womit er aber darüber informiert, dass er sehr wohl glaubt zu wissen, wie man die Dinge richtig versammelt.
Wissenschaftsstrategisch richtet sich Latours Marketing gegen die funktionale Äquivalenz bzw. Kontingenz
verschiedener Zeichensysteme. Das gilt sogar in einem doppelten Sinne, zum einen
hinsichtlich der sozialen Konstruktion der Dinge und zum anderen hinsichtlich
der soziologischen Theorien, die die soziale Konstruktion der Dinge zu erklären
versuchen. Latours Rede von einem mystischen Reich der Mitte (vgl. 2010 [2005], S. 104) stellt in diesem Zusammenhang eine Mystifizierung des Sozialen dar. Diese Vorstellung lenkt von dem ab, worum es geht - das was zwischen Menschen
geschieht und wie sie durch die Koordination des gemeinsamen Handelns zu einer
ähnlichen Wahrnehmung des gemeinsamen Fokus der Aufmerksamkeit gelangen können. Das
ist eigentlich für alle Beteiligten sichtbar. Aber Latour setzt lieber auf Mystifizierung, um davon abzulenken. Eines der Probleme, die man nicht ignorieren
kann, wenn man sich auf die Beobachtung der Kommunikation konzentriert, ist die
funktionale Äquivalenz bzw. Kontingenz von Zeichensystemen, mit denen Menschen
versuchen sich zu verständigen und die Welt begreiflich zu machen. Wenn es Latour lediglich darum geht, darauf hinzuweisen, dass auch materielle Dinge im Rahmen
von Kommunikationsprozessen Erlebens- und Handlungsmöglichkeiten strukturieren
können, dann ist das wirklich nichts Neues. Es stehen genügend Theorieansätze
zur Verfügung, die Latours Kritik am Konstruktivismus berücksichtigen, ohne einen
derartig gravierenden Kategorienfehler zu begehen.
Die Bilderstürmerei, die Latour gegenüber den soziologischen Klassikern an den Tag legt, wirkt vor diesem Hintergrund reichlich deplatziert. Sie zeigt, was für ein dilettantisches Studium der Klassiker Latour betreibt. Indem er die Klassiker auf Karikaturen reduziert, versucht er nichts weiter als davon abzulenken, dass bessere Alternativen zur Verfügung stehen als seine eigene Theorie. Auf diese Weise suggeriert er bei seinen Lesern den Eindruck, dass man sich mit solch lächerlichen Ansätzen nicht weiter auseinandersetzen muss. Latour scheint in diesem Punkt wohl auf den Unterhaltungswert seiner Kritik zu setzen und hofft, dass dadurch die gravierenden Missverständnisse, auf denen seine Kritik beruht, nicht auffallen. Damit bedient er aber nur die bornierte Engstirnigkeit von Leuten, die ebenfalls glauben zu wissen, wie die Welt wirklich ist. Die einzige wirkliche Karikatur einer soziologischen Theorie ist daher seine eigene. Unter konstruktivistischen Prämissen mündet das in einen erkenntnistheoretischen Voluntarismus, der wissenschaftliche Arbeit eigentlich unmöglich macht, wenn trotzdem der Glaube vorherrscht, dass die zu erforschende Welt selbstverständlich sei. Deswegen kann Latour auch nur politische Ziele formulieren. Er hofft am Ende selbst auf den sozialen Verstärkungseffekt, der sich einstellt, wenn sich Personen auf eine gemeinsame Weltsicht verständigen, unabhängig davon, wie realistisch oder illusionär diese ist. In diesem Sinne führt Latour den Begriff »Kollektiv« ein (vgl. 2010 [2005], S. 129). Er predigt lediglich einen Gemeinschaftsvoluntarismus, der zwangsläufig in einen unüberwindbaren sozialen Konflikt über die richtige Deutung der Welt führt. Das ist es, was man bei Latour unter dem Begriff »Versammeln« zu verstehen hat. Unüberwindlich wird der Konflikt, wenn eine Partei beteiligt ist, die glaubt zu wissen, wie man die Welt richtig deutet bzw. konstruiert und nicht bereit ist zu lernen. Doch gerade das führt dazu, dass das Verhalten der Personen, die an diesem Glauben festhalten, irgendwann so berechenbar wird wie das eines Automaten.
