Auf dem sozialwissenschaftlichen Portal Soziopolis und dem Sozialtheoristen-Blog fand vor einiger Zeit eine Diskussion über
einen kurzen Text des Bielefelder Soziologen Stefan
Kühl statt, in dem er die These aufstellt, dass der Islamische Staat durch
»Verorganisierung« leichter bekämpfbar wird. Da ich im August diesen Jahres auf meinem Blog selbst einen Artikel über die Gemeinsamkeiten zwischen den Phänomenen Amok und Terror veröffentlicht habe, im Zuge dessen auch der Islamische
Staat gestreift wurde, habe ich die Diskussion selbstverständlich verfolgt. Außerdem
versuchte Kühl die Systemtheorie Niklas Luhmanns in Anschlag zu bringen, um den Islamischen
Staat zu beobachten. Das versprach zunächst eine interessante Diskussion. Das
Ergebnis fiel leider ziemlich ernüchternd aus. Daher möchte ich im Folgenden einige
Anmerkungen machen, die zum einen den Zusammenhang von Organisation und sozialer Adresse und zum anderen das Phänomen Islamischer Staat
betreffen. Bevor ich dazu komme, stelle ich Kühls These kurz vor.
Sonntag, 20. Dezember 2015
Der Islamische Staat - Organisation oder Bewegung?
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Sonntag, 6. Dezember 2015
Falsche Fragen und richtige Antworten
...kommen wir jetzt zu etwas völlig anderem - oder auch nicht:
„Du Papa, kann man auf falsche Fragen richtige Antworten geben?“
„Du Papa, kann man auf falsche Fragen richtige Antworten geben?“
„Sohn, eigentlich gibt es auf falsche Fragen auch nur
falsche Antworten. Aber wenn schon falsch, dann sollte man sie richtig falsch beantworten.“
„Woher weiß ich denn, dass ich richtig falsch geantwortet
habe?“
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Donnerstag, 12. November 2015
Ist die Flüchtlingskrise ein Ausnahmezustand?
Der aktuelle Ansturm von Flüchtlingen auf Deutschland ist ohne Zweifel historisch beispiellos. Vergleiche mit früheren Völkerwanderungen tragen schon deswegen nicht, weil es damals noch keine modernen Nationalstaaten mit festen Staatsgebieten und den dazugehörigen Grenzen gab. Die aktuelle Situation stellt für alle Betroffenen einen Notstand dar. Häufig wurde auch von einem Ausnahmezustand gesprochen. Mit dem Begriff des Ausnahmezustands ist bis heue ein Name untrennbar verbunden: Carl Schmitt. Schmitt war ein Verfassungsrechtler, der in der Zeit von 1933 bis 1945 eine zweifelhafte Karriere im nationalsozialistischen Deutschland gemacht hat. Trotzdem besitzen viele seiner Überlegungen zu Politik und Staat auch heute noch eine gewisse Relevanz. Selbst einige linke Theoretiker greifen Schmitts Überlegungen auf. Sofern von einem Ausnahmezustand die Rede ist, kann man inzwischen darauf warten, dass sein Name fällt [1]. Ich nutze daher die Gelegenheit und prüfe im Folgenden, ob es sich bei der Flüchtlingskrise um einen Ausnahmezustand im Schmitt’schen Sinne handelt.
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Donnerstag, 5. November 2015
Sind Nazi-Vergleiche ein Tabu in Deutschland?
Anlässlich einer Rede vom Organisator der Pegida-Demonstrationen Lutz Bachmann am 2. November 2015, in der er
Justizminister Heiko Maas mit Joseph Goebbels verglich, gab der Münchener
Soziologe Armin Nassehi dem Radiosender NDR Kultur am Tag darauf ein Interview
zu diesem Vorfall. Was mich bei diesem Interview ins Stutzen gebracht hat, war
die Prämisse, unter der das Interview geführt wurde. Die Moderatorin leitet es
mit der scheinbar selbstverständlichen Behauptung ein, dass Nazi-Vergleiche in
Deutschland ein Tabu seien. Schaut man sich jedoch den Verlauf vieler
öffentlicher Debatten an, dann kommen mir erhebliche Zweifel, ob
Nazi-Vergleiche in Deutschland wirklich tabuisiert sind.
