Vom 06.10. bis 10.10.2014 fand in Trier der Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie statt. Ich hatte das Vergnügen bei der vom Soziologiemagazin organisierten Ad-Hoc-Gruppe „Krise der Kommunikation: Wo bleibt der soziologische Diskurs?“ einen Vortrag zu halten. Im Folgenden möchte ich einige meiner Eindrücke schildern, die ich während der Zeit sammeln konnte. Zwei Bemerkungen dazu vorweg. Zum einen, ich habe zwar Soziologie studiert, verdiene mein Geld aber heute außerhalb der Wissenschaft. Nichts desto trotz habe ich mir einen soziologischen Blick bewahrt und versuche diesen mit meinen beiden Blogs zu kultivieren. Trotzdem hatte ich die Befürchtung, dass ich aufgrund meiner weiteren beruflichen Sozialisation schwer für die Habitus- oder Verhaltensformen der professionellen Soziologen anschlussfähig sein werde. So hatte ich, um dem Abenteuer DGS-Kongress ein persönliches Motto zu geben, bereits auf der siebenstündigen Anfahrt nach Trier angefangen Robert A. Heinleins Roman „Ein Mann in einer fremden Welt“ (Engl. Originaltitel „Stranger in a strange land“) zu lesen. Diese Befürchtung hat sich zum Teil erfüllt, zum Teil aber auch nicht. Dazu im Folgenden mehr. Zum andere bot der DGS-Kongress eine große Anzahl an Veranstaltungen und man musste sich sehr gut überlegen, welche man besuchen möchte. Leider wurde man dabei häufig vor die Wahl gestellt zwischen verschiedenen Veranstaltungen zu wählen, die man alle gerne besucht hätte. So ist einer der wenigen Wermutstropfen des Kongresses, die kaum zu vermeidende Enttäuschung einige vielversprechende Veranstaltungen verpasst zu haben, die man auch gerne besucht hätte. Ich vermute, so wird es den meisten Teilnehmern ergangen sein. An diesem Problem konnte jeder das Komplexitätsproblem, was einen ja immer vor eine Entscheidung stellt, selbst erfahren. Zugleich kann man sich als Einzelner so gut wie kein allgemeines Urteil über den Kongress erlauben, weil man nur einen Bruchteil davon miterleben konnte. Deswegen werde ich aus meiner persönlichen Sicht einige Eindrücke und Gedanken schildern, die mich während des Kongresses bewegt haben. Hier spielen zum einen meine eigenen thematischen Interessen und die sich daran anschließende Auswahl der Veranstaltungen eine Rolle als auch einige Phänomene, die vielleicht nicht nur mir während der Zeit aufgefallen sind. Den soziologischen Blick konnte ich während des Kongresses natürlich nicht abstellen.
Vorleseritis
Ein solches Phänomen, das nicht
nur mir aufgefallen ist, war, dass die Referenten häufig nicht vorgetragen
haben, sondern Texte vorgelesen haben. Stefan Selke hatte in einem Beitrag
auf seinem Blog dieses Problem bereits für den World Congress of Sociology
der International Sociological Association (ISA) im japanischen Yokohama in
diesem Jahr beschrieben. Sein Text hatte mich dazu angespornt meinen Vortrag
frei zu halten. Vortragen wurde für mich zu einer Frage der Ehre. Da ich
allerdings so gut wie nie die Gelegenheit habe vor einem größeren Publikum zu
sprechen und dadurch mein Lampenfieber noch immer ein großer Risikofaktor ist,
war der Vortrag für mich auch eine sehr große Herausforderung. Ich hätte
allerdings nicht gedacht, wie groß der Anteil der Vortragenden war, die
abgelesen haben. Das hat mich, vorsichtig ausgedrückt, etwas schockiert. Denn
das größte Problem bei vorgelesenen Texten liegt darin, dass man dem Vortrag
kaum folgen kann. Ich habe einige krasse Auftritte miterlebt, die vor allem ein
Beispiel dafür ablieferten, wie man es nicht machen sollte. Aufgrund der
Selbstverständlichkeit und hohen Verbreitung, hatte ich den Eindruck, dass sich
das Vorlesen schon zu einer Konvention entwickelt hat. Ich empfand es leider
als eine sehr ärgerliche Unsitte, die ich irgendwann nur noch als
„Vorleseritis“ bezeichnet habe.
Neben der Möglichkeit auf dem
Kongress zu netzwerken, um karrieretechnisch die richtigen Weichen zu stellen,
sollte so ein Kongress auch ein Forum zur Bekanntmachung und Verbreitung der
eigenen Arbeit sein, was vor allem über die Vorträge erreicht wird. Doch gerade
diese Funktion wird mit vorgelesenen Texten immer schlechter erfüllt, was ich
schon recht problematisch finde. Vielleicht habe ich es nur so problematisch
empfunden, weil für mich der Kongress karrieretechnisch keinerlei Bedeutung
hat, denn ich strebe definitiv keinen Wiedereinstieg in die Wissenschaft an.
Aber gerade wer spannende Vorträge von eloquenten Rednern erwartet hatte, wurde zumeist herb enttäuscht. Selbst Randall Collins, von dem ich eigentlich viel
erwartet hatte, hielt eine Vorlesung im wörtlichen Sinne. Ich konnte ihm nur
schwer folgen und habe nach circa fünf Minuten wieder die Flucht ergriffen. Das
kann allerdings auch daran gelegen haben, dass ich gerade aus der Ad-Hoc-Gruppe
„Öffentliche Soziologie: die Soziologie und ihre Publika“ kam. Da gab es
wirklich noch Vorträge zu hören und auch anregende Diskussionen. Neben Stefan
Selke, der sowieso ein charismatischer Redner ist, lieferte Fran Osrecki mit
seinem Vortrag die beste Performance ab, die ich auf dem Kongress miterleben
durfte. Bei ihm zeigte sich die große Begeisterung und Freude für sein Thema,
dass ich ansonsten häufig vermisst habe. Der Input aus dieser Ad-Hoc-Gruppe war
ziemlich viel, so dass ich danach einfach noch keine Nerven hatte, mich auf
Collins einzulassen. So zog ich es dann vor, mich lieber den Organisatoren und
Referenten der Ad-Hoc-Gruppe anzuschließen, um zu überlegen, wie man
Öffentliche Wissenschaft weiter voranbringen kann. Dabei wurde auch mal kurz
diskutiert, was der Vorteil des Vorlesens sein könnte. Zum Teil kann ich die
Argumente nachvollziehen. Überzeugt habe sie mich jedoch nicht. Ich teile
in dieser Frage die Position von Stefan Selke, dass ein Vortrag frei gehalten
werden sollte.
Ein freier Vortrag hat nicht nur
Vorteile für die Zuhörer, sondern auch für die Vortragenden. Bei der Vorbereitung
meines eigenen Vortrags habe ich gemerkt, dass man sich ganz anders mit seinen
Ideen und Gedanken auseinander setzen muss als beim Schreiben eines Textes. In
einem Text kann man mit ausführlichen und komplizierten Gedankengängen
beeindrucken. Ich kann verstehen, wenn man das auch bei einem Vortrag möchte.
Meiner Meinung nach funktioniert das leider nicht, weil es den Vortrag völlig
überfrachtet. Gerade durch die Zeitvorgaben wird man gezwungen seine Gedanken
auf das Wesentliche zu reduzieren. Das geht nur, wenn man sich selbst mit der
Frage konfrontiert, was will ich eigentlich mit meinem Vortrag mitteilen. Mehr
als eine Gedankenlinie kann man in einem Vortrag eh kaum darlegen – es kommt
natürlich auch darauf an, wie viel Zeit man zur Verfügung hat. Dadurch muss im
Grunde jeder einzelne Satz darauf geprüft werden, ob er für die Darstellung
relevant ist oder nicht und ob er auch von Personen nachvollzogen werden kann,
die nicht im selben Theoriekosmos rumschwirren, wie man selbst. Dafür muss man
gelegentlich auch etwas zuspitzen. Mit Vorträgen, die nicht länger als 20
Minuten gehen sollen, kann man nicht die großen Gemälde malen, sondern
allenfalls schematische Skizzen. Für einen Vortrag reicht das aber zunächst
erstmal aus, denn mehr wird bei den Zuhörern sowieso nicht hängen bleiben. Ich
hatte z. B. eine Zeitvorgabe von maximal 15 Minuten. Mein ursprüngliches
Vortragsmanuskript umfasste 7 Seiten. Schnell habe ich gemerkt, dass dies die
Zeitvorgabe um einiges überschreitet. Am Ende hatte ich 5 Versionen des
Vortrags und die endgültige ist nur noch knapp etwas mehr als 4 Seiten lang.
Dafür musste ich radikal aussortieren, weil ich mir viel zu viel vorgenommen
hatte. Obwohl ich über einen Monat den Vortrag geübt hatte, stand die
endgültige Version erst knapp eine Woche vorher. Und erst mit ihr lag ich in
der Zeitvorgabe.
