Mittwoch, 31. Dezember 2014

Zeit und Leben


Zum Abschluss des Jahres gibt es noch ein kurzes Fragment, zu dem ich am 24.12.2014 durch die Lektüre eines Artikels zum Thema Beschleunigung inspiriert wurde. Thematisch passt es allerdings besser zum Jahreswechsel, denn dann tritt verstärkt der Fortgang der Zeit ins Bewusstsein und man wird zugleich  Stichwort »gute Vorsätze«  mit seinen eigenen erfüllten und/oder unerfüllten Ambitionen konfrontiert.

Dienstag, 16. Dezember 2014

Genderneutralität und Sprachzerstörung


Aktuell ist das Thema genderneutrale Sprache mal wieder auf allen Onlinemedien präsent. Fast täglich erscheint ein neues Plädoyer für oder gegen genderneutrale Sprache. Das Thema gärt ja schon etwas länger im Untergrund. Im Frühjahr gab es bereits eine kleine Empörungswelle über das Ansinnen nach einer Sprache, die weniger bis gar nicht diskriminierend sei. Ich persönlich hatte ja gehofft, dass danach Ruhe ist und über die kindischen Mätzchen der Befürworter und Gegner sich der Mantel des Schweigens legt. Aus für mich nicht ganz nachvollziehbaren Gründen wird nun dieses typische Sommerloch-Thema wieder hervorgekramt und nochmal richtig breitgetreten und ausgewalzt bis auch die oder der Letzte seinen Senf dazu abgegeben hat. Ich bin mir natürlich darüber bewusst, dass ich mich mit diesem Beitrag nun selbst in die Reihe derer einreihe, die ihren Senf dazu abgeben müssen. Aber es wird Zeit festzustellen: Kinders, langsam nervt es! Auch wenn der folgende Text überwiegend gute Gründe anführt gegen genderneutrale Sprache zu sein, geht es mir nicht darum für oder gegen genderneutrale Sprache Position zu beziehen, sondern warum man die Entscheidung für oder gegen genderneutrale Sprache als solche ablehnen sollte. Als Vorschlag steht sie nun im Raum und fordert Zustimmung oder Ablehnung. Da sich beides auf genderneutrale Sprache bezieht, kommt man wohl oder übel um eine Auseinandersetzung mit ihr nicht herum. 

Donnerstag, 20. November 2014

Soziologen als Mythenjäger


»Wenn man verstehen will, worum es in der Soziologie geht, dann muß man in der Lage sein, in Gedanken sich selbst gegenüberzutreten und seiner selbst als eines Menschen unter anderen gewahr zu werden. Denn die Soziologie beschäftigt sich mit den Problemen der „Gesellschaft“, und zur Gesellschaft gehört auch jeder, der über die Gesellschaft nachdenkt und sie erforscht.« 
Norbert Elias*


Die Fähigkeit, über die Soziologen nach Elias verfügen sollten, ist die Fähigkeit zur Selbstreflexion. Sich selbst als jemand anderes gegenüber zu treten, bedeutet die Voraussetzung zu schaffen, um gewahr zu werden, welchen Eindruck das eigene Verhalten auf andere Menschen macht. Leider ist diese Fähigkeit unter Soziologen, speziell denen, die sich einer Kritischen Soziologie – egal welcher Schule – zurechnen, nicht sehr weit verbreitet. Kritische Theorien bilden zumeist eine gefährliche Kombination von Modellen, die Elias mythisch-magisch und naturwissenschaftlich bezeichnet (vgl. 2014 [1970], S. 16f.). Das mythisch-magische Modell zeichnet sich durch eine naiv-egozentrische Beobachtungsweise aus, das naturwissenschaftlich-mechanistische Modell durch die Beobachtung von Kausalbeziehungen. Beiden Beobachtungsformen ist eine zu starke Reduktion von sozialen, biologischen, chemischen oder physikalischen Sachverhalten auf unidirektionale Wirkungszusammenhänge gemein - im sozialen Bereich durch Reduktion auf Subjekt-Objekt-Beziehungen, in der Natur durch mechanische Ursache-Wirkungsbeziehungen.