Samstag, 24. Oktober 2015
Die Flüchtlingskrise: Der Anfang vom Ende des deutschen Wohlfahrtsstaates?
Die
Flüchtlingskrise erregt nach wie vor die Gemüter in Deutschland. Doch während
man in den Massenmedien und in der Politik auf Bundesebene mehrheitlich noch
glaubt »wir schaffen das«, macht sich auf der Ebene der Lokalpolitik bereits
Ernüchterung breit. Denn so einfach, wie gedacht, ist die Unterbringung und
Verpflegung der ankommenden Flüchtlinge doch nicht. Zu Beginn der
Flüchtlingskrise glaubte man noch, man könne die Integration von
hunderttausenden, vielleicht sogar Millionen Menschen mal eben aus der
Portokasse bezahlen. Jetzt stellt sich heraus, dass die Kapazitäten bereits bei
der Unterbringung erschöpft sind.
Es lässt sich
kaum mehr verbergen. Die Situation wurde im Sommer von Frau Merkel falsch
eingeschätzt als sie am 4. September 2015 die Entscheidung traf, die Flüchtlinge aus Ungarn via Österreich nach
Deutschland zu holen – eine Entscheidung, der bis heute eine demokratische
Legitimation fehlt und weder durch deutsches Recht noch europäische Verträge
gedeckt ist. Wie Frau Merkel auf die Idee gekommen ist, dass es keine Grenzen
mehr gebe, bleibt bis heute schleierhaft. Damit geriet die Situation außer
Kontrolle. Soweit es Deutschland betrifft, reagierte Frau Merkel jedoch nicht auf einen Notstand, sondern hat mit ihrer Entscheidung erst einen Notstand herbeigeführt, der nun auch noch als Begründung dient sich über weitere Gesetze hinweg zu setzen. Für den Rechtsstaat könnte der Schaden, den Frau Merkel angerichtet hat, kaum größer sein.
Nun würden viele gerne die Notbremse ziehen. Aber noch ist die Politik nicht bereit einen Aufnahmestopp zu verhängen. Besonders die Kanzlerin tut so, als hätte man es bei den Flüchtlingsströmen mit einer Art Naturgewalt zu tun, gegen die die Politik machtlos sei. Ehemals glaubte man an die sozialtechnologische Gestaltungsmacht der Politik. Von diesem Glauben ist nicht mehr viel übrig geblieben. Machtlosigkeit wird in Form der Unterlassung zum neuen Leitprinzip der deutschen Politik. Es gibt keine Alternative mehr als sich den Umständen zu fügen. Widerstand ist zwecklos. Das Problem daran ist, dass es Frau Merkel nicht einmal versucht. Sie kapituliert von vornherein vor den Umständen. Gerade das unterstreicht ihre Machtlosigkeit und ist zugleich der politische Offenbarungseid. Deutschland ist in den Augen von Frau Merkel offenbar nur noch ein Korken auf dem Ozean der Weltgesellschaft, der sich treiben lässt. Damit hätte Deutschland seine Souveränität praktisch aufgegeben – und es gibt nicht wenige Anzeichen, die dafür sprechen.
Nun würden viele gerne die Notbremse ziehen. Aber noch ist die Politik nicht bereit einen Aufnahmestopp zu verhängen. Besonders die Kanzlerin tut so, als hätte man es bei den Flüchtlingsströmen mit einer Art Naturgewalt zu tun, gegen die die Politik machtlos sei. Ehemals glaubte man an die sozialtechnologische Gestaltungsmacht der Politik. Von diesem Glauben ist nicht mehr viel übrig geblieben. Machtlosigkeit wird in Form der Unterlassung zum neuen Leitprinzip der deutschen Politik. Es gibt keine Alternative mehr als sich den Umständen zu fügen. Widerstand ist zwecklos. Das Problem daran ist, dass es Frau Merkel nicht einmal versucht. Sie kapituliert von vornherein vor den Umständen. Gerade das unterstreicht ihre Machtlosigkeit und ist zugleich der politische Offenbarungseid. Deutschland ist in den Augen von Frau Merkel offenbar nur noch ein Korken auf dem Ozean der Weltgesellschaft, der sich treiben lässt. Damit hätte Deutschland seine Souveränität praktisch aufgegeben – und es gibt nicht wenige Anzeichen, die dafür sprechen.
