Donnerstag, 5. November 2015

Sind Nazi-Vergleiche ein Tabu in Deutschland?


Anlässlich einer Rede vom Organisator der Pegida-Demonstrationen Lutz Bachmann am 2. November 2015, in der er Justizminister Heiko Maas mit Joseph Goebbels verglich, gab der Münchener Soziologe Armin Nassehi dem Radiosender NDR Kultur am Tag darauf ein Interview zu diesem Vorfall. Was mich bei diesem Interview ins Stutzen gebracht hat, war die Prämisse, unter der das Interview geführt wurde. Die Moderatorin leitet es mit der scheinbar selbstverständlichen Behauptung ein, dass Nazi-Vergleiche in Deutschland ein Tabu seien. Schaut man sich jedoch den Verlauf vieler öffentlicher Debatten an, dann kommen mir erhebliche Zweifel, ob Nazi-Vergleiche in Deutschland wirklich tabuisiert sind.

Egal um welches Thema es sich handelt, sobald es eine politische Relevanz hat, kann man nur darauf warten bis ein Nazi-Vergleich kommt. Nazi-Vergleiche sind meinem Eindruck nach zu einem gängigen kommunikativen Angriffsmanöver geworden. Zuletzt konnte man dies in der Diskussion um den Flüchtlingsansturm auf Deutschland erleben. Jeder, der Zweifel anmeldete, ob man alle Flüchtlinge nach Deutschland kommen lassen sollte, wurde bereits als Nazi beschimpft. Auch dabei handelt es sich im Prinzip um einen Nazi-Vergleich, denn ohne den Vergleich zum Nationalsozialismus wäre eine solche Behauptung ja nicht möglich. Nazi-Vergleiche sind zum Volkssport, zur Diskurs-Folklore geworden und werden geradezu inflationär benutzt. Heute gilt man schon als Nazi, wenn man nur anderer Meinung ist als die politisch Korrekten. Wer glaubt, Nazi-Vergleiche seien ein Tabu in Deutschland, muss sich vorwerfen lassen, dass er oder sie offenbar schon ebenso lange keine Massenmedien mehr genutzt hat wie viele Pediga-Anhänger.

Verwundert war ich ebenso über die Entrüstung über den Vergleich von Bachmann, die immer von der Sorge getragen war, dass derartige verbale Aggressionen zu physischer Gewalt, vornehmlich gegen Flüchtlingen, führen würden. Die Medienwirkungsforschung konnte bis heute nicht den unterstellten Zusammenhang von verbalen Äußerungen und der Neigung zu physischer Gewalt nachweisen. Der genannten Sorge liegt ein simples Stimulus-Response-Modell zu Grunde, mit dem kein ernst zu nehmender Wissenschaftler arbeiten würde. Das ist Vulgär-Behaviorismus, der Menschen zu Automaten degradiert. In den Massenmedien lebt diese haltlose Behauptung als eine Art moderner Mythos immer noch fort. Ein ähnlicher Zusammenhang wird regelmäßig für Ego-Shooter und Gewaltneigung behauptet, wenn es wieder zu einem Amoklauf gekommen ist - auch in diesen Fall völlig unbegründet.