Samstag, 8. November 2014

Dass es soziale Systeme gibt, muss sich zeigen


"6.36 Wenn es ein Kausalitätsgesetz gäbe, so könnte es lauten: »Es gibt Naturgesetze«.                              
Aber freilich kann man das nicht sagen: es zeigt sich." Ludwig Wittgenstein

Dass man einen Satz wie »Es gibt Naturgesetze« nicht sagen kann, meint nur, dass dieser Satz nicht sinnvoll ist. Trotzdem kann er gesagt werden. Er besagt in dieser Form bloß nichts. Die Aufmerksamkeit wird durch diesen Satz auf die schlichte Feststellung gelenkt, dass es Naturgesetze gibt: es gibt Naturgesetze, Naturgesetze gibt es. Weder wird angegeben, was Naturgesetze sind noch wie man nachvollziehbar erkennen kann, dass es sie gibt. Diesen Satz kann man nur bedingungslos akzeptieren oder ablehnen. Bei diesem Satz handelt es sich um eine Tautologie. Eine Tautologie ist eine besondere Form der Paradoxie, denn es ist ein Satz der keinen Unterschied markiert. Es fehlt der Kontext bzw. der Rahmen vor dem dieser Satz einen Sinn macht. Also muss diese Paradoxie entfaltet werden. D. h. es müssen Unterschiede in Form einer Sprache eingeführt werden, die zeigen, dass es Naturgesetze gibt. Der Satz »Es gibt Naturgesetze« würde dann den Kontext für die Entwicklung dieser Sprache bilden.

Mittwoch, 29. Oktober 2014

Impressionen und Gedanken zum Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie 2014


Vom 06.10. bis 10.10.2014 fand in Trier der Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie statt. Ich hatte das Vergnügen bei der vom Soziologiemagazin organisierten Ad-Hoc-Gruppe „Krise der Kommunikation: Wo bleibt der soziologische Diskurs?“ einen Vortrag zu halten. Im Folgenden möchte ich einige meiner Eindrücke schildern, die ich während der Zeit sammeln konnte. Zwei Bemerkungen dazu vorweg. Zum einen, ich habe zwar Soziologie studiert, verdiene mein Geld aber heute außerhalb der Wissenschaft. Nichts desto trotz habe ich mir einen soziologischen Blick bewahrt und versuche diesen mit meinen beiden Blogs zu kultivieren. Trotzdem hatte ich die Befürchtung, dass ich aufgrund meiner weiteren beruflichen Sozialisation schwer für die Habitus- oder Verhaltensformen der professionellen Soziologen anschlussfähig sein werde. So hatte ich, um dem Abenteuer DGS-Kongress ein persönliches Motto zu geben, bereits auf der siebenstündigen Anfahrt nach Trier angefangen Robert A. Heinleins Roman „Ein Mann in einer fremden Welt“ (Engl. Originaltitel „Stranger in a strange land“) zu lesen. Diese Befürchtung hat sich zum Teil erfüllt, zum Teil aber auch nicht. Dazu im Folgenden mehr. Zum andere bot der DGS-Kongress eine große Anzahl an Veranstaltungen und man musste sich sehr gut überlegen, welche man besuchen möchte. Leider wurde man dabei häufig vor die Wahl gestellt zwischen verschiedenen Veranstaltungen zu wählen, die man alle gerne besucht hätte. So ist einer der wenigen Wermutstropfen des Kongresses, die kaum zu vermeidende Enttäuschung einige vielversprechende Veranstaltungen verpasst zu haben, die man auch gerne besucht hätte. Ich vermute, so wird es den meisten Teilnehmern ergangen sein. An diesem Problem konnte jeder das Komplexitätsproblem, was einen ja immer vor eine Entscheidung stellt, selbst erfahren. Zugleich kann man sich als Einzelner so gut wie kein allgemeines Urteil über den Kongress erlauben, weil man nur einen Bruchteil davon miterleben konnte. Deswegen werde ich aus meiner persönlichen Sicht einige Eindrücke und Gedanken schildern, die mich während des Kongresses bewegt haben. Hier spielen zum einen meine eigenen thematischen Interessen und die sich daran anschließende Auswahl der Veranstaltungen eine Rolle als auch einige Phänomene, die vielleicht nicht nur mir während der Zeit aufgefallen sind. Den soziologischen Blick konnte ich während des Kongresses natürlich nicht abstellen. 