Das Soziale flach halten, um Kontingenz zu vermeiden
Latour will das Soziale flach halten (vgl. 2010 [2005], S. 288ff.). Das gelingt ihm auch in gewisser Weise, wenn er sich aufgrund der Illusion reiner Deskription nur auf die Oberfläche, also das Sichtbare, konzentriert. Der Blick für die Tiefe geht dabei verloren. Mit Tiefe meine ich, dass nicht nur sachliche, sondern auch soziale und zeitliche Differenzen in Bezug auf die Beobachtung eines Sachverhalts berücksichtigt werden. Eine Soziologie, die nicht in der Lage ist, aufgrund der sichtbaren Kommunikationsereignisse Rückschlüsse über die Erwartungen der Beteiligten zu ziehen, zeichnet nur ein halbes und ziemlich verzerrtes Bild, dass die Menschen unberücksichtigt lässt. Das Ergebnis ist ein geradezu psychotisches Neusprech, dass um jeden Preis versucht das Aufscheinen anderer Möglichkeiten zu vermeiden. Die Welt der Dinge erscheint dann als eine alternativlose Notwendigkeit und die Betrachtung der Menschen als Dinge ebenfalls. Daran zeigt sich nochmals, dass es nicht möglich ist, in diesem Theorierahmen Freiheit zu denken. Das Denken in Notwendigkeiten, also die enttäuschungsresistente Erwartung etwas muss so und so sein und nicht anders, ist für mich ein Hinweis auf psychotisches, egozentrisches Erleben. Deswegen empfehle ich bei der Beurteilung, ob eine soziologische Theorie etwas taugt, sie auf ihre psychologischen und kognitionswissenschaftlichen Implikationen zu prüfen.
Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, habe ich den Eindruck, dass die meisten soziologischen Theorien über den Stand von Sigmund Freuds »Das Unbehagen an der Kultur« (2007 [1930]) nicht hinausgekommen sind. Latour bleibt mit seiner ANT allerdings noch weit hinter diesem Stand zurück, denn seine Beobachtungsweise, die die Dinge den Menschen gegenüber zu gleichberechtigten Akteuren machen will, erinnert mehr an die magische Weltsicht archaischer Stammesvölker als an eine wissenschaftliche. Womöglich tue ich mit diesem Vergleich sogar den Magiern, Zauberern und Schamanen solcher Gesellschaften Unrecht, denn die hatten schon ein Bewusstsein für Kontingenz entwickelt. So muss man auch nicht über Freud hinausgehen, um Latours ANT selbst als eine sehr elaborierte Abwehrtechnik zu beobachten, mit der sich Lust aus der Unlustvermeidung gewinnen lässt. Die Unlust entsteht durch die Erkenntnis der eigenen Kontingenz bzw. Nicht-Notwendigkeit, die durch konkurrierende Deutungsangebote ausgelöst wird. Mit der ANT lassen sich solche unangenehmen Ereignisse durch die stillschweigende Übereinkunft, man wüsste, wie die Welt wirklich ist, vermeiden. Dummerweise finden die Versuche, eine eigene positive Deutung anzubieten, wider erwartend nicht bei allen Menschen Anklang, sodass am Ende nur das Ressentiment gegen die Menschen bleibt, die die Welt offensichtlich anders sehen als man selbst - und diese Menschen werden immer in der Mehrheit sein. Lust verschaffen dann nur noch die trügerische Gewissheit, man wüsste es besser, und die Fehler, die die Anderen machen. Um eigene Fehler zu vermeiden, geht die eigene Kommunikationsbeteiligung über stures Negieren nicht hinaus. Diese Form der Pseudo-Beteiligung wird üblicherweise als Kritik bezeichnet. Das Beharren auf dem Glauben, zu wissen wie man die Dinge richtig versammelt, wird daher auch keine Veränderungen in der sozialen Umwelt auslösen. So kann die ANT nicht mal in ihrem eigenen Verständnis als Aktant bezeichnet werden.