Freitag, 24. Juli 2015
Hat sich die Soziologie in einem double bind verfangen? - Zum Dritten
Am 10.10.2014 habe ich beim
Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie im Rahmen der Ad-Hoc-Gruppe
„Krisen der Kommunikation. Wo bleibt der soziologische Diskurs?” einen Vortrag
mit dem Titel „Hat sich die Soziologie in einem double bind verfangen?“
gehalten. Die Ad-Hoc-Gruppe wurde von den Machern des Soziologiemagazins veranstaltet.
Die komplette Veranstaltung wurde damals auf Video mitgeschnitten. Nun wurden
die Videos auf youtube veröffentlicht. Hier ist der Mitschnitt zu meinem
Vortrag:
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Sonntag, 31. Mai 2015
Über Sthenographie. Zum Problem von Problembegriffen
Über
Sthenographie habe ich, verteilt über meine bisherigen Texte, schon einige Bemerkungen
gemacht [1]. Mit »Sthenographie« ist eine problemfokussierte
Betrachtungsweise gemeint. Probleme werden heute sprachlich zumeist in die Form einer Paradoxie gebracht.
Sthenographie zeichnet sich dadurch aus, dass die konstruierte Paradoxie nicht
entfaltet wird, sondern nur offen zur Betrachtung dargeboten wird. Paradoxien
sind jedoch logische Anomalien. Sie verwirren den Geist, weil sie
Widersprüchliches behaupten. Es kann ja nicht sein, dass Gegenteiliges zugleich
gilt. Dies macht die Präsentation einer Paradoxien zu einer Darstellungsmethoden, die beim geneigten Publikum
eine Menge Schaden anrichten kann.
Bisher habe ich mich bei der Rede von Sthenographie in meinen Texten vorwiegend auf sozialwissenschaftliche Problembeschreibungen konzentriert, deren Zweck es ist bei den Adressaten einen politischen Handlungsdruck zu erzeugen. Häufig werden die Probleme dann in einer Art säkularisierten Theodizee-Frage formuliert. Statt »Wie kann Gott dieses ganze Leid auf der Welt zulassen?« heißt es nun »Wie kann die Gesellschaft dieses ganze Leid auf der Welt zulassen?«. Doch anstatt dann Lösungen für die kritisierten Probleme vorzustellen, belässt man es beim Offenlegen der Paradoxie. Die Gesellschaft ist schuld. So einfach ist das. Einige werden sich von solchen Argumentationsfiguren sicherlich angesprochen fühlen und denken, wenn so viele Menschen auf der Welt leiden, wie kann es mir selbst dann gut gehen? Da man im Alltagsverständnis ja selbst irgendwie Teil der Gesellschaft ist, wird man ratlos und mit einer Menge Schuldgefühlen allein gelassen. Und bevor es den anderen Menschen nicht gut geht, kann bzw. darf es einem selbst auch nicht gut gehen.
Für die seelische Gesundheit sind solche Denkfiguren sicherlich nicht förderlich. Aber was kann man in solch einer Situation tun? Da man selbst nichts tun kann, muss die Politik ran. In ihrer Macht liegt es die Gesellschaft zu kontrollieren - so glaubt man zumindest. Und Politiker haben ja heute immer ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte ihrer Bürger. Man kann sogar unerfüllbare Forderungen an sie herantragen. Da die Politiker um jede Stimme kämpfen müssen, sind die meisten heute zu schwach auch mal klar zu sagen, was nicht in ihrer Macht liegt. Dann lässt es sich umso besser unerfüllbare Forderungen stellen. Das entlastet zum einen. Zum anderen können sich die besorgten Bürger dann wieder an dem süßlichen Gift der Paradoxie berauschen und ihren Sorgen neue Nahrung geben. Im schaurig-schönen Hochgefühl der Angstgemeinschaftlichkeit lässt es sich dann wieder umso besser neue unerfüllbare Forderungen aufstellen.
