Anlässlich einer Rede vom Organisator der Pegida-Demonstrationen Lutz Bachmann am 2. November 2015, in der er
Justizminister Heiko Maas mit Joseph Goebbels verglich, gab der Münchener
Soziologe Armin Nassehi dem Radiosender NDR Kultur am Tag darauf ein Interview
zu diesem Vorfall. Was mich bei diesem Interview ins Stutzen gebracht hat, war
die Prämisse, unter der das Interview geführt wurde. Die Moderatorin leitet es
mit der scheinbar selbstverständlichen Behauptung ein, dass Nazi-Vergleiche in
Deutschland ein Tabu seien. Schaut man sich jedoch den Verlauf vieler
öffentlicher Debatten an, dann kommen mir erhebliche Zweifel, ob
Nazi-Vergleiche in Deutschland wirklich tabuisiert sind.
Egal um welches
Thema es sich handelt, sobald es eine politische Relevanz hat, kann man nur
darauf warten bis ein Nazi-Vergleich kommt. Nazi-Vergleiche sind meinem Eindruck nach zu einem gängigen kommunikativen Angriffsmanöver geworden. Zuletzt konnte man dies
in der Diskussion um den Flüchtlingsansturm auf Deutschland erleben. Jeder, der
Zweifel anmeldete, ob man alle Flüchtlinge nach Deutschland kommen lassen
sollte, wurde bereits als Nazi beschimpft. Auch dabei handelt es sich im
Prinzip um einen Nazi-Vergleich, denn ohne den Vergleich zum Nationalsozialismus wäre
eine solche Behauptung ja nicht möglich. Nazi-Vergleiche sind zum Volkssport, zur Diskurs-Folklore geworden und werden geradezu inflationär benutzt.
Heute gilt man schon als Nazi, wenn man nur anderer Meinung ist als die politisch
Korrekten. Wer glaubt, Nazi-Vergleiche seien ein Tabu in Deutschland,
muss sich vorwerfen lassen, dass er oder sie offenbar schon ebenso lange keine
Massenmedien mehr genutzt hat wie viele Pediga-Anhänger.
Verwundert war
ich ebenso über die Entrüstung über den Vergleich von Bachmann, die immer von
der Sorge getragen war, dass derartige verbale Aggressionen zu physischer
Gewalt, vornehmlich gegen Flüchtlingen, führen würden. Die
Medienwirkungsforschung konnte bis heute nicht den unterstellten Zusammenhang
von verbalen Äußerungen und der Neigung zu physischer Gewalt nachweisen. Der
genannten Sorge liegt ein simples Stimulus-Response-Modell zu Grunde, mit dem
kein ernst zu nehmender Wissenschaftler arbeiten würde. Das ist Vulgär-Behaviorismus, der Menschen zu Automaten degradiert. In den Massenmedien
lebt diese haltlose Behauptung als eine Art moderner Mythos immer noch fort. Ein
ähnlicher Zusammenhang wird regelmäßig für Ego-Shooter und Gewaltneigung behauptet,
wenn es wieder zu einem Amoklauf gekommen ist - auch in diesen Fall völlig
unbegründet.
Würde dieser
Zusammenhang tatsächlich bestehen, müssten die Deutschen sich wahrscheinlich
schon längst gegenseitig die Köpfe eingeschlagen haben. Denn wer glaubt, die
Äußerungen von Bachmann wären ein Novum in der öffentlichen Auseinandersetzung, der irrt sich gewaltig. Bachmann hatte sehr viele prominente Vorläufer. Man
lese nur einen Spiegel-Artikel
über die Propaganda-Methoden von Heiner Geißler. Der verglich in den frühen
1980ern die SPD immer mal gern mit der Sowjet-Diktatur in Russland und handelte
sich von seiten der SPD prompt selbst einen Vergleich mit Goebbels ein. Es ließen sich vermutlich
noch unzählige weitere Beispiele für derart schiefe Vergleiche finden. Für mich stellt sich daher die Frage: Woher sollen es die heutigen Bürger denn besser wissen, wenn es ihnen von Generationen von
Politikern vorgelebt wurde? Den Geist, den die Politiker der Volksparteien selbst gerufen haben, bekommen sie nun nicht mehr in die Flasche zurück und werden von ihm eingeholt. Ich stelle sogar die gewagte Vermutung
auf, dass, würde man nur gründlich genug recherchieren, man auch Heiko Maas
einen Nazi-Vergleich nachweisen kann. Ich vermute weiter, dass dies der Grund
war, warum Maas keine Strafanzeige gegen Bachmann gestellt hat. Aber auch mit Blick auf
die Geschichte der Bundesrepublik wäre das eine sehr alberne und im Ergebnis wahrscheinlich
nicht erfolgreiche Aktion gewesen. Maas hätte sich damit nur lächerlich
gemacht.