Ich kann daher nur an die
Organisatoren des Kongresses und der einzelnen Veranstaltungen appellieren
stärker auf die Zeitvorgaben zu bestehen und notfalls auch mal abzubrechen, um
ein Zeichen gegen diese Unsitte zu setzen. Eine Vermutung, die sich bei mir während des Kongresses
bildete, ist, dass die Krise der Soziologie möglicherweise auch mit dieser
offenbar üblichen Form der Wissensverbreitung zusammenhängt. Anscheinend
besteht bei vielen Vortragenden keinerlei Interesse mehr von den Zuhörern
verstanden zu werden. Dies kann auch nicht gelingen, wenn man die Referenten
nicht durch das Bestehen auf der Zeitvorgabe dazu zwingt, sich intensiv mit den
eigenen Gedanken auseinander setzen. Ohne das Einhalten der Zeitvorgaben und ohne das Vortragen besteht die starke Tendenz
zur Präsentation von zerfaserten Gedankengängen anstatt von pointierten
Aussagen. So wird den Vortragenden zwar die Möglichkeit gegeben argumentative
Schwächen zu verbergen. Nur was bringt das, wenn einem am Ende keiner mehr
zuhört? Das ist es nämlich, was durch das Vorlesen erreicht wird.
Gelehrter oder
Forscher?
Ein weiter Aspekt dieses Problems
scheint mir ein unter deutschen Soziologen immer noch weit verbreiteter Habitus
zu sein. Mein Eindruck ist, dass sich in Deutschland noch viel zu sehr am Typus
des Gelehrten orientiert wird, der sein enzyklopädischen Wissen jedem runter
rattern kann, der es hören will. Der Unterschied zwischen Gelehrten und
Forschern treibt mich seit der Lektüre von Jürgen Kaubes Max-Weber-Biographie
um. Sie bot den Anlass mir erstmals über diesen Unterschied Gedanken zu machen.
Denn Kaube beschreibt mit der Biographie einen Prototyp deutscher
Gelehrsamkeit. Die folgenden Ausführungen zum Unterschied zwischen Forschergeist
und Gelehrsamkeit beziehen sich allerdings nicht direkt auf Weber. Ich versuche
nur Idealtypen - das durchaus im Sinne Webers - zu rekonstruieren. Auf den
Gelehrten trifft Luhmanns berühmte Formulierung zu, dass man alles, was man
weiß, aus den Massenmedien weiß – der Gelehrte speziell aus Büchern. Es ist
überwiegend ein Wissen aus zweiter Hand, das er referiert, und häufig fehlt
auch der emotionale Bezug zum Gegenstand. Geht man nach der Eloquenz eines
Vortrags, hab ich mich während des Kongresses öfters gefragt, warum sich einige
Personen überhaupt mit einem bestimmten Thema beschäftigen, denn die fehlende
Eloquenz, zeugt von einer geringen emotionalen Verbundenheit zum Thema. Ich
finde, man muss die Begeisterung für ein bestimmtes Themenfeld spüren können. Auch
dies kann ansonsten leicht zum Verlust der Aufmerksamkeit des Publikums führen.
Dafür habe ich auch offensiv in der Ad-Hoc-Gruppe des Soziologiemagazins
geworben.
Dazu gehört es auch sich aus der
sicheren Distanz des Beobachters mitten ins Feld zu begeben. Hier haben mich
schon immer die Ethnologen fasziniert, die, gepackt vom Forscherdrang, ihre
Reisen zu unbekannten Kulturen unternommen haben. Mit der Idee, die
Gesellschaft als Labor zu betrachten, wird dieser Forschergeist einer
Modernisierung unterzogen. Ich selbst habe während des Kongresses festgestellt,
dass ich diesen Geist auf eine gewisse Art und Weise auch in meiner Arbeit
umsetze. Ich kann nur alle Nachwuchswissenschaftler ermutigen sich mehr von
diesem Geist inspirieren zu lassen.
Zur Emanzipation von dem
Gelehrtengeist gehört es auch sich von der Ehrfurcht vor den großen Klassikern
zu befreien. Ich kann jeden angehenden Soziologen nur empfehlen solche Theorien und Methoden nicht als sakrosankt zu betrachten, sondern eher als Mittel die eigene
Beobachtungsgabe zu schärfen und diese Beobachtungen anschlussfähig auszudrücken.
Dies kann nicht nur, sondern das auch sollte Freude machen. Wenn man eine oder
mehrere Theorien gefunden hat, bei denen man das Gefühl hat sein Erleben am
objektivsten – ohne natürlich Objektivität jemals vollständig erreichen zu
können – ausdrücken kann, dann sollten die Leser oder Zuhörer diese Freude auch
spüren. Denn nur dadurch gewinnt man die Aufmerksamkeit des Publikums und der
Funke springt über, damit auch die Leser oder die Zuhörer zum soziologischen
Denken angeregt werden. Nur wer die Ausdrucksmöglichkeiten, die die
Gesellschaft bietet, souverän zu nutzen weiß, zeigt, dass sie oder er eine gute
Soziologin oder ein guter Soziologe ist. Diese Souveränität habe ich häufig
vermisst. Vorlesen statt Vortragen ist häufig ein Indikator für diese fehlende
Souveränität. Außerdem erkennt man durch diese Praxis viel leichter was sich
ein Autor bei bestimmten Theorieteilen gedacht hat. In dem man eine bestimmte
Theoriesprache benutzt, ahmt man nicht nur den Autor nach, sondern irgendwann
ist man auch in der Lage über ihn hinauszudenken.
Diese Ansprüche lege ich
auch an meine eigenen Texte und Vorträge an. Wie erfolgreich er umgesetzt wird,
müssen andere beurteilen. Ich bin während des Kongresses zu dem Schluss
gekommen, dass der moderne und öffentliche Forscher engagiert,
experimentierfreudig und abenteuerlustig sein sollte, um eine soziale Resonanz
zu erzeugen. Meinem Eindruck nach gibt es hier noch einigen Nachholbedarf, aber
auch einiges Potential unter Nachwuchssoziologen. Ich hoffe, dass der deutsche Universitätsbetrieb in den kommenden Jahren nicht noch den letzten Rest des
Forschergeistes abtötet. Der Gelehrte ist ein Relikt der Vergangenheit. Er ist
ein Wissensverwalter, aber niemand der durch sein Handeln zur Vermehrung des
Wissens beiträgt. Forschen heißt seine Annahmen über die Wirklichkeit durch die
Wirklichkeit bestätigen oder negieren zu lassen. Das Negieren hat dabei
eindeutig die Überhand. Wer Wissenschaft betreibt, muss also zu allererst
bereit sein sich und anderen die eigenen Irrtümer einzugestehen. Der Forscher
lässt sich also von der Wirklichkeit belehren. Der Gelehrte dagegen belehrt nur
andere – und diese nicht etwa über die Wirklichkeit sondern nur über Annahmen
über die Wirklichkeit, die zumeist nicht mal seine eigenen sind. Außerdem
handelt es sich nur um eine One-Way-Kommunikation. Widerspruch ist häufig nicht
erwünscht. Das zeugt von einem gestörten Wirklichkeitsbezug und ist eine der
denkbar schlechtesten charakterlichen Voraussetzungen um Wissenschaft zu
betreiben. Dafür ist die Gefahr ziemlich groß in quasi-religiösen Dogmatismus
zu verfallen. Eines sollte klar sein. Wissenschaft gibt keine Antworten auf die
letzten Fragen. Das Wissen, das die Wissenschaft liefert, kann aber dazu
beitragen für sich selbst eine Antwort auf diese Fragen zu finden. Das gilt
aber auch für Religion, Liebe, Kunst, ja sogar Wirtschaft oder Politik und ist
somit nichts, was ein Alleinstellungsmerkmal der Wissenschaft wäre. Wer
endgültige und unumstößliche Antworten auf die letzten Fragen erwartet, ist trotzdem
noch bei einer der vielen Religionen am ehesten an der richtigen Adresse.
Systemtheorie
Es war natürlich klar, dass ich
die wenigen Systemtheorie-Veranstaltungen, die es gab, besuchen musste. Und so
stand am Dienstag die von Thomas Kron und Walter Reese-Schäfer
organisierte Veranstaltung der Sektion
Soziologische Theorie „30 Jahre »Soziale Systeme« - Ende und Anfang einer
Theoriekrise?“ auf meinem Programm. Dabei wurde mir jedoch sehr schnell klar,
was mich von der Hardcore-Systemtheorie-Szene trennt. Luhmann hatte ja eine
sehr kühle und distanziert, ironische Haltung kultiviert. Damit kann ich nur
bedingt etwas anfangen. Gerade die kühle Distanz kommt dem Gelehrtenhabitus
sehr entgegen und viele Systemtheoretiker gefallen sich immer noch in der Pose
des Gelehrten, lassen aber die nötige Selbstironie vermissen. Das Eingestehen
der Grenzen des eigenen Wissens hat übrigens noch nichts mit Selbstironie zu
tun, sondern diese Bescheidenheit ist eine notwendige charakterliche
Voraussetzung um überhaupt gute Wissenschaft betreiben zu können. Ein
bisschen mehr Forschergeist würde auch einigen Systemtheoretikern sicher ganz
gut tun. Das bezieht sich übrigens nicht auf die Vortragenden, denn bis auf
eine Ausnahme wurde mehr oder weniger versucht die Luhmannsche Systemtheorie
tot zu reden.