Der Teufelskreis ist geschlossen. Mit der Lösung der unlösbaren Probleme dürfen sich dann die Politiker rumschlagen. Und wenn sie es nicht schaffen, kann man sie wunderbar der Lüge bezichtigen. Der postmoderne Erstarrungstanz um das goldene Kalb der Paradoxie hat begonnen. Bei diesem Spiel ohne Gewinner handelt es sich nur um die populärste Form der Sthenographie. In diesem Beitrag soll es um Sthenographie in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen gehen.
Bisher habe ich mich bei der Rede von Sthenographie in meinen Texten vorwiegend auf sozialwissenschaftliche Problembeschreibungen konzentriert, deren Zweck es ist bei den Adressaten einen politischen Handlungsdruck zu erzeugen. Häufig werden die Probleme dann in einer Art säkularisierten Theodizee-Frage formuliert. Statt »Wie kann Gott dieses ganze Leid auf der Welt zulassen?« heißt es nun »Wie kann die Gesellschaft dieses ganze Leid auf der Welt zulassen?«. Doch anstatt dann Lösungen für die kritisierten Probleme vorzustellen, belässt man es beim Offenlegen der Paradoxie. Die Gesellschaft ist schuld. So einfach ist das. Einige werden sich von solchen Argumentationsfiguren sicherlich angesprochen fühlen und denken, wenn so viele Menschen auf der Welt leiden, wie kann es mir selbst dann gut gehen? Da man im Alltagsverständnis ja selbst irgendwie Teil der Gesellschaft ist, wird man ratlos und mit einer Menge Schuldgefühlen allein gelassen. Und bevor es den anderen Menschen nicht gut geht, kann bzw. darf es einem selbst auch nicht gut gehen.
Für die seelische Gesundheit sind solche Denkfiguren sicherlich nicht förderlich. Aber was kann man in solch einer Situation tun? Da man selbst nichts tun kann, muss die Politik ran. In ihrer Macht liegt es die Gesellschaft zu kontrollieren - so glaubt man zumindest. Und Politiker haben ja heute immer ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte ihrer Bürger. Man kann sogar unerfüllbare Forderungen an sie herantragen. Da die Politiker um jede Stimme kämpfen müssen, sind die meisten heute zu schwach auch mal klar zu sagen, was nicht in ihrer Macht liegt. Dann lässt es sich umso besser unerfüllbare Forderungen stellen. Das entlastet zum einen. Zum anderen können sich die besorgten Bürger dann wieder an dem süßlichen Gift der Paradoxie berauschen und ihren Sorgen neue Nahrung geben. Im schaurig-schönen Hochgefühl der Angstgemeinschaftlichkeit lässt es sich dann wieder umso besser neue unerfüllbare Forderungen aufstellen.
Der Teufelskreis ist geschlossen. Mit der Lösung der unlösbaren Probleme dürfen sich dann die Politiker rumschlagen. Und wenn sie es nicht schaffen, kann man sie wunderbar der Lüge bezichtigen. Der postmoderne Erstarrungstanz um das goldene Kalb der Paradoxie hat begonnen. Bei diesem Spiel ohne Gewinner handelt es sich nur um die populärste Form der Sthenographie. In diesem Beitrag soll es um Sthenographie in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen gehen.
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Sonntag, 3. Mai 2015
Naiver Konstruktivismus - oder wie Latour Bateson auf den Kopf stellt
Wie im vorletzten Beitrag angekündigt, gibt es hier einen weiteren überarbeiteten Text, den ich ursprünglich schon 2013 auf Facebook veröffentlicht habe. Er war eigentlich als Kommentar für einen Beitrag von Hubert Knoblauch auf dem SozBlog gedacht. Damals konnte ich ihn aber nicht posten. Inzwischen habe ich mitbekommen, dass ich nicht der einzige bin, der schon mal vor diesem Problem stand - was darauf hindeutet, dass es sich um technisches Problem des SozBlogs handelt.