Für mich steht daher zweierlei fest: Zum einen sind Nazi-Vergleiche kein Tabu in Deutschland. Im
Gegenteil, sie sind seit Jahrzehnten gängige Praxis in der Bundesrepublik, um den politischen Gegner zu diffamieren. Zum
anderen besteht der häufig unterstellte Zusammenhang zwischen verbaler und physischer Gewalt nicht – zumindest nicht in der Schlichtheit, wie es in
den Massenmedien immer behauptet wird. Ich habe sogar Probleme
Nazi-Vergleiche überhaupt als verbale Aggression zu betrachten. Sie dienen
eher der Unterhaltung der eigenen politischen Anhänger als der wirksamen
Denunziation und Stigmatisierung des politischen Gegners, denn in den meisten
Fällen weiß sogar das Publikum, dass an solchen Vergleichen wenig dran ist.
Gleichwohl kann auch ich nicht ignorieren, dass es auch noch eine große Menge
an Leuten gibt, die solche Stilmittel nicht verstehen und diese
Stigmatisierungs- und Denunziationsversuche ernst nehmen. Gerade diese
Unschärfe macht Ironie in der politischen Kommunikation zu einem gefährlichen Stilmittel. Denn was mal als Scherz begann, kann irgendwann zum bitteren Ernst werden. Diese Entwicklung lässt sich an der Rolle der Nazi-Vergleiche in den politischen Debatten Deutschlands wahrscheinlich gut nachvollziehen. Und die Entwicklung bleibt nicht stehen. Bachmann drehte in seiner Rede die Schraube um weitere 180 Grad.
Das Provozierende
an Bachmanns Vergleich ist die veränderte Botschaft, die er mit seinem
Vergleich gesendet hat. Als die Bezeichnung »Nazi« noch eine
stigmatisierende Funktion hatte, lautete die Botschaft »du bist keiner von uns«.
Aber was bedeutet es, wenn vermeintliche Nazis, die sich sogar darüber bewusst
sind, dass sie als Nazis betrachtet werden, einen Nazi-Vergleich benutzen? Die
sagen damit »du bist genauso wie wir«. Die massenmediale Empörung über
Bachmanns Vergleich erklärt sich vermutlich aus dieser veränderten Botschaft. Sofern
sich der Vergleich auf die Kommunikationsweise der bekennenden Gegner von
Pediga bezieht, muss ich leider feststellen, dass Bachmann damit Recht hat. Was
für Nazis das Wort »Ausländer« ist, ist für deren Gegner das Wort »Nazi«. Beide
Bezeichnungen erfüllen dieselbe diskriminierende und stigmatisierende Funktion. Interessanterweise
zeigt Bachmann damit ein höheres Reflexionsniveau in Bezug auf das eigene
Verhalten als die Gegner von Pegida. Zugleich zeugt dieser Vergleich davon,
dass sich die Stigmatisierungsfunktion des Nazi-Vergleichs vollständig
verbraucht hat. Die Möglichkeit als Nazi beschimpft zu werden, hat ihr Drohpotential verloren. Damit hält man heute niemanden mehr von irgendwas ab. Solange die Pegida-Gegner es nötig haben, dieselben Methoden zu
benutzen, wie die vermeintlichen Nazis von Pegida, ist Skepsis angebracht, ob die wirklich so gut und moralisch integer sind, wie sie von sich behaupten.