So beließ es Dirk Baecker in
seinem Vortrag dabei zu proklamieren, dass es keine sozialen Systeme gibt, um
daraufhin eine Literarisierung der Systemtheorie zu fordern. Diese Forderung
hat vermutlich bei den meisten Zuhörern ganze Kaskaden an Fragen aufgeworfen.
Das Problem, für das seine Forderung die Lösung sein soll, wurde leider nicht
eingehender dargestellt. Stattdessen wurden nur irgendwelche Thesen
präsentiert, ohne dass der Entstehungskontext erläutert wurde [1]. Dadurch
bekam der Vortrag etwas den Anschein von Verkündung. Als Beispiel für eine
Literarisierung der Systemtheorie verwies Baecker auf Rainald Goetz‘ „Klage“.
Die Forderung nach einer Literarisierung ist in einem wissenschaftlichen Rahmen
für sich schon sehr erläuterungsbedürftig. Kennt man Goetz‘ Buch erscheint die
Erläuterungsbedürftigkeit noch dringlicher. Denn es handelt sich dabei um eine
Sammlung ziemlich wirrer, um nicht zu sagen psychotischer, Tagebucheinträge, die
nicht mal im Ansatz einen soziologischen Blick erkennen lassen. Es stellt sich daher
nicht nur die Frage, was hat „Klage“ mit Luhmann zu tun, wenn man davon
absieht, dass sein Name darin erwähnt wird? Darüber hinaus fragt sich auch, was
hat das mit Systemtheorie oder Soziologie zu tun? Wissenschaftlich oder
soziologisch ist das Buch völlig irrelevant, weil „Klage“ in typisch
postmoderner Manier in kaum nachvollziehbarer Subjektivität versinkt. Alle
diese Bedenken lassen sich in einer einzigen Frage zu Baeckers Vortrag zusammenfassen:
War das wirklich ernstgemeint?
Will Martens hatte mich mit einer
recht unerwarteten Kritik an Luhmanns Systemtheorie überrascht. In seinem
Vortrag „Die Konstitution soziale Systeme durch Handlungen“ argumentierte er,
dass Luhmann mit der Unterscheidung von System und Umwelt bloß die
Unterscheidung von Teil und Ganzem reformuliert hätte. Das stimmt zwar, wäre
aber eine sehr verkürzte Lesart, die vor allem die kommunikationstheoretischen
Prämissen ignoriert. So wurde mir nicht klar, worin er den Vorteil des
Handlungsbegriffs gegenüber dem Kommunikationsbegriff sieht. In der
anschließenden Diskussion fragte ich ihn, warum er, wenn er weiterhin für den
Handlungsbegriff plädiert, in seinem Vortrag nicht auf den Unterschied von
Handlungsbegriff und Kommunikationsbegriff eingegangen ist. Dieser Unterschied
hätte das eigentliche Thema des Vortrags sein müssen. Immerhin begreift Luhmann
eine Handlung als ein Ereignis, dass eine Synthese aus drei Selektionen ist,
nämlich Information, Mitteilung und Verstehen. Das entsprechende Kapitel in
»Soziale Systeme« heißt ja auch entsprechend „Kommunikation und Handlung“.
Darauf entgegnete Martens, dass er dies ganz kurz machen können – im Sinne,
dass dies keinen Vortrag wert wäre. Die Unterscheidung von Mitteilung, Information
und Verstehen sei nach seiner Ansicht zum einen funktionalistisch und zum anderen
– jetzt kommt’s – normativ. Wie man den Funktionalismus als Einwand gegen
Luhmann verwenden will, verstehe ich nicht. Immerhin handelt es sich bei seiner
Systemtheorie ja um eine funktionalistische Theorie. Das wäre für mich eher ein
Argument für als gegen Systemtheorie. Völlig neu und überraschend war für mich
die Kritik, die Systemtheorie sei normativ. Wobei Martens es nicht im Sinne
einer moralischen Normativität meinte, sondern im Sinne, dass sie mit der
Unterscheidung von Mitteilung, Information und Verstehen bestimmte, recht hohe
Erwartungen an Kommunikation heranträgt, die empirisch kaum erfüllt werden. Da
hat er natürlich in gewisser Weise Recht. Ich würde in diesem Zusammenhang aber
nicht von Normativität sprechen, denn mit jeder Theorie werden bestimmte
Erwartungen an Handlungen oder an Kommunikation herangetragen, die ja
vermutlich in den seltensten Fällen vollständig bestätigt werden. Außerdem kann
man sehr häufig, speziell in organisierten Sozialsystemen beobachten, dass das
Auslassen einer sachlichen, zeitlichen oder sozialen Information Irritationen
auslösen kann. Kommunikationsprobleme, die durch zu unpräzise Artikulation
ausgelöst werden, kenne ich auch aus meiner eigenen beruflichen Praxis zur
Genüge. Darüber hinaus ist diese Verwechslung von Normen und Erwartungen selbst
ein schönes Beispiel für eine unpräzise Mitteilung. Deswegen würde ich entgegen
halten, dass man sich an dem orientieren kann, was sich bewährt hat und
funktioniert. Denn nur dann kann man auch verstehen, wenn es zu Problemen
kommt. Auch wenn sich Luhmann hier möglicherweise an den hochgezüchteten
Erwartungshaltungen von Organisationen orientiert hat, spricht das noch lange
nicht dagegen. Vielmehr zeigt es doch nur wie anspruchsvoll und
unwahrscheinlich erfolgreiche Kommunikation ist. Und selbst in Organisationen
läuft es ja meistens nicht reibungslos. Es gibt also gute Gründe diese
kontrafaktischen Erwartungen aufrecht zu erhalten. Und das
macht unter anderem die Kontingenz bzw. Andersartigkeit – nicht Überlegenheit!
– des soziologischen Blicks aus. Ich hatte am Donnerstag kurz die Gelegenheit
Martens persönlich zu erläutern, dass ich seine Einwände gar nicht als Einwände
betrachten würde, sondern als Argumente für Luhmanns Systemtheorie, wenn man
mal genauer darüber nachdenkt, was er mit normativ in diesem Fall eigentlich
meint. Jede Theorie legt kontrafaktische Erwartungen an die Empirie an. Die Stärke einer wissenschaftlichen Theorie zeigt sich, wenn diese Erwartungen modifiziert oder aufgegeben werden, weil sich die kontrafaktische Aufrechterhaltung nicht bewährt hat. Ich kann mir allerdings sehr gut vorstellen, dass in den kommenden Jahren trotzdem diese Form einer Normativitätsunterstellung als beliebtes Totschlagargument in der Auseinandersetzung konkurrierender Theorieschulen genutzt wird
Der interessanteste Beitrag der
Veranstaltung kam von Wolfgang Ludwig Schneider, der einen Vortrag „Zur
Relevanz der Figur des Parasiten für die Theorie sozialer Systeme“ hielt. Er
war der einzige, der nicht in das vorausgegangene Luhmann-Bashing der anderen
Vorträge mit einstimmte, sondern konstruktive Kritik übte. Er bezog sich dabei
auf Michel Serres‘ Buch „Der Parasit“, das auch Luhmann gerne zitierte. Interessant
fand ich seinen Vortrag deswegen, weil meine eigenen Gedanken dazu in dieselbe
Richtung gehen. Dass für eine stärkere Kombintation von Luhmann und Serres das Kapitel
„Widerspruch und Konflikt“ in »Soziale Systeme« interessant ist, hat auch
Schneider erkannt. Bei der Kombination von Luhmann und Serres stellt Serres‘
sehr impressionistischer Stil eine große Herausforderung dar. Während sich
Schneider noch sehr an Serres Metaphernsprache orientiert, arbeite ich schon
seit längerem mit einer Definition des Parasiten als einer unidirektionalen
Beziehung. Die findet sich schon auf dem Buchdeckel der Taschenbuchausgabe. Man
könnte auch von einer asymmetrischen Beziehung sprechen. Auf Kommunikationssysteme
angewendet, würde das bedeuten, dass wechselseitige Beziehungen, wie sie sich
zunächst mit jedem Interaktionssystem bilden durch bestimmte Kommunikationstechniken zu einseitigen Beziehungen modifiziert werden. Mit
anderen Worten, die Teilnahmemöglichkeiten werden einseitig zugunsten eines
Kommunikationspartners reduziert. Ich vermute Bruno Latour zielt mit seiner
symmetrischen Anthropologie auf etwas Ähnliches ab. Und er ist ja auch stark
von Serres beeinflusst. Der idealtypische Parasit wäre unter dieser
Voraussetzung eine Machtbeziehung a la „Du machst das, was ich will, aber ich
mache nicht, was du willst“. Jegliche Art von Zwangsmaßnahme würde darunter
fallen. Die eigentliche Herausforderung besteht aber in der Analyse von
Kommunikationstechniken, die nicht mit Gewalt als Druckmittel arbeiten. Nach
der Ad-Hoc-Gruppe „Systemtheoretische Theorie als Kritische Theorie?“, die wir
auch beide besuchten, wies ich Schneider noch darauf hin, dass man im Grunde
Foucault unter dieser Prämisse lesen müsste. Foucault hat mit seiner
Machtanalytik so eine Art Parasitenjagd betrieben. Unter diesem Blickwinkel
wäre Schneiders Vortrag dann auch für diese Ad-Hoc-Gruppe höchst relevant
gewesen – speziell mit Blick auf den Vortrag von Sven Opitz.