Fazit - Ohne Kontingenz keine Veränderung
Die Bilderstürmerei, die Latour gegenüber den soziologischen Klassikern an den Tag legt, wirkt vor diesem Hintergrund reichlich deplatziert. Sie zeigt, was für ein dilettantisches Studium der Klassiker Latour betreibt. Indem er die Klassiker auf Karikaturen reduziert, versucht er nichts weiter als davon abzulenken, dass bessere Alternativen zur Verfügung stehen als seine eigene Theorie. Auf diese Weise suggeriert er bei seinen Lesern den Eindruck, dass man sich mit solch lächerlichen Ansätzen nicht weiter auseinandersetzen muss. Latour scheint in diesem Punkt wohl auf den Unterhaltungswert seiner Kritik zu setzen und hofft, dass dadurch die gravierenden Missverständnisse, auf denen seine Kritik beruht, nicht auffallen. Damit bedient er aber nur die bornierte Engstirnigkeit von Leuten, die ebenfalls glauben zu wissen, wie die Welt wirklich ist. Die einzige wirkliche Karikatur einer soziologischen Theorie ist daher seine eigene. Unter konstruktivistischen Prämissen mündet das in einen erkenntnistheoretischen Voluntarismus, der wissenschaftliche Arbeit eigentlich unmöglich macht, wenn trotzdem der Glaube vorherrscht, dass die zu erforschende Welt selbstverständlich sei. Deswegen kann Latour auch nur politische Ziele formulieren. Er hofft am Ende selbst auf den sozialen Verstärkungseffekt, der sich einstellt, wenn sich Personen auf eine gemeinsame Weltsicht verständigen, unabhängig davon, wie realistisch oder illusionär diese ist. In diesem Sinne führt Latour den Begriff »Kollektiv« ein (vgl. 2010 [2005], S. 129). Er predigt lediglich einen Gemeinschaftsvoluntarismus, der zwangsläufig in einen unüberwindbaren sozialen Konflikt über die richtige Deutung der Welt führt. Das ist es, was man bei Latour unter dem Begriff »Versammeln« zu verstehen hat. Unüberwindlich wird der Konflikt, wenn eine Partei beteiligt ist, die glaubt zu wissen, wie man die Welt richtig deutet bzw. konstruiert und nicht bereit ist zu lernen. Doch gerade das führt dazu, dass das Verhalten der Personen, die an diesem Glauben festhalten, irgendwann so berechenbar wird wie das eines Automaten.
Das Soziale flach halten, um Kontingenz zu vermeiden
Latour will das Soziale flach halten (vgl. 2010 [2005], S. 288ff.). Das gelingt ihm auch in gewisser Weise, wenn er sich aufgrund der Illusion reiner Deskription nur auf die Oberfläche, also das Sichtbare, konzentriert. Der Blick für die Tiefe geht dabei verloren. Mit Tiefe meine ich, dass nicht nur sachliche, sondern auch soziale und zeitliche Differenzen in Bezug auf die Beobachtung eines Sachverhalts berücksichtigt werden. Eine Soziologie, die nicht in der Lage ist, aufgrund der sichtbaren Kommunikationsereignisse Rückschlüsse über die Erwartungen der Beteiligten zu ziehen, zeichnet nur ein halbes und ziemlich verzerrtes Bild, dass die Menschen unberücksichtigt lässt. Das Ergebnis ist ein geradezu psychotisches Neusprech, dass um jeden Preis versucht das Aufscheinen anderer Möglichkeiten zu vermeiden. Die Welt der Dinge erscheint dann als eine alternativlose Notwendigkeit und die Betrachtung der Menschen als Dinge ebenfalls. Daran zeigt sich nochmals, dass es nicht möglich ist, in diesem Theorierahmen Freiheit zu denken. Das Denken in Notwendigkeiten, also die enttäuschungsresistente Erwartung etwas muss so und so sein und nicht anders, ist für mich ein Hinweis auf psychotisches, egozentrisches Erleben. Deswegen empfehle ich bei der Beurteilung, ob eine soziologische Theorie etwas taugt, sie auf ihre psychologischen und kognitionswissenschaftlichen Implikationen zu prüfen.
Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, habe ich den Eindruck, dass die meisten soziologischen Theorien über den Stand von Sigmund Freuds »Das Unbehagen an der Kultur« (2007 [1930]) nicht hinausgekommen sind. Latour bleibt mit seiner ANT allerdings noch weit hinter diesem Stand zurück, denn seine Beobachtungsweise, die die Dinge den Menschen gegenüber zu gleichberechtigten Akteuren machen will, erinnert mehr an die magische Weltsicht archaischer Stammesvölker als an eine wissenschaftliche. Womöglich tue ich mit diesem Vergleich sogar den Magiern, Zauberern und Schamanen solcher Gesellschaften Unrecht, denn die hatten schon ein Bewusstsein für Kontingenz entwickelt. So muss man auch nicht über Freud hinausgehen, um Latours ANT selbst als eine sehr elaborierte Abwehrtechnik zu beobachten, mit der sich Lust aus der Unlustvermeidung gewinnen lässt. Die Unlust entsteht durch die Erkenntnis der eigenen Kontingenz bzw. Nicht-Notwendigkeit, die durch konkurrierende Deutungsangebote ausgelöst wird. Mit der ANT lassen sich solche unangenehmen Ereignisse durch die stillschweigende Übereinkunft, man wüsste, wie die Welt wirklich ist, vermeiden. Dummerweise finden die Versuche, eine eigene positive Deutung anzubieten, wider erwartend nicht bei allen Menschen Anklang, sodass am Ende nur das Ressentiment gegen die Menschen bleibt, die die Welt offensichtlich anders sehen als man selbst - und diese Menschen werden immer in der Mehrheit sein. Lust verschaffen dann nur noch die trügerische Gewissheit, man wüsste es besser, und die Fehler, die die Anderen machen. Um eigene Fehler zu vermeiden, geht die eigene Kommunikationsbeteiligung über stures Negieren nicht hinaus. Diese Form der Pseudo-Beteiligung wird üblicherweise als Kritik bezeichnet. Das Beharren auf dem Glauben, zu wissen wie man die Dinge richtig versammelt, wird daher auch keine Veränderungen in der sozialen Umwelt auslösen. So kann die ANT nicht mal in ihrem eigenen Verständnis als Aktant bezeichnet werden.
Fazit - Ohne Kontingenz keine Veränderung
Zusammengefasst bleibt festzuhalten, dass ich mit »naivem Konstruktivismus« einen konstruktivistischen Ansatz bezeichne, der zwar die Konstruiertheit der sozialen Wirklichkeit anerkennt, aber trotzdem an dem Glauben festhält, zu wissen wie die Wirklichkeit wirklich ist. Das führt dazu, dass man zwischen der einen richtigen Konstruktion, nämlich der Eigenen, und den vielen falschen Konstruktionen, die der Anderen, unterscheiden muss. Wie beim naiven Realismus kommt es im Zuge dessen zu einer Konfusion zwischen Beobachter und Beobachtetem, sodass sich ein naiver Konstruktivismus im Ergebnis nicht von einem naiven Realismus unterscheidet. Dass das Image des Konstruktivismus inzwischen ziemlich gelitten hat, liegt unter anderem daran, dass mit seinem Aufkommen der Begriff »konstruieren« zu einem inflationären Kampfbegriff geworden ist, der vor allem dazu dient konkurrierende Theorieunternehmen zu diskreditieren. Einschlägig hierzu ist sicherlich der beliebte Vorwurf, das sei ja alles »nur konstruiert«. Ein Vorwurf, den echte Konstruktivisten gar nicht erheben dürfen, weil er auch auf sie selbst zutrifft. Insofern ist dieser Vorwurf ein starker Hinweis, dass man es bei einer Person, die diesen Vorwurf erhebt, nicht mit einem reflektierten, sondern mit einem naiven Konstruktivisten zu tun hat. Die Feststellung, alles ist konstruiert, besagt auch noch nicht all zu viel, solange weiterhin unbeachtet bleibt, wie ein Sachverhalt konstruiert wird.