Knoblauchs
SozBlog-Beitrag hatte den Titel »Latours
Popanz: Über Mißverständnisse des Sozialkonstruktivismus«. Knoblauch
vertritt darin die These, dass die Diskussionen um den sogenannten
»Sozialkonstruktivismus« bzw. die Kritik an diesem durch eine Reihe von
Missverständnissen bezüglich dieses Sozialkonstruktivismus geprägt sind. Einer
der bekanntesten Vertreter dieser Kritik am Sozialkonstruktivismus ist Bruno
Latour. Knoblauch konzentriert seine Kritik an der Sozialkonstruktivismuskritik
in seinem Beitrag auf Latour. Knoblauchs Vorwurf lautet, dass Latour seinen
eigenen konstruktivistischen Ansatz nur um den Preis einer extrem verzerrten
Darstellung der kritisierten Ansätze als sozialwissenschaftliche Innovation
darstellen kann. Latour konstruiert lediglich Scheingegensätze zwischen seinem
Ansatz und dem klassischen Sozialkonstruktivismus. Dieser Kritik kann ich mich
aufgrund meiner eigenen Lektüre von Latours »Eine neue Soziologie für eine neue
Gesellschaft« (2010 [2005]) nur anschließen. Knoblauch versucht im weiteren
Verlauf seines Beitrags der Frage nach zu gehen, wie es zu diesen gravierenden
Missverständnissen bezüglich des Sozialkonstruktivismus kommen konnte.
Mit »Sozialkonstruktivismus« ist dabei eine Theorielinie gemeint, die sich im Anschluss an Peter L. Bergers und Thomas Luckmanns »Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit« (2012 [1966]) gebildet hat. Knoblauch beklagt die geringe internationale Rezeption dieses soziologischen Klassikers und benennt selber einige Gründe, woran das liegen könnte. Diese treffen zu einem gewissen Grad sicherlich zu. Ich gebe aber zu bedenken, dass im englischsprachigen Raum noch wesentlich elaboriertere Ansätze verbreitet sind, die mehr an Kommunikationstheorie, Systemtheorie und Kybernetik anknüpfen. Aus diesem Umstand lässt sich möglicherweise besser verstehen, warum Latour den Sozialkonstruktivismus Berger/Luckmannscher Prägung unbeachtet lässt.
Mit »Sozialkonstruktivismus« ist dabei eine Theorielinie gemeint, die sich im Anschluss an Peter L. Bergers und Thomas Luckmanns »Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit« (2012 [1966]) gebildet hat. Knoblauch beklagt die geringe internationale Rezeption dieses soziologischen Klassikers und benennt selber einige Gründe, woran das liegen könnte. Diese treffen zu einem gewissen Grad sicherlich zu. Ich gebe aber zu bedenken, dass im englischsprachigen Raum noch wesentlich elaboriertere Ansätze verbreitet sind, die mehr an Kommunikationstheorie, Systemtheorie und Kybernetik anknüpfen. Aus diesem Umstand lässt sich möglicherweise besser verstehen, warum Latour den Sozialkonstruktivismus Berger/Luckmannscher Prägung unbeachtet lässt.
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Donnerstag, 16. April 2015
Mensch und Technik. Gedanken zum Absturz der Germanwings-Maschine
Ich lese aktuell von Niklas Luhmann seine Vorlesung »Einführung in die Systemtheorie« (2011 [2002]). Im Kapitel »Operative Geschlossenheit« bin ich auf eine Passage gestoßen, die man als direkten Kommentar auf den absichtlich herbeigeführten Absturz der Germanwings-Maschine am 24. März 2015 lesen kann:
Sonntag, 29. März 2015
Wie viele Soziologen sind nötig um eine Glühbirne auszuwechseln?
a) ...keinen. Die
Glühbirne ist der Repräsentant eines repressiven und ausbeuterischen Systems.