Das Gerede der
Moderatorin von einem Tabu in dem besagten Radio-Interview entspringt wohl eher
einem Wunsch nach einem Tabu als der Wirklichkeit und macht auf das ziemlich gestörte
Verhältnis vieler Angehörige der vierten Gewalt zu unliebsamen Meinungen aufmerksam.
Von Rosa Luxemburg stammt bekanntlich das Zitat »Freiheit ist immer die
Freiheit der Andersdenkenden«, das sich ja hoffentlich auch auf die
Meinungsfreiheit bezieht und nicht nur auf die Gedankenfreiheit [1]. Leider
gilt dieses Zitat in linken Kreisen nur solange man sich in der politischen
Opposition wähnt. Sobald sie dann selbst an der Macht sind, ist es mit der
Freiheit der anderen Andersdenkenden schnell vorbei. Sie wird von den Linken immer für sich selbst eingefordert, gilt aber schon nicht mehr
für den politischen Gegner. Dieser instrumentelle Einsatz des Rufes nach mehr Bürgerrechten ist sehr auffällig. Vor dem Hintergrund, dass Nazi-Vergleiche in den
politischen Auseinandersetzungen Deutschlands eine lange Tradition haben, zeigt
das Gerede der Moderatorin, wie selektiv selbst von den Massenmedien die
Bürgerrechte den Teilnehmern an solchen Auseinandersetzungen zugestanden
werden.
Letztlich ist es
dabei egal, ob die Moderatorin diesen Einstieg in das Interview aus tatsächlicher
Unkenntnis oder mit voller Absicht gewählt hat. Hat sie es aus Unkenntnis
getan, zeigt dies auf welch dilettantischem Niveau die öffentlich-rechtlichen
Journalisten inzwischen operieren. Hat sie es mit voller Absicht getan, zeigt
dies die maßlose Heuchelei vieler Journalisten, die sich gelegentlich auch
gerne mal als Kämpfer für die Bürgerrechte aufspielen. In beiden Fällen wäre
das Bild nicht sehr vorteilhaft. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen. Ich würde zwar nicht so weit gehen und von
Lügenpresse sprechen. Gleichwohl zeigen solche Begebenheiten, warum das Ansehen
der Journalisten in Deutschland in den letzten Jahren so stark gelitten hat:
viele arbeiten heute einfach schlampig, also handwerklich schlecht, und geben sich nicht mal mehr besondere
Mühe dies zu verbergen.
Auch der
geladene Soziologe Nassehi macht in diesem Interview keine gute Figur, da er
der haltlosen Prämisse des Interviews nicht widerspricht und sich damit zum
wissenschaftlichen Kronzeugen macht. Für einen Soziologen, der gerade ein Buch
veröffentlicht hat, in dem er erläutert, warum der Gegensatz von rechts und
links heute keine politische Orientierung mehr geben kann, lässt er sich doch
ziemlich willfährig von einer dieser politischen Strömungen
instrumentalisieren. Durch sein Handeln widerspricht er seiner eigenen These,
was nicht gerade für ihre Plausibilität spricht. Das ist schade, denn
eigentlich teile ich die Einschätzung, dass rechts und links veraltete Kategorien
sind, die heute keine politische Orientierung mehr geben können. Man kann diese These aber nur plausibilisieren, wenn man auf die Gemeinsamkeiten zwischen rechts und links hinweist. Eine dieser Gemeinsamkeiten ist der gleiche Kommunikationsstil und entsprechend sind beiden Seiten als politische Alternativen abzulehnen. Leider denken immer noch viele Deutschen, dass, nur weil in Deutschland keine weiteren Alternativen zur Verfügung stehen, man sich für eine der beiden Seiten entscheiden müsste.
[1] Wenn es sich
nur auf die Gedankenfreiheit beziehen würde, wäre das Zitat purer Zynismus,
weil es dann besagen würde »denken kannst du, was du willst, aber behalte es
gefälligst für dich«. Im real existierenden Sozialismus hatte man es so
verstanden.
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