Würde dieser Zusammenhang tatsächlich bestehen, müssten die Deutschen sich wahrscheinlich schon längst gegenseitig die Köpfe eingeschlagen haben. Denn wer glaubt, die Äußerungen von Bachmann wären ein Novum in der öffentlichen Auseinandersetzung, der irrt sich gewaltig. Bachmann hatte sehr viele prominente Vorläufer. Man lese nur einen Spiegel-Artikel über die Propaganda-Methoden von Heiner Geißler. Der verglich in den frühen 1980ern die SPD immer mal gern mit der Sowjet-Diktatur in Russland und handelte sich von seiten der SPD prompt selbst einen Vergleich mit Goebbels ein. Es ließen sich vermutlich noch unzählige weitere Beispiele für derart schiefe Vergleiche finden. Für mich stellt sich daher die Frage: Woher sollen es die heutigen Bürger denn besser wissen, wenn es ihnen von Generationen von Politikern vorgelebt wurde? Den Geist, den die Politiker der Volksparteien selbst gerufen haben, bekommen sie nun nicht mehr in die Flasche zurück und werden von ihm eingeholt. Ich stelle sogar die gewagte Vermutung auf, dass, würde man nur gründlich genug recherchieren, man auch Heiko Maas einen Nazi-Vergleich nachweisen kann. Ich vermute weiter, dass dies der Grund war, warum Maas keine Strafanzeige gegen Bachmann gestellt hat. Aber auch mit Blick auf die Geschichte der Bundesrepublik wäre das eine sehr alberne und im Ergebnis wahrscheinlich nicht erfolgreiche Aktion gewesen. Maas hätte sich damit nur lächerlich gemacht.

Für mich steht daher zweierlei fest: Zum einen sind Nazi-Vergleiche kein Tabu in Deutschland. Im Gegenteil, sie sind seit Jahrzehnten gängige Praxis in der Bundesrepublik, um den politischen Gegner zu diffamieren. Zum anderen besteht der häufig unterstellte Zusammenhang zwischen verbaler und physischer Gewalt nicht – zumindest nicht in der Schlichtheit, wie es in den Massenmedien immer behauptet wird. Ich habe sogar Probleme Nazi-Vergleiche überhaupt als verbale Aggression zu betrachten. Sie dienen eher der Unterhaltung der eigenen politischen Anhänger als der wirksamen Denunziation und Stigmatisierung des politischen Gegners, denn in den meisten Fällen weiß sogar das Publikum, dass an solchen Vergleichen wenig dran ist. Gleichwohl kann auch ich nicht ignorieren, dass es auch noch eine große Menge an Leuten gibt, die solche Stilmittel nicht verstehen und diese Stigmatisierungs- und Denunziationsversuche ernst nehmen. Gerade diese Unschärfe macht Ironie in der politischen Kommunikation zu einem gefährlichen Stilmittel. Denn was mal als Scherz begann, kann irgendwann zum bitteren Ernst werden. Diese Entwicklung lässt sich an der Rolle der Nazi-Vergleiche in den politischen Debatten Deutschlands wahrscheinlich gut nachvollziehen. Und die Entwicklung bleibt nicht stehen. Bachmann drehte in seiner Rede die Schraube um weitere 180 Grad.

Das Provozierende an Bachmanns Vergleich ist die veränderte Botschaft, die er mit seinem Vergleich gesendet hat. Als die Bezeichnung »Nazi« noch eine stigmatisierende Funktion hatte, lautete die Botschaft »du bist keiner von uns«. Aber was bedeutet es, wenn vermeintliche Nazis, die sich sogar darüber bewusst sind, dass sie als Nazis betrachtet werden, einen Nazi-Vergleich benutzen? Die sagen damit »du bist genauso wie wir«. Die massenmediale Empörung über Bachmanns Vergleich erklärt sich vermutlich aus dieser veränderten Botschaft. Sofern sich der Vergleich auf die Kommunikationsweise der bekennenden Gegner von Pediga bezieht, muss ich leider feststellen, dass Bachmann damit Recht hat. Was für Nazis das Wort »Ausländer« ist, ist für deren Gegner das Wort »Nazi«. Beide Bezeichnungen erfüllen dieselbe diskriminierende und stigmatisierende Funktion. Interessanterweise zeigt Bachmann damit ein höheres Reflexionsniveau in Bezug auf das eigene Verhalten als die Gegner von Pegida. Zugleich zeugt dieser Vergleich davon, dass sich die Stigmatisierungsfunktion des Nazi-Vergleichs vollständig verbraucht hat. Die Möglichkeit als Nazi beschimpft zu werden, hat ihr Drohpotential verloren. Damit hält man heute niemanden mehr von irgendwas ab. Solange die Pegida-Gegner es nötig haben, dieselben Methoden zu benutzen, wie die vermeintlichen Nazis von Pegida, ist Skepsis angebracht, ob die wirklich so gut und moralisch integer sind, wie sie von sich behaupten. 