Es wird sich deswegen kein Soziologe finden, der dieses System durch
Affirmation unterstützt - was in diesem Fall bedeuten würde die Glühbirne auszuwechseln.
Die Arbeit bleibt also wie immer am einfachen Arbeiter von der Straße hängen.
Montag, 9. März 2015
Die Dummheit der Soziologen
„Wenn man etwas nicht definieren kann, hat man keine formale, rationale Kenntnis von seiner Existenz. Ebensowenig kann man dann einem anderen wirklich mitteilen, was es ist. Es besteht tatsächlich kein formaler Unterschied zwischen der Unfähigkeit zu definieren und Dummheit.“
Robert M. Pirsig
Dieses Zitat aus
Pirsigs sehr empfehlenswertem Buch »Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten« (2013
[1974], S. 217f.) bringt für mich am besten zum Ausdruck, was Ludwig
Wittgenstein vermutlich mit seinem berühmten Schlussparagraphen im »Tractatus logico-philosophicus« (2003 [1922]) sagen wollte. Dieser lautet:
„§ 7 Wovon man nicht reden kann, davon muss man schweigen.“
Worüber man
nicht reden kann, existiert nur in der eigenen Wahrnehmung oder der eigenen Vorstellung.
Das Wahrgenommene bleibt ohne Sprache inkommunikabel. Die große Errungenschaft
der Sprache besteht darin, dass man nicht nur seine eigene Aufmerksamkeit auf
einen Sachverhalt lenken kann, sondern auch die der Kommunikationspartner. Ohne
Sprache kann man im Umkehrschluss seine Kommunikationspartner auch nicht auf
einen bestimmten Sachverhalt aufmerksam machen, den man selber wahrzunehmen
glaubt. Sozial existiert dieser Sachverhalt damit nicht, weil es nichts Mitteilbares
gibt, woran der Kommunikationspartner anschließen könnte. Zugleich wird man nie
erfahren, ob es sich bei dem Wahrgenommenen nicht vielleicht nur um eine
Einbildung handelt oder ob es andere auch beobachten.
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Montag, 16. Februar 2015
Die Soziologie und die Tragik der helfenden Berufe
Im letzten Jahr hatte ich einen
Erklärungsansatz für die gegenwärtige Krise der Soziologie und für die geringe
öffentliche Aufmerksamkeit der Soziologie vorgestellt. Die Grundthese war und
ist, dass die Soziologie durch den Anspruch, die Gesellschaft analysieren und
verändern zu wollen, eine widersprüchliche Selbstbeschreibung konstruiert. Bei dieser Selbstbeschreibung bleibt unklar, ob die Soziologie dem
Wissenschaftssystem oder dem System sozialer Hilfe zugeordnet werden kann.
Diese These wurde vor dem Hintergrund der Theorie funktionaler Differenzierung
Niklas Luhmanns aufgestellt, wonach die moderne Gesellschaft in verschiedene
Sub- bzw. Funktionssysteme wie Wirtschaft, Politik und eben auch Wissenschaft
und helfende Systeme differenziert ist (vgl. Luhmann 1997). Jedes dieser
Funktionssysteme erfordert es, dass die professionellen Leistungserbringer
jeweils eine andere Leistungsrolle annehmen. Politiker sind keine Priester, Priester sind keine Wissenschaftler, Wissenschaftler sind keine Künstler, Künstler sind keine Politiker usw. Dementsprechend präzisieren sich
auch die Erwartungen der potentiellen Leistungsempfänger. Wer Bauchschmerzen
hat, geht nicht zum Biologen, sondern zum Arzt. Umso mehr muss mit der Zeit
auch eine Selbstbeschreibung auffallen, die eine unklare oder widersprüchliche Leistungsrolle
vermittelt. Man geht nicht gern zu Leuten, bei denen nicht klar ist, ob sie
einen behandeln oder bekehren wollen. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass immer
weniger Menschen eine unklar oder widersprüchlich definierte Leistung
nachfragen. Daraus kann etwas entstehen, was ich Spirale wechselseitiger
Nicht-Beachtung bezeichnet habe. Ein Angebot wird
immer weniger nachgefragt bis es irgendwann komplett verschwindet, weil niemand
mehr daran interessiert ist. Die Widersprüchlichkeit der soziologischen Selbstbeschreibung steigert ihre Ablehnungswahrscheinlichkeit. Weil die Ablehnungswahrscheinlichkeit durch das eigene Verhalten gesteigert wird, handelt es sich dabei um ein Risiko (vgl. Luhmann 2005 [1990]). Aus dem Anspruch, die Gesellschaft verändern zu wollen, ergibt sich
für die Soziologie allerdings noch ein ganz anderes Risiko. Um dieses Risiko
soll es im Folgenden gehen.