Systemtheorie &
Kritik
Damit komme ich zur
Ad-Hoc-Gruppe, die ich Mittwochnachmittag besucht habe. Wer meine Texte kennt,
weiß dass ich von der Kritischen Theorie nicht allzu viel halte. Auch die
Referenten der von Jasmin Siri und Kolja Möller organisierten Ad-Hoc-Gruppe
konnten mich nicht von dieser Haltung abbringen. Die entscheidende Erkenntnis
hatte ich während des Vortrags von Maren Lehmann. Da sie auch vorgelesen hatte,
konnte ich ihrem Vortrag über weite Strecken nicht folgen [2]. An den Stellen
an denen ich folgen konnte, kristallisierte sich bei mir die Erkenntnis heraus,
dass die Kritische Theorie eigentlich nur über Kritik redet, aber kaum effektiv
kritisiert sondern durch ihre Form der Kritik eher noch die bestehenden
Verhältnisse stützt, während Luhmann einfach kritisiert hat ohne dass er je
großes Aufheben darum gemacht hätte. Dieses Kritische Potential der
Systemtheorie ergibt sich für mich aus dem, was Will Martens als normativ
bezeichnet hatte aber eigentlich kontrafaktische Erwartungen der Theorie meint,
die zumindest vorläufig enttäuschungsresistent aufrechterhalten werden.
Ein weiteres Kritikpotential
ergibt sich aus der hohen Anschlussfähigkeit der Luhmannschen Systemtheorie an
systemische Therapieformen. Es ist ja kein Zufall, dass gerade in der
systemischen Berater-&-Therapeuten-Szene Luhmann sehr stark rezipiert wird.
Ich selbst versuche aus diesen theoretischen Anknüpfungspunkten eine Kritik
bestimmter Formen interpersoneller Wahrnehmung abzuleiten. Programmatisch dazu
war mein
erster Text für das Beobachter.LAB. Das Programm selbst bezeichne ich im
Anschluss an Gregory Bateson als die Suche nach einer Ökologie des Geistes. Mit
der Rede von Ökologie soll die Umweltorientierung des Geistes – Geist =
Selbstreferenz – betont werden. Hier
sehe ich einige Parallelen zu dem Vorhaben, was Sven Opitz in seinem Vortrag
„Selbsttechnik mit System“ vorgestellt hat. Er nimmt allerdings an, dass
Foucault für die Kritik bestimmter Formen der interpersonellen Wahrnehmung hilfreich sein könnte. Da habe ich so meine Zweifel. Ich selbst
habe meinen Theorieansatz schon vor längerer Zeit wieder für psychologische
Ansätze geöffnet und diese integriert. Auch hier gibt es möglicherweise noch
einen tiefen Graben zwischen mir und vielen Systemtheoretikern, denn diesen
Schritt ist nicht jeder bereit mitzugehen. Ich sehe darin jedoch ein großes
Potential das Erleben der Menschen wieder stärker zu berücksichtigen und den
anti-humanistischen Bias der Systemtheorie gerade zu rücken. Ob man etwas Vergleichbares
erreicht, wenn man stattdessen mit Foucault arbeitet, glaube ich nicht. Dazu
war Foucault viel zu psychiatrie- und psychologiefeindlich eingestellt. Das
macht sich auch in den entsprechenden Werken dazu bemerkbar. Foucault hat sich
nur auf den strategischen Einsatz der Kategorisierung als „verrückt“ für die
Ausgrenzung von Personen interessiert. Gleichwohl ich diesen Missbrauch nicht
bestreiten würde, übersieht Foucault meiner Meinung nach völlig, dass Menschen
sehr wohl an seelischen Problemen leiden können unabhängig davon, ob man diese
seelischen Zustände als verrückt bezeichnet oder nicht. Mithin scheint mir
Foucault sehr stark dazu beigetragen zu haben, dass seelische Leiden inzwischen
als unveränderbare Gefühlszustände betrachtet werden ohne zu registrieren,
welche Kommunikationsprobleme der auf die Umwelt projizierte Selbsthass und die
Selbstaggression der Betroffenen bereits bereiten. Statt symbolische Gewalt zu
minimieren, hat sie unter dem Einfluss französischer Poststrukturalisten eher
zugenommen, weil man die symbolische Gewalt psychotischen Erlebens und
neurotischen Verhaltens nicht als solche erkennt. Mit anderen Worten, Foucault hat einen
egozentrischen statt einen empathischen Blick kultiviert und an den Folgen
leidet die zwischenmenschliche Kommunikation und die beteiligten Menschen. Vor
dem Hintergrund des durch den Poststrukturalismus und die Postmoderne
kultivierten Egozentrismus erscheint das Bestehen auf einer stärkeren
Umweltorientierung im Sinne einer stärkeren Berücksichtigung der
Kommunikationspartner und ihres Erlebens dringend notwendig.
Das Problem der Vorleseritis
machte sich leider auch in dieser Ad-Hoc-Gruppe stark bemerkbar. Obwohl ich oben
bereits das Wesentliche dazu geschrieben habe, kam bei einigen Vorträgen noch
ein spezieller Aspekt dieses Problems zum Tragen. In einigen Vorträgen wurde
versucht über Luhmann-Zitate eine bestimmte Lesart Luhmanns zu plausibilisieren
– im Rahmen des Themas sollte auf das kritische Potential bei Luhmann
aufmerksam gemacht werden. Das ist sicherlich eine durchaus übliche Textform
zur Annährung an einen bestimmten Autor. Aber genau darin liegt auch das
Problem. Es handelt sich um eine Textform
und Texte werden gelesen. Als Vortrag funktionierte das aus meiner Sicht nicht
wirklich. Außerdem handelt es sich bei dieser Herangehensweise für mich
tendenziell zu sehr um Luhmann-Exegese. So toll ich Luhmann auch finde, bleibt
mir diese Form der Auseinandersetzung mit einem Autor fremd. Das Problem bei
dieser Art der Auseinandersetzung ist, dass man sich immer nur unkritisch
gleichsam „von unten“ annähert. Darin spiegelt sich für mich noch ein zu großer
Respekt vor der Autorität bzw. dem Genius des Autors wieder. Auf diese Weise
wird es nur extrem schwer gelingen das gleiche Niveau zu erreichen oder
sogar darüber hinauszuwachsen. Dadurch wird in gewisser Weise die eigene Weiterentwicklung
blockiert. Das sei nur nebenbei bemerkt. Der Punkt ist, in Textform kann eine
exegetische Herangehensweise sinnvoll sein. Als Vortrag funktioniert es dagegen
nicht, weil es dem Publikum – vor allem, wenn auch noch vorgelesen wird – es
extrem schwer gemacht wird zu folgen.
Zum Thema der Ad-Hoc-Gruppe
möchte ich zum Abschluss nochmal meine Wortmeldung wiederholen und ergänzen.
Luhmanns Systemtheorie wird gerade durch den Verzicht auf Moral höchst
moralisch. Die einzelnen Funktionssysteme der modernen Gesellschaft sind
funktionale Äquivalente zur Moral. Wer die Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit
der Inklusionsmodi einzelner Funktionssysteme beurteilen will, muss sich darauf
einlassen. Die Systemtheorie bietet die analytischen Mittel, um die
Operationsweise der Funktionssysteme zu verstehen. Die Funktionssysteme regeln
wer wie im Kontext des jeweils zu lösenden Bezugsproblems Aufmerksamkeit
bekommt oder nicht – das gilt für Leistungserbringer und Leistungsempfänger
gleichermaßen. Daraus ergibt sich das Kritische Potential der Systemtheorie. Dann
gehört es jedoch auch zur wissenschaftlichen Redlichkeit dazu, dass man
deutlich macht, warum sich z. B. rechtliche Kommunikation nicht auf das Weinen
einer Zeugin im Gerichtssaal einlassen kann. Empathie allein entfaltet noch
kein Kritisches Potential, denn das Fühlen und Erleben einer Person muss immer
ins Verhältnis zum Fühlen und Erleben der jeweiligen Kommunikationspartner
gesetzt werden. Dabei wird sich zeigen, dass nicht nur die Formen die Welt zu
beobachten kontingent geworden sind, sondern unsere Weisen zu Fühlen ebenso.
Subjektivität bzw. die Einzigartigkeit des eigenen Erlebens und Fühlens kann
daher in der modernen Gesellschaft keinen Anspruch auf absolute Notwendigkeit oder
gar Unantastbarkeit erheben. Man würde ansonsten nur einem unkritischen
Egozentrismus der Leidenden Vorschub leisten, der erst die Probleme schafft,
die man eigentlich lösen will. Das haben Kritische Soziologen, egal welcher
Schule, leider bis heute nicht verstanden.