Ich habe im Vorangegangenen versucht zu zeigen, wie Latour Konstruieren konstruiert. Dabei hat sich gezeigt, dass er immer noch die Hoffnung auf eine voraussetzunglose Erkenntnis der Welt, frei von allen kulturellen Verzerrungen, mitschleift. Eine Hoffnung, die unter konstruktivistischen Prämissen allerdings nicht haltbar ist. Neue relative Sicherheiten verschafft nur die Beantwortung der Frage nach dem Wie des Konstruierens. Diese Frage lässt sich jedoch mit dem Begriffsinstrumentarium der ANT überhaupt nicht beantworten. Dafür müsste sie erst ein positives Verständnis von dem entwickeln, was die soziologische Systemtheorie als Kontingenz bezeichnet - also von funktionaler Äquivalenz und Nicht-Notwendigkeit. Das wird jedoch nicht gelingen, solange sie an der Beobachtung mit dem Kausalschema festhält. Starre Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge schließen die Beobachtung alternativer Ursachen und alternativer Wirkungen aus. Veränderungen sind daher in diesem Theorierahmen ebenfalls nicht denkbar. Stattdessen hält die ANT sich selbst für die Alternative, sodass sich nur alles andere ändern muss, außer sie selbst und ihre Anhänger. Hier wird Latour Opfer seiner eigenen naiven Annahmen, denn die ANT gerinnt so selbst zu einem unveränderlichen Ding. Vielleicht steht hinter dieser Konstruktion aber auch das Kalkül, dass wer am hartnäckigsten in einer Position verharrt, gewinnt. Durch Blockade verändert man aber in einer sich beständig verändernden Welt nichts. Der Fortgang der Zeit macht den gesellschaftskritischen Anspruch der ANT als hohle Geste und Veränderung als leeres Versprechen beobachtbar.
Eines von Batesons Büchern heißt übrigens vollständig »Geist und Natur. Eine notwendige Einheit« (1982 [1979]). Die Schwäche, die Latour am Konstruktivismus kritisiert, wurde lange vor ihm in genau der Denktradition aufgegriffen, die er in seinem Buch am schärfsten angreift. Bateson hat die Herausforderung, wie ich finde, wesentlich besser gemeistert als Latour. Ich kann daher nur den Tipp geben: Vergesst Latour, lest Bateson! Wen interessiert, was Naturwissenschaftler zu Latours Versuchen sagen, die Einsteinsche Relativitätstheorie auf sozialwissenschaftliche Fragestellungen anzuwenden, dem sei »Eleganter Unsinn« (2001 [1997]) von Alan Sokal und Jean Bricmont empfohlen. Sie widmen Latour ein eigenes Kapitel.
Ich habe im Vorangegangenen versucht zu zeigen, wie Latour Konstruieren konstruiert. Dabei hat sich gezeigt, dass er immer noch die Hoffnung auf eine voraussetzunglose Erkenntnis der Welt, frei von allen kulturellen Verzerrungen, mitschleift. Eine Hoffnung, die unter konstruktivistischen Prämissen allerdings nicht haltbar ist. Neue relative Sicherheiten verschafft nur die Beantwortung der Frage nach dem Wie des Konstruierens. Diese Frage lässt sich jedoch mit dem Begriffsinstrumentarium der ANT überhaupt nicht beantworten. Dafür müsste sie erst ein positives Verständnis von dem entwickeln, was die soziologische Systemtheorie als Kontingenz bezeichnet - also von funktionaler Äquivalenz und Nicht-Notwendigkeit. Das wird jedoch nicht gelingen, solange sie an der Beobachtung mit dem Kausalschema festhält. Starre Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge schließen die Beobachtung alternativer Ursachen und alternativer Wirkungen aus. Veränderungen sind daher in diesem Theorierahmen ebenfalls nicht denkbar. Stattdessen hält die ANT sich selbst für die Alternative, sodass sich nur alles andere ändern muss, außer sie selbst und ihre Anhänger. Hier wird Latour Opfer seiner eigenen naiven Annahmen, denn die ANT gerinnt so selbst zu einem unveränderlichen Ding. Vielleicht steht hinter dieser Konstruktion aber auch das Kalkül, dass wer am hartnäckigsten in einer Position verharrt, gewinnt. Durch Blockade verändert man aber in einer sich beständig verändernden Welt nichts. Der Fortgang der Zeit macht den gesellschaftskritischen Anspruch der ANT als hohle Geste und Veränderung als leeres Versprechen beobachtbar.