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Sonntag, 1. Februar 2015
Wissen, Massenmedien und partizipierendes Bewusstsein
„Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“
Dieser berühmte Satz von Niklas
Luhmann stammt aus seinem Buch "Die Realität der Massenmedien" (2004 [1995], S. 9) und
sollte vermutlich die zentrale Rolle der Massenmedien in der modernen
Gesellschaft betonen. Er suggeriert, dass die Massenmedien heute die einzige Informationsquelle sind, mit
deren Hilfe man sich über die Welt informieren kann. Dieses Zitat vermittelt allerdings in zweierlei Hinsicht ein verzerrtes Bild über die Funktion der Massenmedien in der modernen Gesellschaft.
Zum einen wird die Funktion der Massenmedien maßlos übertrieben. Denn man erlangt
nicht sein vollständiges Wissen über die Welt aus den Massenmedien. Sicherlich
werden einem über die Massenmedien Informationen aus Bereichen zugänglich
gemacht, die einen über persönliche Kontakte kaum erreichen würden. Anderseits
liefern die Massenmedien keine Informationen über den persönlichen
Nahbereich, in dem man Beteiligungs- und Gestaltungsmöglichkeiten hat. Das gilt
für das Privatleben ebenso wie für das Berufsleben. Über die Personen mit denen
man täglichen Umgang hat, erfährt man – außer man hat selbst einen Beruf im
Showbusiness – nichts aus den Massenmedien. Informationen über sie erhält man vorwiegend
durch die Interaktion mit ihnen. Diese Überlegung führt zum zweiten Aspekt des
verzerrten Bildes, das dieses Zitat suggeriert. Das Zitat ist nicht nur eine
Aussage über die Funktion der Massenmedien in der modernen Gesellschaft,
sondern zugleich auch eine Aussage darüber, wie Wissen heute produziert und
verteilt wird. Ich möchte im Folgenden zunächst auf die wissenssoziologische
Hintergrundannahme dieses Zitats eingehen. Diese Annahme korrespondiert mit
einer von zwei existentiellen Grundhaltungen, mit denen Menschen ihrer Umwelt entgegentreten
können. Im zweiten Schritt werden diese beiden Grundhaltungen, die als partizipierendes und nicht-partizipierendes Bewusstsein bezeichnet werden, skizziert. Bestimmte Erfahrungen
zusammen mit dem Fehlen anderer Erfahrungen können die Bildung einer der beiden
Grundhaltungen begünstigen. Auf der Grundlage dieser Überlegungen wird in einem dritten Schritt ein erneuter Blick auf die gesellschaftliche Funktion der Massenmedien
geworfen.
Freitag, 23. Januar 2015
Leben und Macht
Die Paradoxie den menschlichen Lebens besteht darin, dass man, um die
Ziele zu erreichen, die man erreichen will, Dinge tun muss, die man nicht will,
und dass die Dinge, die man tun will, nicht zwingend dazu beitragen, die Ziele
zu erreichen, die man erreichen will.
In diesem Paradox liegt der
Grund, warum die Menschen, die nichts tun, was sie nicht wollen, und die, die
nur das tun, was sie tun wollen und trotzdem nicht das erreichen, was sie
erreichen wollen, von fremden Mächten sprechen,
obwohl es nur ihre Einstellung ist, die ihnen im Weg steht, um das zu
erreichen, was sie wollen.
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