Sonntag, 19. Oktober 2014

Hat sich die Soziologie in einem double bind verfangen? - Der Vortrag


Am 10.10.2014 haben ich beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in der Ad-Hoc-Gruppe "Krise der Kommunikation: Wo bleibt der soziologische Diskurs?" einen Vortrag mit dem Titel "Hat sich die Soziologie in einem double bind verfangen?" gehalten. Der folgende Text ist das Vortragsmanuskript. Der Mitschnitt des Vortrags kann hier angesehen werden.


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Herzlich Willkommen zu meinem Vortrag „Hat sich die Soziologie in einem double bind verfangen?“. Der Titel ist als Fragestellung formuliert. Aber die Eine oder der Andere wird es schon geahnt haben. Die Frage ist rhetorisch gemeint. Es ist tatsächlich die These dieses Vortrags, dass sich die Soziologie in einem double bind verfangen hat. Sie bezieht sich auf die weitverbreitete Selbstbeschreibung der Soziologie, wonach sie die Gesellschaft zu analysieren und zu verändern beansprucht. Ich werde im Folgenden versuchen zu zeigen, dass diese beiden Ansprüche unter der gesellschaftsstrukturellen Bedingung funktionaler Differenzierung nicht miteinander vereinbar sind und dass darin einer der wichtigsten Gründe für das schlechte Image und den aktuellen Relevanzverlust der Soziologie zu sehen ist.

Donnerstag, 11. September 2014

Warum es kein Recht auf informationelle Selbstbestimmung gegeben kann


„Man kann nicht nicht kommunizieren."
Watzlawick/Beavin/Jackson 2011 [1969], S. 60


Diesen berühmten Satz von Paul Watzlawick haben wahrscheinlich viele schon einmal gehört. Doch wie viele wissen eigentlich, was er genau besagt? Watzlawick und seine Co-Autoren machten mit diesem Satz auf den allgemeinen Mitteilungscharakter allen Verhaltens aufmerksam. Wenn eine Person etwas tut, kann dies von einer anderen Person, die dies beobachtet, als Mitteilung verstanden werden – auch wenn es durch die beobachtete Person gar nicht als solche gemeint war. Trotzdem teilt es der beobachtenden Person etwas mit. Was genau mitgeteilt wird, spielt zunächst keine Rolle. Das hängt von der jeweils beobachtenden Person ab. Man kann aber davon ausgehen, dass die beobachtende Person aus dem beobachteten Verhalten ihre Schlüsse ziehen wird. So lässt zum Beispiel die Kleidung viele Rückschlüsse auf eine Person zu. Das gilt aber auch für Musik, Ernährung, Autos, Sport, die Arbeit und vieles andere. Personen, die sich beruflich auf eines dieser Gebiete spezialisiert haben, können sehr schnell Menschen einschätzen. Der Spruch „Sag mir, was du isst, und ich sag dir, wer du bist.“ lässt sich auf alle diese Gebiete übertragen. Den Experten auf den einzelnen Gebieten kann man daher nur schwer was vormachen. Deswegen ist es auch völlig unnötig sich zu verstellen oder zu verstecken. Das Wissen, wie sich Menschen in bestimmten Situationen verhalten, wird im Allgemeinen als Menschenkenntnis bezeichnet. Jeder muss zu einem gewissen Maße eine solche Menschenkenntnis entwickeln, um Situationen und die beteiligten Personen verstehen zu können. Jegliches Verhalten ist also für einen Beobachter informativ. Auch der Versuch sich nicht zu Verhalten kann als Verhalten gedeutet werden. Deswegen heißt es, man kann nicht nicht kommunizieren.

Donnerstag, 4. September 2014

Wer kann durch Nudging beeinflusst werden?