Eines von Batesons Büchern heißt übrigens vollständig »Geist und Natur. Eine notwendige Einheit« (1982 [1979]). Die Schwäche, die Latour am Konstruktivismus kritisiert, wurde lange vor ihm in genau der Denktradition aufgegriffen, die er in seinem Buch am schärfsten angreift. Bateson hat die Herausforderung, wie ich finde, wesentlich besser gemeistert als Latour. Ich kann daher nur den Tipp geben: Vergesst Latour, lest Bateson! Wen interessiert, was Naturwissenschaftler zu Latours Versuchen sagen, die Einsteinsche Relativitätstheorie auf sozialwissenschaftliche Fragestellungen anzuwenden, dem sei »Eleganter Unsinn« (2001 [1997]) von Alan Sokal und Jean Bricmont empfohlen. Sie widmen Latour ein eigenes Kapitel.
Literatur
Bateson, Gregory (1982 [1979]): Geist
und Natur. Eine notwendige Einheit. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main
Berger, Peter L./Luckmann, Thomas (2012
[1966]): Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der
Wissenssoziologie. 24. Auflage Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt am Main
Freud, Siegmund (2007 [1930]): Das Unbehagen in der Kultur. In: ders.: Das Unbehagen in der Kultur und andere kulturtheoretische Schriften. 10. unveränderte Auflage S. Fischer Verlag Frankfurt am Main. S. 29 – 108
Latour, Bruno (2010 [2005]): Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main
Freud, Siegmund (2007 [1930]): Das Unbehagen in der Kultur. In: ders.: Das Unbehagen in der Kultur und andere kulturtheoretische Schriften. 10. unveränderte Auflage S. Fischer Verlag Frankfurt am Main. S. 29 – 108
Latour, Bruno (2010 [2005]): Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main
Serres, Michel (1987 [1980]): Der Parasit. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main
Sokal, Alan/Bricmont, Jean (2001
[1997]): Eleganter Unsinn. Wie die Denker der Postmoderne die Wissenschaften
mißbrauchen. Ungekürzte Ausgabe Deutscher Taschenbuch Verlag München
Watzlawick,
Paul (2007 [1983]): Anleitung zum Unglücklichsein.
Taschenbuchsonderausgabe 2. Auflage Piper Verlag München
Nimmt nicht die mitbedachte Vorläufigkeit der Latour'schen Beschreibungen (und Subjektivität, da auch nur von einem einzelnen Menschen verfaßt) die Position der Kontingenz aller Konstruktionen durch die sozialen Subjekte ein? [Position, nicht Funktion]
AntwortenLöschenDafür habe ich bei Latour keine Anhaltspunkte gefunden. Der benutzt die Kontingenz aller Konstruktionen nur zu deren Delegitimierung und zur Begründung der Notwendigkeit seiner eigenen Konstruktion. Da es sich dabei um eine Konstruktion darüber handelt, wie konstruiert wird, behauptet er implizit zu wissen, wie richtig konstruiert wird, und versucht darüber nicht nur die Kontingenz aller anderen Konstruktionen zu überwinden, sondern wie die einzig richtige Konstruktion eines Dings fabriziert wird.