Öffentliche
Soziologie
Während der Dienstag und Mittwoch
stärker im Zeichen der Systemtheorie standen, wurden der Donnerstag und Freitag
durch das Thema Öffentliche Soziologie geprägt. Dass dieses Thema nun verstärkt
in soziologieinterne Öffentlichkeiten getragen wird, liegt an dem registrierten
Relevanzverlust der Soziologie. Diesen Relevanzverlust finde auch ich
bedenklich, denn von dem Wissen der Soziologie kann jeder profitieren. Leider
fehlen der Soziologie heute das nötige Selbstbewusstsein und das Wissen über
die eigenen Stärken, was sich dann in einem sehr defensiven und zögerlichen
Auftreten in außerwissenschaftlichen Öffentlichkeiten bemerkbar macht. Eine
wichtige Frage, die sich in Bezug auf Öffentliche Soziologie ergibt, ist, wer
sich heute überhaupt noch für soziologische Themen interessiert. Es ist eine
Frage nach den Publika der Soziologie. Dieser Frage widmete sich die von Stefan
Selke und Oliver Neun organisierte Ad-Hoc-Gruppe „Öffentliche Soziologie: die
Soziologie und ihre Publika“. Die Veranstaltung hob sich schon allein deswegen
von den anderen Veranstaltungen, die ich besucht hatte, wohltuend ab, weil hier
überwiegend wirklich noch vorgetragen und nicht abgelesen wurde.
Den Anfang machte Manfred
Pirsching von der Universität Graz mit seinem Vortrag „Das Publikum – ein
unbekanntes Wesen. Zur Soziologie des öffentlichen Vortrags“. Ausgangspunkt
seines Vortrags war die gegenwärtig etwas paradoxe Situation, dass es auf der
einen Seite eine Unmenge an Themen gibt, zu denen sich die Soziologie nicht
äußern könne, zu denen aber eine Nachfrage nach einer soziologischen
Perspektive besteht. Der Soziologie gelingt es viel zu selten diese bestehende
Nachfrage zu befriedigen. Pirsching stellte eine gewisse Ignoranz gegenüber der
Nachfrageseite, also dem Publikum, fest. Hinzu kommt noch eine Zögerlichkeit
auf die öffentliche Nachfrage einzugehen, die aus einer Trivialisierungsangst
entspringt. Wer sich als Soziologe an ein außerwissenschaftliches Publikum
wenden, hat mit Reputationsverlusten innerhalb des Fachs zu rechnen, weil man
gegenüber einen Laienpublikum das Wissen anders vermitteln muss als gegenüber
einem Fachpublikum – zumeist einfacher, was als Trivialisierung wahrgenommen wird.
Dem gegenüber besteht bei den Soziologen, die sich nicht scheuen in die
Öffentlichkeit zu gehen, die Gefahr, dass die Soziologie zu sehr als ein
politisches Agitationsinstrument wahrgenommen wird. Wie es zu diesem starken
Missverhältnis zwischen Nachfrage und Angebot kommt, versuchte Pirsching
tiefergehend am Beispiel des öffentlichen Vortrags zu erläutern. Für die
Verbreitung soziologischen Wissens gibt es diverse Möglichkeiten über Presse,
Rundfunk, Fernsehen und eben auch öffentliche Vorträge. Pirsching
identifizierte vier Erfahrungen und Probleme, die sich bei Öffentlichen
Vorträgen ergeben. Das erste Problem besteht in der Auswahl von Themen, die
einen Allgemein- oder Aktualitätsbezug vermissen lassen. Das zweite Problem
besteht darin, dass nicht genügend auf das Orientierungsverlangen des Publikums
eingegangen wird. Während das Publikum vor allem Deutungsangebote erwartet,
treten Soziologen häufig als „intellektuelle Sozialarbeiter“ auf, die zumeist
vorschnell Handlungsvorschläge unterbreiten. Ein drittes Problem liegt in den
extrem heterogenen Wissensbeständen mit denen das Publikum die Vorträge von
Soziologen rezipiert. Pirsching sprach von „wissenssoziologischer
Kompatibilität“. Ich würde diese Kompatibilität auch als Resonanz bezeichnen.
Das vierte Problem hängt unmittelbar damit zusammen. Resonanz löst man vor
allem mit Themen oder Problemen aus, von denen das Publikum selbst betroffen
ist. Dies allein reicht jedoch nicht, wenn man nicht in der Lage ist, das
eigene Deutungsangebot in einer Form zu präsentieren, mit dem das Publikum etwas
anfangen kann. Es ist also eine Übersetzungsleistung notwendig. Mit diesen vier
Problemen identifiziert Pirsching nicht nur Probleme, sondern auch
Herausforderungen, die Öffentliche Soziologen meistern müssen, um Resonanz beim
Publikum zu erzeugen. Ausgehend von seiner Problemdarstellung unterschied er
schließlich drei Formen von Publika (hochspezialisiert, professionell,
allgemein) und drei Formen von Vorträgen (quasi-wissenschaftlich,
spezialisiert, generalisiert). Auch wenn Pirsching sich zunächst nur auf
öffentliche Vorträge konzentriert hat, bestehen die beschriebenen vier
Herausforderungen auch im Hinblick auf die anderen Verbreitungsmedien. Wobei
hier dann auch die jeweiligen Möglichkeiten und Grenzen der einzelnen
Verbreitungsmedien berücksichtig werden müssen [3]. Insgesamt war Pirschings
Vortrag ein sehr gelungener und instruktiver Einstieg in das Thema.
Im darauf folgenden Vortrag
widmete sich Daniel Grummt von der Universität Halle-Wittenberg in seinem
Vortrag „Sociology goes public. Der »Science Slam« als geeignetes Format für
die Vermittlung soziologischer Erkenntnisse?“ einer sehr speziellen Form der
Wissensverbreitung. Der Science Slam bietet Wissenschaftlern aller Fachrichtung
die Möglichkeit ihre Erkenntnisse in einer prägnanten und unterhaltsamen Form
zu präsentieren. Auffällig ist aber auch bei diesem Format, dass Soziologen so
gut wie nicht vertreten sind. Ein Grund dafür könnte sein, dass sich Soziologen
überwiegend mit schweren Themen, wie Soziale Ungleichheit, Entfremdung, Krisen,
Krieg u. ä., beschäftigen, die sich stark gegen eine unterhaltsame Aufbereitung
sperren. Hier argumentierte Grummt zunächst unter Bezug auf Henri Bergson, dass
man auch über den Tod lachen könnte und das es eigentlich gar keinen Grund
gebe, warum nicht auch Soziologen an Science Slams teilnehmen sollten, wenn es
ihnen nur gelingen würde solche schwere Themen unterhaltsam aufzubereiten. In
der anschließenden Diskussion unterstützte ich die Forderung, dass Soziologen
durchaus solche Verbreitungsformate nutzen sollten. Ich habe allerdings Zweifel,
ob solche schweren Themen dafür wirklich geeignet sind. Politische Themen sind
bei geselligen Anlässen häufig ein verlässlicher Stimmungskiller. Am Vorabend auf dem KrisenFEST wurde mir dieser Beobachtung erst erneut bestätigt als eine Gesprächspartnerin versuchte mich von ihrer wirren feministischen Weltsicht zu überzeugen. Ich
befürchte, dies wird auch bei Science Slams nicht anders sein. Zudem besteht
die Gefahr, dass man zu leicht ins politische Kabarett abrutscht. Während diese
Tendenz von einigen Teilnehmern begrüßt wurde, sehe ich hier das bereits von
Manfred Prisching angesprochene Problem, dass man zu leicht wieder in die
politische Agitation abdriftet, denn politisches Kabarett ist genau das.
Für mich ergab sich aus Grummts Vortrag die grundsätzliche Frage, warum sich Soziologen eigentlich nur mit deprimierenden Themen befassen müssen. Wenn sich der soziologische Blick darin erschöpft nur in die Abgründe der Gesellschaft zu blicken, dann braucht man sich über die Anschlussprobleme der Soziologie nicht zu wundern. Darüber hinaus kann es nicht nur darum gehen das Wissen über einen bestimmten Forschungsgegenstand zu verbreiten, sondern das eigentliche Ziel sollte die Verbreitung des soziologischen Denkens selbst sein. Dieses kann immer nur an einzelnen Phänomenen vorgeführt werden. Wenn es bei Öffentlicher Soziologie darum geht soziologisches Denken zu verbreiten, wäre es vor allem für Unterhaltungsformate sinnvoll den soziologischen Blick nicht nur auf die Schattenseiten der Gesellschaft zu richten, sondern auch auf die positiven Seiten. Der soziologische Blick darf nicht nur deprimieren, sondern muss auch Freude bereiten. Solange es Soziologen nicht gelingt zu vermitteln, warum ihnen ihre Arbeit Freude macht und warum es sich lohnen kann soziologisch zu denken, werden sie immer Anschlussprobleme haben.