Das Gerede der Moderatorin von einem Tabu in dem besagten Radio-Interview entspringt wohl eher einem Wunsch nach einem Tabu als der Wirklichkeit und macht auf das ziemlich gestörte Verhältnis vieler Angehörige der vierten Gewalt zu unliebsamen Meinungen aufmerksam. Von Rosa Luxemburg stammt bekanntlich das Zitat »Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden«, das sich ja hoffentlich auch auf die Meinungsfreiheit bezieht und nicht nur auf die Gedankenfreiheit [1]. Leider gilt dieses Zitat in linken Kreisen nur solange man sich in der politischen Opposition wähnt. Sobald sie dann selbst an der Macht sind, ist es mit der Freiheit der anderen Andersdenkenden schnell vorbei. Sie wird von den Linken immer für sich selbst eingefordert, gilt aber schon nicht mehr für den politischen Gegner. Dieser instrumentelle Einsatz des Rufes nach mehr Bürgerrechten ist sehr auffällig. Vor dem Hintergrund, dass Nazi-Vergleiche in den politischen Auseinandersetzungen Deutschlands eine lange Tradition haben, zeigt das Gerede der Moderatorin, wie selektiv selbst von den Massenmedien die Bürgerrechte den Teilnehmern an solchen Auseinandersetzungen zugestanden werden.

Letztlich ist es dabei egal, ob die Moderatorin diesen Einstieg in das Interview aus tatsächlicher Unkenntnis oder mit voller Absicht gewählt hat. Hat sie es aus Unkenntnis getan, zeigt dies auf welch dilettantischem Niveau die öffentlich-rechtlichen Journalisten inzwischen operieren. Hat sie es mit voller Absicht getan, zeigt dies die maßlose Heuchelei vieler Journalisten, die sich gelegentlich auch gerne mal als Kämpfer für die Bürgerrechte aufspielen. In beiden Fällen wäre das Bild nicht sehr vorteilhaft. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen. Ich würde zwar nicht so weit gehen und von Lügenpresse sprechen. Gleichwohl zeigen solche Begebenheiten, warum das Ansehen der Journalisten in Deutschland in den letzten Jahren so stark gelitten hat: viele arbeiten heute einfach schlampig, also handwerklich schlecht, und geben sich nicht mal mehr besondere Mühe dies zu verbergen.

Auch der geladene Soziologe Nassehi macht in diesem Interview keine gute Figur, da er der haltlosen Prämisse des Interviews nicht widerspricht und sich damit zum wissenschaftlichen Kronzeugen macht. Für einen Soziologen, der gerade ein Buch veröffentlicht hat, in dem er erläutert, warum der Gegensatz von rechts und links heute keine politische Orientierung mehr geben kann, lässt er sich doch ziemlich willfährig von einer dieser politischen Strömungen instrumentalisieren. Durch sein Handeln widerspricht er seiner eigenen These, was nicht gerade für ihre Plausibilität spricht. Das ist schade, denn eigentlich teile ich die Einschätzung, dass rechts und links veraltete Kategorien sind, die heute keine politische Orientierung mehr geben können. Man kann diese These aber nur plausibilisieren, wenn man auf die Gemeinsamkeiten zwischen rechts und links hinweist. Eine dieser Gemeinsamkeiten ist der gleiche Kommunikationsstil und entsprechend sind beiden Seiten als politische Alternativen abzulehnen. Leider denken immer noch viele Deutschen, dass, nur weil in Deutschland keine weiteren Alternativen zur Verfügung stehen, man sich für eine der beiden Seiten entscheiden müsste. 





[1] Wenn es sich nur auf die Gedankenfreiheit beziehen würde, wäre das Zitat purer Zynismus, weil es dann besagen würde »denken kannst du, was du willst, aber behalte es gefälligst für dich«. Im real existierenden Sozialismus hatte man es so verstanden. 

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