AntwortenLöschenDas wird besonders bei seinem Begriff des »Versammelns« deutlich. Ja, er versucht damit zunächst die unterschiedlichen Sichtweisen zu berücksichtigen. Aber was für eine Konstruktion soll dabei herauskommen, wenn man alle möglichen Sichtweisen berücksichtigen will? Das kann eigentlich nur im Chaos enden. Nehmen wir mal seine Parlaments-Metapher wörtlich, würde alle Parlamentarier bloß heilloses durcheinanderreden. Obwohl man angeblich versucht sich auf eine Konstruktion zu einigen, werden dadurch nur die Differenzen deutlich, was eigentlich nur in einen unlösbaren Konflikt führen kann. Denn wenn man die Kontingenz der verschiedenen Sichtweisen anerkennt und akzeptiert, wie soll dann je eine Einigung erreicht werden? Dann wäre die ANT als Konstruktionshilfe nur ein Konfliktverstärker und Latour müsste von seiner eigenen Theorie abraten.
Aus diesem Problem heraus wird erst der politische Anspruch der ANT verständlich. Indem er das »Versammeln« gleichsam als einen demokratischen Prozess beschreibt, erweckt er den Eindruck es wäre möglich, dass sich alle Menschen auf eine gemeinsame Konstruktion einigen könnten. Und Latour glaubt zu wissen, wie‘s geht. Die Point des Ganzen wäre, dass er offenbar glaubt, indem er diesen Prozess in einer äußerst vagen Analogie als demokratisch beschreibt, dass die Einigung auf eine notwendige Konstruktion gleichsam freiwillig geschehen könnte. Aber wie wahrscheinlich ist das wohl? Daher verstehe ich ihn so, dass er ernsthaft glaubt, das, was nicht mal totalitäre Regime geschafft haben über Zwang herzustellen, könne sich mit seiner Theorie gleichsam zwanglos einstellen. Das finde ich einfach nur realitätsfremd und absurd.
Mithin hat es auch noch nichts mit Wissenschaft zu tun, auf die Kontingenz der Beobachterperspektiven hinzuweisen. Das Berichtswesen ist keine überzeugende Lösung für wissenschaftliche Arbeit, selbst wenn man sich der Subjektivität der eigenen Beschreibung bewusst ist. Subjektivität ist kein wissenschaftlich anschlussfähiges Kriterium. Daher nährt Latour nur die Vorstellung, theoriefreie Deskription sei möglich.
Auch die Position – Kontingenz aller Konstruktionen – hat also eine Funktion, nämlich die Negation dieser Kontingenz und die Behauptung der Notwendigkeit der einen durch die ANT geprüften Konstruktion – Vorläufigkeit hin oder her.
Das politische Schlußkapitel muß ich noch lesen.
AntwortenLöschenGut, die implizite Behauptung, nun die richtige Theoriekonstruktion zu präsentieren, ist wohl vielen Theorien eigen (und erst der Ausgsngspunkt für Theoriediskussionen). Wenn man gleichzeitig natürlich über Konstruktivius herzieht, ist Deine Kritik berechtigt.
Mein Problem wäre aber die Kontingenz nicht des ANT-Konzeptes, sondern der jeweiligen Beschreibung, die sie fabriziert. Da fürchte ich das Abdriften ins Geschichtenerzählen, das ja durchaus was interessantes ergeben kann – so wie Geschichten eben interessant sein können – aber eben aufgrund ihrer Kontingenz wenig verallgemeinerbare Erkenntnis bietet.
Deine Skepsis bezüglich der Generalisierbarkeit solcher Beschreibungen teile ich auch. Ich hab grundsätzlich auch nichts gegen gute Geschichten. Aber speziell im sozialwissenschaftlichen Bereich kippt mir das zum Teil zu stark in die Literatur. Ich hab schon Rezensionen gelesen, in denen mehr die literarische Qualität als der wissenschaftliche Gehalt gepriesen wurde. Dirk Baecker forderte ja mal im Anschluss an Andrew Abbot eine lyrische Soziologie. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass man aus der Not (Krise der Soziologie) eine Tugend machen will. Wenn sich diese Entwicklung noch verstärkt, hat sich die Soziologie, zumindest in Deutschland, in ein bis zwei Jahrzehnten als akademischen Fach komplett erledigt.
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