Für mich ergab sich aus Grummts Vortrag die grundsätzliche Frage, warum sich Soziologen eigentlich nur mit deprimierenden Themen befassen müssen. Wenn sich der soziologische Blick darin erschöpft nur in die Abgründe der Gesellschaft zu blicken, dann braucht man sich über die Anschlussprobleme der Soziologie nicht zu wundern. Darüber hinaus kann es nicht nur darum gehen das Wissen über einen bestimmten Forschungsgegenstand zu verbreiten, sondern das eigentliche Ziel sollte die Verbreitung des soziologischen Denkens selbst sein. Dieses kann immer nur an einzelnen Phänomenen vorgeführt werden. Wenn es bei Öffentlicher Soziologie darum geht soziologisches Denken zu verbreiten, wäre es vor allem für Unterhaltungsformate sinnvoll den soziologischen Blick nicht nur auf die Schattenseiten der Gesellschaft zu richten, sondern auch auf die positiven Seiten. Der soziologische Blick darf nicht nur deprimieren, sondern muss auch Freude bereiten. Solange es Soziologen nicht gelingt zu vermitteln, warum ihnen ihre Arbeit Freude macht und warum es sich lohnen kann soziologisch zu denken, werden sie immer Anschlussprobleme haben.
Wie man das Interesse des
Publikums wecken kann, zeigte Fran Osrecki in seinem Vortrag „Soziologische
Zeitdiagnosen als »Publikumsmagneten«. Gegenwartsdiagnostische
Argumentationsmuster und deren massenmediale Anschlussfähigkeit“. Osrecki
beschrieb, dass die Diagnosen von Kontinuitätsbrüchen immer auf Neuheiten in
der gesellschaftlichen Entwicklung abstellen und gerade dadurch den
Selektionsmechanismen der Massenmedien sehr entgegen kommen. Durch die
massenmedialen Präferenzmuster besteht für Soziologen ein starker Anreiz durch
solche Zeitdiagnosen öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen. Der Vorteil liegt
klar auf der Hand: Soziologen werden öffentlich sichtbar. Der Nachteil bzw. das
Risiko besteht jedoch darin, dass Soziologen ihre Forschungs- und
Verbreitungsaktivitäten zu sehr an den Selektionsmechanismen der Massenmedien
ausrichten und weniger an wissenschaftlichen Kriterien. Für Osrecki ist dies
der Preis den Soziologen bzw. die Soziologie zahlen müsse, um öffentliche
Resonanz zu erzeugen. In der anschließenden Diskussion äußerte ich jedoch meine
Bedenken, ob dieser Preis nicht möglicherweise zu hoch ist. Osreckis
Beschreibung der Mechanismen zur Erregung von massenmedialer Aufmerksamkeit
teile ich weitestgehend. Ich sehe jedoch die beträchtliche Gefahr einer
Inflation der Zeitdiagnosen und einen Überbietungswettbewerb – nicht nur in
Zeit- sondern auch in Krisendiagnosen. Soziologische Deutungsangebote dürfen aber
nicht nur an ihrer Aufmerksamkeitsträchtigkeit gemessen werden. Gerade wenn es
darum geht Orientierung zu bieten, kann eine Inflation von Zeit- und
Krisendiagnosen schnell zu einem Orientierungsverlust und zu einer
Übersättigung führen, die wiederum den Relevanzverlust der Soziologie
vorantreiben können.
Symptomatisch wurde dieses Problem in Ulrich Becks Laudatio für Zygmut Baumann vorgeführt. Beck bemerkt: „In der Tat, jedes einzelne Buch [von Baumann, BdM] in der letzten Dekade kann als Meisterwerk gelesen werden, …“. Baumann hat sich, wie viele Soziologen vor ihm, auf die negativen Aspekte der modernen Gesellschaft konzentriert und sie soweit verallgemeinert, dass die Moderne nur noch als Schreckens- und Horrorszenario erscheint. Wenn man es nur zum Meisterwerk schafft, wenn man die Gesellschaft als einzigen Alptraum beschreibt, was Baumann Becks Zusammenfassung seines Werks nach getan hat, dann macht es das Problem der zu starken massenmedialen Relevanz deutlich. Krisendiagnosen sind genauso wie Zeitdiagnosen massenmedial sehr gut verwertbar und es ist sehr verführerisch diesen Zusammenhang zu verstärken, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Ob das jedoch auch immer wissenschaftlich relevant ist, erscheint mir doch sehr zweifelhaft. Soziologen sollten also darauf achten den Wandel oder die Krisenhaftigkeit nicht zu stark zu betonen und zu effekthascherisch darzustellen, sondern auch auf die Kontinuitäten oder die funktionierenden Momente der Gesellschaft aufmerksam zu machen. Ansonsten würden Soziologen nämlich dazu beitragen einseitig verzerrte Bilder der Gesellschaft zu verbreiten. Eine Tendenz in diese Richtung kann man bereits gegenwärtig beobachten. Sie trägt auch zum Relevanzverlust der Soziologie bei.
Symptomatisch wurde dieses Problem in Ulrich Becks Laudatio für Zygmut Baumann vorgeführt. Beck bemerkt: „In der Tat, jedes einzelne Buch [von Baumann, BdM] in der letzten Dekade kann als Meisterwerk gelesen werden, …“. Baumann hat sich, wie viele Soziologen vor ihm, auf die negativen Aspekte der modernen Gesellschaft konzentriert und sie soweit verallgemeinert, dass die Moderne nur noch als Schreckens- und Horrorszenario erscheint. Wenn man es nur zum Meisterwerk schafft, wenn man die Gesellschaft als einzigen Alptraum beschreibt, was Baumann Becks Zusammenfassung seines Werks nach getan hat, dann macht es das Problem der zu starken massenmedialen Relevanz deutlich. Krisendiagnosen sind genauso wie Zeitdiagnosen massenmedial sehr gut verwertbar und es ist sehr verführerisch diesen Zusammenhang zu verstärken, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Ob das jedoch auch immer wissenschaftlich relevant ist, erscheint mir doch sehr zweifelhaft. Soziologen sollten also darauf achten den Wandel oder die Krisenhaftigkeit nicht zu stark zu betonen und zu effekthascherisch darzustellen, sondern auch auf die Kontinuitäten oder die funktionierenden Momente der Gesellschaft aufmerksam zu machen. Ansonsten würden Soziologen nämlich dazu beitragen einseitig verzerrte Bilder der Gesellschaft zu verbreiten. Eine Tendenz in diese Richtung kann man bereits gegenwärtig beobachten. Sie trägt auch zum Relevanzverlust der Soziologie bei.
Diese drei Vorträge lieferten für
mich die meisten Denkanstöße. Darüber hinaus referierten Jaspar W. Korte und
Christoph Mautz über Öffentliche Selbst- und Fremddarstellungen der Soziologie
am Beispiel von Internetauftritten einzelner Soziologieinstitute und deren
Mitarbeitern. Jan-Felix Schrape fragte nach der Markenidentität der Soziologie.
Annette Treibel beschrieb die Lagerbildung und das fragmentierte Publikum in
der öffentlichen Migrationssoziologie und Michael Reif die starken Bedenken
gegen eine Öffentliche Soziologie bei den Professionalisierungsbemühungen in
der frühen deutschen Soziologie. Alle Vorträge gingen auf verschiedene Aspekte
und Probleme einer Öffentlichen Soziologie ein. Im Fokus standen jedoch mehr
der Markenkern der Soziologie und die Verbreitungsmethoden soziologischen
Wissens. Das Publikum der Soziologie blieb, wie es Pirsching so schön
ausdrückte, das unbekannte Wesen. Denn die Frage, wer sich für Öffentliche
Soziologie interessiert, blieb weitestgehend unbeantwortet. Solange allerdings
unklar bleibt, was Soziologie eigentlich zu bieten hat, wird diese Frage auch
schwer zu beantworten sein. Wahrscheinlich muss wirklich erstmal geklärt
werden, was der Markenkern der Soziologie ist.
Wo bleibt der
soziologische Diskurs?
Thematisch schloss die
Ad-Hoc-Gruppe des Soziologiemagazins mit dem Titel „Krise der Kommunikation: Wo
bleibt der soziologische Diskurs?“ am Freitag direkt an das Thema vom Vortag
an. Passenderweise war Stefan Selke, der das Thema Öffentliche Soziologie und
Öffentliche Wissenschaft an vorderster Front vorantreibt, der erste Redner an
diesem Morgen. In einem ersten Schritt versuchte er in seinem Vortrag über die
Frage nach dem Wandel im Passungsverhältnis zwischen Wissenschaft und
Öffentlichkeit herauszuarbeiten, was Öffentliches Wissen heute zu leisten hat.
Auch ihm geht es darum, wie Soziologie Resonanz beim Publikum auslösen kann. Er
kritisiere aber vor allem dass sich in dem zur Verfügung gestellten Wissen
ausdrückende überkommene Selbstverständnis der Soziologie als Instanz. Mit
Hilfe von acht Indikatoren zeichnete er das Bild einer Soziologie, die sich
immer noch als unfehlbare Verkünderin der Wahrheit versteht und sich für andere
Perspektiven nicht sonderlich interessiert. Es fehlt ein Dialog mit der Umwelt.