Vor einiger Zeit war bei FAZ-Online ein Artikel über eine etwas kuriose Stellenausschreibung des Bundeskanzleramts zu lesen. Das Kanzleramt suchte drei Referenten mit vertieften Kenntnissen über Psychologie, Anthropologie und Verhaltensökonomik für den Stab Politische Planung, Grundsatzfragen und Sonderaufgaben. Die einen werden in dieser Stellenausschreibung vermutlich einen Beleg für die Unfähigkeit der Regierung sehen. Die anderen werden mit dieser Stellenausschreibung wahrscheinlich ihren Verdacht bestätigt sehen, dass die Regierung die Bürger gezielt manipulieren will. Die Methode zur Beeinflussung der Bürger, für die Experten gesucht werden, heißt „Nudging“, zu Deutsch „Stubsen“, und funktioniert folgendermaßen. Im Artikel wird das Beispiel säumiger Steuerzahler genannt. Lässt man den säumigen Steuerzahler wissen, wie viele seiner Nachbarn bereits Steuern gezahlt haben, kann diese Information dazu führen, dass auch er seine Steuern zahlt. Experimente zeigen, dass durch diese Methode die Steuermoral in bestimmten Regionen gesteigert werden konnte.

Einen Tag später berichtete Sascha Lobo in seiner wöchentlichen Kolumne über ein ähnliches Experiment, um die Wahlbeteiligung zu steigern. Facebook präsentierte Usern zur Wahl wie viele ihrer Facebook-Freunde bereits gewählt haben mit dem Aufruf dies ebenfalls zu tun. Lobo bezeichnete es als „Digital Gerrymandering“. Gerrymandering bezeichnete ursprünglich eine bestimmte Art Wahlbezirke zusammenzustellen. Die Ähnlichkeit von Digital Gerrymandering und Nudging ist jedoch nicht zu übersehen. Und auch die Manipulationsmöglichkeit ist leicht zu erkennen. Denn woher will man als Nutzer wissen, ob es stimmt, dass die Freunde bereits gewählt haben.

Dienstag, 26. August 2014

Gesellschaftliche Konflikte und die Rolle der Soziologie


„Die soziologische Utopie lebt aufgrund eines eigenen Immunsystems, das mit dem der Gesellschaft inkompatibel ist. So wird die Soziologie zur Krankheit der Gesellschaft und die Gesellschaft zur Krankheit der Soziologie – wenn diese Inkompatibilität nicht theoretisch unter Kontrolle gebracht wird.“ Luhmann 1984, S. 505


Man muss heute 30 Jahre nach der Veröffentlichung von „Soziale Systeme“ ernüchtert feststellen, dass diese Inkompatibilität seitens der Soziologie bis heute nicht unter Kontrolle gebracht wurde. Ich habe in meinem Text "Die Beobachtung der Beobachtung 3.2 - Die Multifunktionalität der Kommunikation als Problem soziologischer Theoriebildung" unter Rekurs auf Thomas Szasz‘ Buch „Geisteskrankheit – ein moderner Mythos“ (2013) darauf hingewiesen, dass die Vorstellung einer kranken Gesellschaft als soziologischer Mythos betrachtet werden muss. Sie ist eine Schauergeschichte, mit der sich die sogenannten Gesellschaftskritiker selbst erschrecken und darauf hoffen, dass das auch bei anderen funktioniert. Die Gesellschaft hat sich gegen diese Krankheit dadurch immunisiert, dass die Soziologie heute überwiegend mit Nichtbeachtung bestraft wird. Soziologieintern wird dies als gesellschaftlicher Relevanzverlust registriert. Reagiert wird darauf jedoch nur mit immer schlimmeren Schauergeschichten, wie krank die Gesellschaft doch sei. Durch diesen Selbstüberbietungsmodus gewinnen solche Gesellschaftsbeschreibungen aber allenfalls noch, wenn überhaupt, massenmediale Relevanz. Sie dienen nur noch der Konfliktaufwertung (vgl. Luhmann 1984, S. 536). Wenn man sich mal versucht die Frage zu beantworten, welche Idealvorstellungen zugrunde liegen müssen, um derartige Beschreibungen des Ist-Zustands zu formulieren, merkt man, wie welt- und lebensfremd diese Idealvorstellungen bzw. Utopien zumeist sind. Teil des Problems ist ein nach wie vor weit verbreiteter Utopien-Fetischismus, der schon längst jegliche soziale Funktion verloren hat und nur noch einem psychischen Eskapismus dient. Umso größer ist dann natürlich der Schock, wenn man seine Aufmerksamkeit doch mal wieder auf die soziale Realität richtet. Außerdem verhindert das Festhalten an unrealistischen Utopien, dass man sich ernsthaft mit realisierbaren Lösungen auseinandersetzt. Mit halben Sachen oder Kompromissen kann man sich nicht zufrieden geben. Utopien liefern gute Gründe auf einem radikalen Nein zu bestehen.