Im Anschluss an diesen Problemaufriss unterschied Selke drei Dimensionen
Öffentlicher Wissenschaft: 1. Die Umweltorientierung und den damit
korrespondierenden Persönlichkeitstyps des einzelnen Wissenschaftlers, 2. Drei
verschiedene Wissenschaftsauffassungen (Loyalität, Affirmation, Ablehnung) und
3. Die Leitdifferenz für den Wahrheitsanspruch. Mit Hilfe dieser Dimensionen
konnte das bereits kritisierte Selbstverständnis der Soziologie weiter
präzisiert werden, um daraus schließlich die Krise soziologischer Kommunikation
zu erklären. Diese kann man an der häufig verwendeten Übersetzungsmetapher
erkennen. In ihr spiegelt sich das soziologische Selbstverständnis als Instanz,
weil es darum geht, durch die Übersetzung eine Barriere zwischen der Soziologie
und ihrer Umwelt zu überwinden. Die Krise zeigt sich auch in den Nachwirkungen
bekannter Pathosformeln, egal welcher Schulen. Häufig drückt sich in
soziologischer Kommunikation eine institutionelle Überheblichkeit aus, die mehr
nach Distinktion als nach Wissensverbreitung strebt. Durch diese
Schließungstendenzen wird ebenfalls der Eindruck einer freischwebenden
Soziologie über der Gesellschaft erweckt, die kaum in der Lage ist, sich auf
die wirklichen Probleme der Menschen einzulassen. Um diese Probleme überwinden
zu können, kündigte Selke an im kommenden Jahr das Public Science Lab zu
eröffnen. Es handelt sich dabei um eine Plattform zum Experimentieren mit neuen
Forschungspraktiken aber auch neuen Formen zur Verbreitung des Wissens. Man
darf gespannt sein [4].
Im Anschluss daran ging Clemens
Albrecht in seinem Kommentar zu Selkes Vortrag vor allem auf die Chancen und
Probleme der Zusammenarbeit mit den Massenmedien ein. Sie steigern natürlich
die öffentliche Sichtbarkeit einzelner Soziologen und können eine neue Form des
Reputationsgewinns bedeuten. Dies trägt darüber hinaus zu einem Ansehensgewinn
der Soziologie im Allgemeinen bei. Der wichtigste Punkt, auf den Albrecht
hinwies, war, dass man bei der Kooperation mit Journalisten nicht kontrollieren
kann, was aus den Informationen gemacht wird, die man Journalisten mitteilt.
Als drittes war ich an der Reihe.
Mein Vortrag „Hat sich die Soziologie in einem double bind verfangen?“ beleuchtete die Probleme der Soziologie aus
einer stark kommunikationstheoretischen Perspektive [5]. Aufgrund der
Zeitvorgabe von 15 Minuten konnte ich nicht so ausführlich auf die
Doppelbindungstheorie von Gregory Bateson eingehen, wie ursprünglich geplant.
Da der DGS-Kongress in Trier stattfand half ich mir mit einer Reverenz auf Karl
Marx. Man kann die Doppelbindungstheorie auch als eine Neuformulierung von Marx
lesen, der ja davon ausging, dass der Kapitalismus an seinen inneren
Widersprüchen zugrunde geht. Grob vereinfacht, kann man die
Doppelbindungstheorie in Bezug auf Familiensysteme genauso lesen. Ich versuchte
im Anschluss daran zu zeigen, dass die Soziologie an den inneren Widersprüchen
ihrer Selbstbeschreibung zugrunde gehen kann. Häufig beanspruchen Soziologen
die Gesellschaft nicht nur erklären sondern auch verändern zu wollen. Mit Hilfe der Theorie
funktionaler Differenzierung habe ich versucht zu zeigen, dass damit auf zwei
unterschiedliche soziale Probleme Bezug genommen wird, die heute von
unterschiedlichen Funktionssystemen der modernen Gesellschaft gelöst werden –
nämlich Wissenschaft und Soziale Arbeit. Die besagte Selbstbeschreibung zwingt
Soziologen dann dazu zwei Rollen zugleich wahrnehmen zu müssen – nämlich die
des Wissenschaftlers und die des Sozialarbeiters. Durch die Vermischung haben
Soziologen heute häufig gravierende Anschlussprobleme. Dieses Problem kann nur
gelöst werden, wenn sich die Soziologie nur als Wissenschaft begreift und den
Veränderungsanspruch aufgibt. Paradoxerweise ist das der Weg, wie die
Soziologie soziale Veränderungen anregen kann. Der innere Widerspruch der
Soziologie kann also nicht aufgelöst werden, sondern nur eine Entscheidung für
Wissenschaft kann von diesem Widerspruch befreien. Die Krise der soziologischen
Kommunikation lässt sich besser verstehen, wenn man berücksichtigt, dass
zurzeit die Rollen von Wissenschaftler und Sozialarbeiter von Soziologen häufig
vermischt werden. In der anschließenden Diskussion versuchte ich noch zu
zeigen, dass gerade der systemtheoretische Gesellschaftsbegriff, verstanden als
Gesamtheit der stattfinden Kommunikation, den Vorteil bietet konkrete
Veränderungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Gerade weil Gesellschaft als
Kommunikation zugleich das Abstrakteste und das Konkreteste ist, liegt der
Ansatzpunkt für Gesellschaftsveränderungen nicht bei irgendwelchen abstrakten,
unerreichbaren Strukturen sondern jeder einzelne kann durch sein Verhalten dazu
beitragen die Gesellschaft, also die Kommunikation, zu verändern - vielleicht nicht global, dafür aber lokal.
Im folgenden Vortrag „WissKom 2.0
– Über den kommunikativen Haushalt der Online-Kommunikation von Hochschulen“ machte
Stefan Bauernschmidt eine sehr scharfsinnige Beobachtung. Während
Naturwissenschaftler leicht durch die Werkzeuge zu erkennen sind, mit denen sie
arbeiten, sind Soziologen nicht durch ihre Werkzeuge erkennbar. Dies wirkt sich
dann auch auf die öffentliche Sichtbarkeit von Soziologen aus. Während sich die
Werkzeuge wie der Erlmeyerkolben bei den Chemikern oder das Forschungsobjekt
wie der DNS-Strang bei Biologen leicht in Embleme oder Wappen, also so eine Art
Zunftzeichen, verwandeln lassen, fehlt den Soziologen durch die Flüchtigkeit
ihres Forschungsgegenstandes diese Möglichkeit und damit auch ein prägnantes
Erkennungszeichen. Darüber hatte ich vorher noch nie nachgedacht. Bei genauerer
Betrachtung hat er damit einen ziemlich interessanten und für Soziologen auch
irgendwie herausfordernden Punkt gemacht [6].
Andreas Stückler ging in seinem
Vortrag „Soziologische Kritik und gesellschaftsverändernde Praxis. Oder: Warum
Soziologie sich so schwer tut, die Welt zu verändern“ zunächst auf die Probleme der Kritischen Theorie sein. Er
arbeitete heraus, dass die Kritische Theorie durch die Form, wie Kritik geübt
wird, die bestehenden Verhältnisse sogar noch gestützt werden anstatt sie zu
verändern. Im Anschluss daran versuchte er zu zeigen, wie die Kritische Theorie
doch ihrem gesellschaftsverändernden Anspruch gerecht werden kann. Stückler
teilte meinen Eindruck, dass man durch den Veränderungsanspruch in gewisser
Weise zu einem schizophrenen Verhalten genötigt wird, was ich durch den Bezug
auf die double-bind-Theorie
nahelegte. Während ich jedoch in meinem Vortrag dafür plädierte den
Veränderungsanspruch aufzugeben, um sich von dieser Schizophrenie zu befreien,
war er der Meinung, diese Schizophrenie müsste man als Soziologe mit kritischem
und gesellschaftsveränderndem Anspruch ertragen. Diese „mehr-desselben“-Haltung
hatte mich dann doch etwas überrascht. Während ich seiner Problemanalyse in
weiten Teilen folgen würde, sind unsere Lösungsvorschläge diametral
entgegengesetzt. Man wird sehen welcher sich durchsetzen wird.
Fazit
Systemtheorie und die Krise der
Soziologie waren für mich die thematischen Schwerpunkte des Kongresses. Dass
ich die zwei Veranstaltungen zur Öffentlichen Soziologie besucht habe, lag
daran, dass ich die gegenwärtigen Bemühungen um eine Öffentliche Soziologie als
eine Reaktion auf die Krise der Soziologie verstehe. In der Soziologie selbst
wird diese Krise nur als Relevanzverlust registriert. Öffentliche Soziologie
ist sicherlich heute eine wichtige Baustelle. Der Relevanzverlust der
Soziologie ist jedoch nur ein Symptom für ein viel tieferliegendes Problem,
nämlich das eigene Selbstverständnis. Ich habe versucht dies in meinem Vortrag
an der widersprüchlichen Selbstbeschreibung der Soziologie zu verdeutlichen. Egal wie man es beschreibt. Solange Soziologen nur belehrend und
erziehend wirken, drückt sich darin ein widersprüchliches und überkommenes
Selbstverständnis aus, das an den Aufklärungsbedürfnissen des soziologisch
interessierten Publikums vorbei kommuniziert. Dies lässt sich nicht an einzelnen
Theorieschulen festmachen, sondern zieht sich durch alle hindurch. Wenn jedoch
eine Öffentliche Soziologie erfolgreich sein will, muss zu allererst geklärt
werden, was eine Soziologie als Wissenschaftsdisziplin in der modernen,
funktional differenzierten Gesellschaft leisten soll. Solange sich Soziologen
diese Frage selbst nicht beantworten können, werden sie auch Anschlussprobleme
bei Nicht-Soziologen haben bzw. solange wird auch Öffentliche Soziologie nicht
die Lösung der Krise sein. Das Problem der Soziologie ist eigentlich nicht die
fehlende Öffentlichkeit. Öffentlichkeit bedeutet nur die Möglichkeit
Aufmerksamkeit zu erlangen. Jeder der will, kann sich Zugang zu soziologischem
Wissen verschaffen. Die Frage ist, warum werden die Möglichkeiten dazu nicht
genutzt? Nicht fehlende Öffentlichkeit ist das Problem der Soziologie, sondern
fehlende Aufmerksamkeit. Die Frage muss daher lauten, warum es nicht gelingt
die Aufmerksamkeit des Publikums zu binden? Die Formen der Wissensverbreitung
sind aus dieser Perspektive nur das Symptom. Die Ursache ist das
widersprüchliche und überkommen Selbstverständnis der Soziologie. Wichtig sind
beide Aspekte – Verbreitungsmethoden und Selbstverständnis. Das eine lässt sich
ohne das andere nicht verstehen. Ich habe durch den DGS-Kongress so viele
Anregungen erhalten, dass ich einige Gedanken, die ich hier nur andeuten konnte
in kommenden Beiträgen weiter ausarbeiten werden, um auszuloten, welche Wege
aus der Krise führen können.