Donnerstag, 3. Juli 2014

Eugene Goostman – systemtheoretisch beobachtet



Das Ereignis

Am 07. Juni 2014 erregte die Meldung Aufmerksamkeit, dass es einem Computerprogramm gelungen sei den Turing-Test zu bestehen. Der Turing-Test wurde von dem britischen Mathematiker Alan Turing entworfen, um festzustellen, ob das getestete Programm eine dem Menschen vergleichbare Intelligenz hat. Besteht eine Maschine oder ein Computerprogramm den Turing-Test, wäre, so die Theorie, der Beweis erbracht, dass es gelungen ist eine künstliche Intelligenz zu entwickeln. Dass diese Meldung überhaupt massenmediale Resonanz fand, lag wohl an dieser Implikation des Turing-Tests, welche das Ereignis als bahnbrechend erscheinen lässt. Da ich hier nur knapp einen Monat vorher einen Beitrag veröffentlicht hatte, in dem ich die Entwicklung einer künstlichen Intelligenz im Sinne eines künstlichen Bewusstseins als mehr oder weniger unmöglich beschrieben hatte, soll an dieser Stelle betrachtet werden, wie sich dieses Ereignis im damals eröffneten theoretischen Kontext darstellt.

Donnerstag, 5. Juni 2014

Über Protest, Moral und demokratische Kultur



Im Folgenden möchte ich auf ein Problem öffentlicher Diskussionen eingehen, dass sich vor allem in demokratisch verfassten politischen Systemen stellt. Öffentlichkeit ist, wie immer wieder betont wird, ein konstitutiver Bestandteil von demokratisch verfassten politischen Systemen. Inzwischen spricht man auch häufig von Transparenz. Öffentlichkeit und Transparenz werden heute gerne als Werte an sich verkauft. Unklar bleibt aber zumeist in welcher Beziehung Öffentlichkeit und Demokratie eigentlich zueinander stehen. Zuletzt zeigte sich dies in der Diskussion um die NSA-Überwachung. Die Überwachung wurde als Gefährdung der Demokratie betrachtet. Dabei parasitiert die NSA nur an einem technischen Verbreitungsmedium, dass es überhaupt erst ermöglicht eine globale Öffentlichkeit herzustellen. So fragte man sich bei vielen NSA-kritischen Beiträgen, denen als Lösung nicht viel mehr einfiel als das Internet selbst zu verteufeln, was die Aufregung eigentlich soll? Öffentlichkeit stellt Beobachtbarkeit von Themen und Personen her und der Beobachter weiß wer wofür steht. Man könnte also vermuten, dass das Internet in dieser Hinsicht die größte technische Errungenschaft zur Demokratisierung der Weltgesellschaft seit dem Buchdruck ist. Nicht ohne Grund wollen Machthaber in Diktaturen oder gelenkten Demokratien Plattformen wie youtube, Twitter oder Facebook verbieten. Sie gefährden den mühsam gepflegten Anschein der Alternativlosigkeit bzw. der Zwangsläufigkeit des eigenen politischen Programms. Das Internet als technisches Verbreitungsmedium erzeugt dagegen Kontingenz und fördert dadurch den für Demokratien notwendigen Wettkampf der Ideen. Dieser öffentlich inszenierte Wettkampf der Ideen ersetzt den gewaltsamen Kampf mit Waffen und ermöglicht so einen gewaltlosen Wechsel der Regierung. Autokraten sind jedoch in der Illusion der eigenen Alternativlosigkeit gefangen, in der ein Wechsel der Regierung nicht vorgesehen ist. Entsprechend bedrohlich muss daher ein Verbreitungsmedium, wie das Internet wirken. Es stellt den unkontrollierten Informationsumschlag [1] sicher und es können Alternativen entdeckt werden, die Autokraten konsequenterweise als Bedrohung ihrer Machtposition wahrnehmen müssen.

Sonntag, 4. Mai 2014

Künstliche Intelligenz aus soziologischer Sicht



Im Schatten der Zukunft 

Dieser Beitrag wird sich nicht, wie die früheren Beiträge, mit einer bestimmten Form interpersoneller Wahrnehmung beschäftigen. Trotzdem steht das Thema dieses Beitrags in einer unmittelbaren Beziehung zu den Formen interpersoneller Wahrnehmung. Sollte das, worum es in diesem Beitrag geht, jemals realisiert werden, wird diese technische Innovation auch nachhaltige Auswirkungen auf die Formen interpersoneller Wahrnehmung haben. Die Rede ist von Künstlicher Intelligenz. Um sich klar zumachen, um was für einen großen Schritt es sich handelt, wenn eine derartige technische Leistung realisiert werden würde, möchte ich auch von der Erschaffung von Leben auf einer anorganischen Basis ohne einen eigenen Reproduktionszyklus sprechen. Warum ich von Leben spreche, wird im weiteren Verlauf des Textes deutlicher werden.

Sonntag, 30. März 2014

Eine Anmerkung zum systemtheoretischen Funktionalismus



„Will man alles erkennen, wird man allerdings kaum etwas sehen können. Schließlich impliziert jede Beobachtung den Verzicht auf Ganzheitlichkeit. Beobachten heißt unterscheiden, um dann das Unterschiedene zu bezeichnen. Ein Beobachter, der keine Unterscheidungen trifft, wird nichts erkennen können. Eine nur undeutlich formulierte Systemtheorie wird daher kaum praktikabel sein.“

Roland Schleiffer in: Das System der Abweichungen. Eine systemtheoretische Neubegründung der Psychopathologie. Carl-Auer-Systeme Verlag Heidelberg. S, 16

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Schönes Zitat. Schleiffer hat diese Passage zwar im Hinblick auf seinen eigenen theoretischen Anspruch formuliert. Sie trifft aber auch mit Blick auf aktuell schon nicht mehr unter dem Label »Systemtheorie« firmierende Ansätze genau deren Problem. Durch die Form der Theoriebildung, die im Wesentlichen im Generalisieren liegt, bleibt das Ganze auf die eine oder andere Weise trotzdem der Bezugspunkt. Dieser Arbeitsschritt ist unverzichtbar, aber nur die Hälfte der Arbeit. Generalisierung bedeutet, durch die Suche nach der Einheit einer Unterscheidung einen Vergleichshorizont zu konstruieren. Dadurch werden verschiedene Phänomen vergleichbar. Durch die Konzentration auf die Einheit bleiben die Unterschiede zwischen den zu vergleichenden Phänomenen unbeachtet. An diesem Punkt angekommen, müssen nun in Abhängigkeit vom verwendeten Theorieapparat eigene Unterscheidungen getroffen werden, denn die Arbeit kann ja nicht bereits beendet sein, wenn man die Unterschiede weg theoretisiert hat. Ab diesen Punkt erweist sich erst die Fruchtbarkeit einer Theorie. Sie muss eine eigene Perspektive auf die interessierenden Phänomene entwickeln und sie mit eigenen Unterscheidungen rekonstruieren. Leider hält man die Arbeit heute häufig bereits nach der Dekonstruktion der konventionell verwendeten Unterscheidungen für beendet. Entsprechend undeutlich bleiben dann die Beobachtungsergebnisse. Um dieses Problem zu kaschieren, drückt man sich dann häufig in Paradoxien aus.