Anzeichen für die Krise der
Soziologie ließen sich auf dem DGS-Kongress zur Genüge finden. Gleichwohl gab
es auch Hinweise, dass es gelingen kann, diese Krise zu überwinden. Gerade
unter dem Wissenschaftsnachwuchs gibt es nicht nur ein Problembewusstsein,
sondern auch eine stärkere Lösungsorientierung. Ich hoffe nur, dass er durch
die derzeit bestehenden institutionellen Barrieren nicht doch noch frühzeitig
rausgeekelt wird, bevor er an Wirkungsstätten gelangt, an denen sie für
nachhaltige Veränderungen sorgen können. Ich kann allerdings nur davor warnen
eine Wissenschaftskarriere als einzige Option zu betrachten. Die Chance,
Veränderungen anzuregen, hat jeder durch sein eigenes Verhalten, unabhängig
davon an welcher Stelle man beruflich tätig wird. Manchmal muss man seine
Richtung um 180 Grad drehen und sich vom Ziel wegbewegen, um es zu erreichen.
Hier kann ich nur mich selbst als Beispiel anführen. Obwohl ich nicht als
Soziologe arbeite, habe ich mir trotzdem eine Möglichkeit geschaffen einen
Beitrag zur Öffentlichen Soziologie leisten zu können.
Wie verhält es sich nun mit dem
eingangs erwähnten Buchtitel „Stranger in a strange land“? Der Roman handelt
von einem Menschen, der in einer außerirdischen Kultur aufgewachsen ist und als
Erwachsener auf die Erde kommt. Er nimmt die menschliche Kultur aus der Sicht
der Außerirdischen war und muss langsam und mühsam lernen, das menschliche Verhalten
zu verstehen. Bei mir liegt der Fall etwas anders. Ich bin zwar auf dem „Heimatplaneten“
Soziologie aufgewachsen, war aber schon damals ein Außenseiter. Ich habe mich
nicht nur von der Oberfläche faszinieren lassen, die häufig nur ein
übersteigertes Distinktions- und Geltungsbedürfnis erkennen ließ, sondern ich
habe gelernt, wie man sich ein Bild von der Hinterbühne machen kann, ohne sie
direkt beobachten zu können. Das ist eine der wichtigsten Fähigkeiten, die die
Soziologie vermitteln sollte. Denn diese Fähigkeit ist die Voraussetzung für
kritisches Denken. Doch diese Fähigkeit wird den Studenten häufig nicht
gelehrt. Dann musste ich mein Glück in einer fremden Welt suchen, in der ich jedoch
heimisch geworden bin. Dabei hat mir diese Fähigkeit sehr geholfen. Nun kehrte
ich auf den Heimatplaneten zurück und er war mir genauso fremd wie damals,
zumindest wenn er mir in der Gestalt des Gelehrten gegenübertrat. Der Gelehrte
ist jedoch zunächst nur ein Oberflächen- bzw. Vorderbühnenphänomen. In ihm
kulminieren das Distinktionsbedürfnis und die Geltungssucht. Es zeugt nicht von
Wissbegier und Forscherdrang, es geht nur um die Verteidigung der eigenen
Weltsicht. Doch ein Oberflächenphänomen ist immer nur die Spitze des Eisbergs und repräsentiert nicht das Ganze. Die kritischen Geister habe ich erst zwischen den Veranstaltungen,
auf der Hinterbühne, kennengelernt und es sind nicht die, die sich ostentativ
kritisch geben. Es sind die, die einfach versuchen ihre selbstgesteckten Ziele
zu erreichen und sich dabei nicht irgendwelchen Theorieschulen und
Gruppenloyalitäten verpflichtet fühlen, sondern ganz
pragmatisch in Abhängigkeit von der Zielen und Problemen Kooperationen und
Allianzen suchen. Sie versuchen einfach das Beste aus ihrem Leben zu machen und
suchen die Chancen und Gelegenheiten dafür. Sie nehmen ihr Leben in die Hand
und verändern so praktisch die Welt. Sie reden nicht darüber, sie tun es
einfach. Das ist die Welt, in der ich zu Hause bin. Leider gibt es in der Welt
der institutionalisierten Soziologie Deutschlands kaum Möglichkeiten, dass
diese andere Welt unter der Oberfläche, also das wirkliche Leben mit all seinen Sonnen- und
Schattenseiten, in dieser Welt zum Ausdruck kommt. Sie wird auf die Hinterbühne
verbannt und tabuisiert.
Der erste Schritt auf dem Weg aus
der Krise ist eine brauchbare Beschreibung der Krise bzw. des Problems.
Brauchbar ist eine Problembeschreibung dann, wenn sie auch Lösungsansätze
erkennen lässt. Die Lösung sehe ich in der Verstärkung des Forschergeistes, der
aktuell noch eher die Ausnahme als die Regel ist. Der Forschergeist ist aktiv
und offensiv, der Gelehrtengeist passiv und defensiv. Dem Forschergeist könnte
es spielend gelingen, den Gelehrten zu verdrängen, wenn er nicht etwas
öffentlichkeitsscheu wäre. Es gilt noch eine wichtige Lektion zu lernen, die
auch ich erst lernen musste: tue Gutes und rede darüber! Ansonsten wird niemand
davon Notiz nehmen. Zurzeit dominieren noch die, die reden, aber ansonsten
nichts weiter tun und das schon als etwas Gutes verkaufen wollen. Das reicht
heute leider häufig schon aus, um sich in den Vordergrund zu drängen. Doch es ist längst nicht genug einfach nur das Gerede am Laufen zu halten. Damit wir uns
nicht falsch verstehen, Gelehrsamkeit kann niemals schaden. Aber was nützt ein
umfangreiches Wissen, wenn es keine praktischen Konsequenzen in Form von
sozialen Veränderungen hat? Wissen bedeutet Verantwortung. Verantwortungsbewusstsein
zeigt sich nicht im Denken, sondern im Handeln. Mit Blick auf die
Gesellschaftskritiker muss auch die Frage gestellt werden, was nützt der Wille
zur Veränderung, wenn man nicht weiß wie? Wer handelt ohne zu denken, der
handelt von vorn herein verantwortungslos. Weder das Wissen allein, noch die
Wille zum Handeln allein, machen einen guten Soziologen aus. Gelehrsamkeit plus Kritizismus ist ein effektives Mittel in sich selbst den letzten Rest eigenständiger Verstandestätigkeit und Handlungsmotivation abzutöten. Erleben ist nicht
ohne Handeln und Handeln nicht ohne Erleben möglich. Es gilt immer, nicht nur
in der Soziologie, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Selbstbewusstsein und
Umweltorientierung zu finden. Solange jedoch die institutionelle Soziologie nur
mit sich selbst beschäftigt ist, wird die Lebens(welt)fremdheit, die sich darin
ausdrückt, immer ein Legitimationsproblem für sie darstellen.
Was letztlich mit dem Besuch des
DGS-Kongresses bestätigt wurde, war mein extrem zwiespältiges Verhältnis zur
Soziologie. Das wird wahrscheinlich auch immer so bleiben. Meine
Verbundenheit wird immer der Hinterbühne oder, wenn man so sagen darf, der
Unterwelt oder dem Underground gelten. Es ist die Welt der Personen und nicht
die der Klischees. Der DGS-Kongress war insofern eine interessante Erfahrung,
weil er mir die beschriebenen Unterschiede in einer Deutlichkeit vor Augen
geführt hat, wie ich sie ohne die Teilnahme niemals hätte beobachten können.
Und auch wenn vieles etwas pessimistisch klingen mag, werde ich die Teilnahme
in positiver Erinnerung behalten. Die Personen, denen ich dies verdanke, möchte
ich an dieser Stelle nochmal herzlich grüßen: Stefan, Jan, Marianne, Dominik,
Conny, Frank, Oliver und die Mädels und Jungs vom Soziologiemagazin.
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