Dienstag, 18. Februar 2014

Über die biologistische Begründung der Homophobie



Ich habe vor kurzem Matthias Matusseks Bekenntnis zur Homophobie gelesen. Als ob es nicht schon genug wäre, dass sich bestimmte Personen inzwischen öffentlich zu ihren dümmlichen Ressentiments und ihrer Ignoranz gegenüber Homosexuellen bekennen als wäre es das Normalste auf der Welt. Richtig bedenklich wird es erst bei der Begründung. Matusseks naturrechtliches Argument, ganz auf katholischer Linie, lautet, dass aus einer homosexuellen Beziehung keine Kinder entstehen können und deswegen müsse homosexuelle Liebe minderwertig sein. Bedenklich ist daran das biologistische Verständnis von Liebe, wonach eben nur aus heterosexuellen Beziehungen Kinder hervorgehen können. Sicherlich kann man nicht bestreiten, dass es biologisch unmöglich ist durch homosexuellen Geschlechtsverkehr Kinder zu zeugen. Trotzdem bleibt die daraus abgeleitete Minderwertigkeit äußert fragwürdig.

Samstag, 25. Januar 2014

Über Liebe, unfähige Männer und Feminismus*



Vor einiger Zeit hatte ich an anderer Stelle einige Gedanken zum Thema Liebe als sozialem Phänomen veröffentlicht. Ich spitzte sie damals auf folgende These zu: "Die Kunst des Liebens besteht also darin, miteinander zu reden obwohl man schweigen könnte." Das Reden würde in einer Beziehung dazu dienen, sich darüber zu vergewissern, ob das Schweigen weiterhin berechtigt wäre. Mit anderen Worten, Liebe lebt von der Abweichung vom Erwartbaren und wird gerade dadurch am Leben erhalten. In einer Ergänzung wies ich dann darauf hin, dass man wahrscheinlich auch die Romantriologie "Shades Of Grey" und Eva Illouz' Essay "Die neue Liebesordnung. Frauen, Männer und Shades Of Grey" in diesem Kontext lesen könnte, denn die im Roman beschriebenen SM-Praktiken können als solch eine Abweichung vom Erwartbaren betrachtet werden. SM-Praktiken erscheinen bei einer oberflächlichen Betrachtung ja nicht gerade als ein Ausdruck von Liebe.

Samstag, 18. Januar 2014

Liebe ist, wenn man miteinander redet, obwohl man schweigen könnte*



Niklas Luhmann beschreibt die Problemstellung, an der sich Liebe als autonome Kommunikationsform auskatalysiert, als »Alter erlebt und Ego handelt« (vgl. 1982, S. 26f., FN 9). Das bedeutet, eine beobachtete Person (Alter) teilt etwas über ihr Erleben mit und diese Information wird von der beobachtenden Person (Ego) dazu genutzt ihr Handeln daran auszurichten. Das kann, muss aber nicht, in derselben Situation geschehen. Daran entzündete sich bei mir vor Kurzem folgender Gedankengang:

Samstag, 11. Januar 2014

Für eine Ökologie des Geistes!

Hiermit möchte ich, der Beobachter der Moderne, einen neuen Blog vorstellen. Ich habe beschlossen einige meiner Facebook-Aktivitäten auf einen separaten Blog auszulagern. Wer mich auf Facebook geliked hat, wird schon seit längerem bemerkt haben, dass ich dort immer wieder etwas längere Beiträge gepostet hatte, die eigentlich in ein Blog-Format gehören. Die Beiträge waren weniger theoretisch und distanziert wie mein Hauptblog, sondern impressionistisch und subjektiv. D. h. sie waren engagierter und provokativer als der Hauptblog, da ich Themen angesprochen habe, die mich aktuell bewegen. Dieser Stil soll nun an dieser Stelle fortgesetzt werden. Desweiteren sollen auch gewisse im Hauptblog vorgestellte oder noch vorzustellenden Theoriefiguren griffiger erläutert werden. Gelegentlich werde ich auch versuchen mit anderen Theorien als nur der Systemtheorie Luhmann'scher Prägung zu beobachten. Insgesamt haben die Beiträge einen experimentellen und vorläufigen Charakter. Es werden Ideen und Argumente angetestet. Dieser Blog soll damit eine Art flankierendes Versuchslabor zu meinem Hauptblog sein.