Posts mit dem Label Dissens werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Dissens werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Sonntag, 22. Januar 2017

Tipps für einen gelingenden Diskurs



Im Jahr 2016 wurde das postfaktische Zeitalter ausgerufen. Da »postfaktisch« in politischen Debatten vor allem als Kampfbegriff dient, ist es sehr zweifelhaft, ob damit eine treffende Gegenwartsdiagnose gestellt wurde. An der Beobachtung, dass sich viele Menschen heute stärker auf ihre Gefühle verlassen als auf die Fakten, offenbart sich die Aufklärung möglicherweise selbst als Mythos. Das betrifft zumindest die Vorstellungen von Aufklärung, Vernunft und Wahrheit, die unter Politikern, Intellektuellen und vielen Journalisten geteilt werden. Maßen sie sich doch an, die Aufgabe der Wissenschaft und der Öffentlichkeit an sich zu reißen und die offizielle Sicht der Regierung als einzig gültige Wahrheit auszugeben. Wie man allerdings auf die Idee kommen kann, dass ausgerechnet in der Kommunikation zwischen Politikern und Bürgern die reine Vernunft herrschen würde, bleibt nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts schleierhaft. Man darf dies wohl eher als Hinweis lesen, wie mangelhaft einige Politiker über politische Prozesse aufgeklärt sind. Politische Kommunikation hat nicht Wahrheitsfindung zum Ziel, sondern die Herstellung kollektiv bindender Entscheidungen. Verlässliche Informationen sind dafür selbstverständlich äußerst wünschenswert. Notwendig sind sie jedoch nicht. Das hat die Geschichte oft genug gezeigt.

Doch trotz aller politischen Verzerrungen, wird mit dem Begriff »postfaktisch« auf ein ernstzunehmendes Problem aufmerksam gemacht. Ob sich viele Menschen tatsächlich zunehmend mehr auf ihre Gefühle verlassen, sei einmal dahin gestellt. Trotzdem kann man nicht ignorieren, dass man es in den gegenwärtigen politischen Debatten zum Teil mit Personen zu tun hat, die sich nicht mehr durch Argumente überzeugen lassen. Unter dieser Voraussetzung ist es nur noch schwer möglich einen Diskurs zu führen und zu kollektiv bindenden Entscheidungen zu kommen. Umso dringlicher wird die Frage, wie sich heute noch ein Diskurs führen lässt?

Samstag, 24. Oktober 2015

Die Flüchtlingskrise: Der Anfang vom Ende des deutschen Wohlfahrtsstaates?


Die Flüchtlingskrise erregt nach wie vor die Gemüter in Deutschland. Doch während man in den Massenmedien und in der Politik auf Bundesebene mehrheitlich noch glaubt »wir schaffen das«, macht sich auf der Ebene der Lokalpolitik bereits Ernüchterung breit. Denn so einfach, wie gedacht, ist die Unterbringung und Verpflegung der ankommenden Flüchtlinge doch nicht. Zu Beginn der Flüchtlingskrise glaubte man noch, man könne die Integration von hunderttausenden, vielleicht sogar Millionen Menschen mal eben aus der Portokasse bezahlen. Jetzt stellt sich heraus, dass die Kapazitäten bereits bei der Unterbringung erschöpft sind.

Es lässt sich kaum mehr verbergen. Die Situation wurde im Sommer von Frau Merkel falsch eingeschätzt als sie am 4. September 2015 die Entscheidung traf, die Flüchtlinge aus Ungarn via Österreich nach Deutschland zu holen – eine Entscheidung, der bis heute eine demokratische Legitimation fehlt und weder durch deutsches Recht noch europäische Verträge gedeckt ist. Wie Frau Merkel auf die Idee gekommen ist, dass es keine Grenzen mehr gebe, bleibt bis heute schleierhaft. Damit geriet die Situation außer Kontrolle. Soweit es Deutschland betrifft, reagierte Frau Merkel jedoch nicht auf einen Notstand, sondern hat mit ihrer Entscheidung erst einen Notstand herbeigeführt, der nun auch noch als Begründung dient sich über weitere Gesetze hinweg zu setzen. Für den Rechtsstaat könnte der Schaden, den Frau Merkel angerichtet hat, kaum größer sein. 

Nun würden viele gerne die Notbremse ziehen. Aber noch ist die Politik nicht bereit einen Aufnahmestopp zu verhängen. Besonders die Kanzlerin tut so, als hätte man es bei den Flüchtlingsströmen mit einer Art Naturgewalt zu tun, gegen die die Politik machtlos sei. Ehemals glaubte man an die sozialtechnologische Gestaltungsmacht der Politik. Von diesem Glauben ist nicht mehr viel übrig geblieben. Machtlosigkeit wird in Form der Unterlassung zum neuen Leitprinzip der deutschen Politik. Es gibt keine Alternative mehr als sich den Umständen zu fügen. Widerstand ist zwecklos. Das Problem daran ist, dass es Frau Merkel nicht einmal versucht. Sie kapituliert von vornherein vor den Umständen. Gerade das unterstreicht ihre Machtlosigkeit und ist zugleich der politische Offenbarungseid. Deutschland ist in den Augen von Frau Merkel offenbar nur noch ein Korken auf dem Ozean der Weltgesellschaft, der sich treiben lässt. Damit hätte Deutschland seine Souveränität praktisch aufgegeben – und es gibt nicht wenige Anzeichen, die dafür sprechen. 

Sonntag, 31. Mai 2015

Über Sthenographie. Zum Problem von Problembegriffen


Über Sthenographie habe ich, verteilt über meine bisherigen Texte, schon einige Bemerkungen gemacht [1]. Mit »Sthenographie« ist eine problemfokussierte Betrachtungsweise gemeint. Probleme werden heute sprachlich zumeist in die Form einer Paradoxie gebracht. Sthenographie zeichnet sich dadurch aus, dass die konstruierte Paradoxie nicht entfaltet wird, sondern nur offen zur Betrachtung dargeboten wird. Paradoxien sind jedoch logische Anomalien. Sie verwirren den Geist, weil sie Widersprüchliches behaupten. Es kann ja nicht sein, dass Gegenteiliges zugleich gilt. Dies macht die Präsentation einer Paradoxien zu einer Darstellungsmethoden, die beim geneigten Publikum eine Menge Schaden anrichten kann. 

Bisher habe ich mich bei der Rede von Sthenographie in meinen Texten vorwiegend auf sozialwissenschaftliche Problembeschreibungen konzentriert, deren Zweck es ist bei den Adressaten einen politischen Handlungsdruck zu erzeugen. Häufig werden die Probleme dann in einer Art säkularisierten Theodizee-Frage formuliert. Statt »Wie kann Gott dieses ganze Leid auf der Welt zulassen?« heißt es nun »Wie kann die Gesellschaft dieses ganze Leid auf der Welt zulassen?«. Doch anstatt dann Lösungen für die kritisierten Probleme vorzustellen, belässt man es beim Offenlegen der Paradoxie. Die Gesellschaft ist schuld. So einfach ist das. Einige werden sich von solchen Argumentationsfiguren sicherlich angesprochen fühlen und denken, wenn so viele Menschen auf der Welt leiden, wie kann es mir selbst dann gut gehen? Da man im Alltagsverständnis ja selbst irgendwie Teil der Gesellschaft ist, wird man ratlos und mit einer Menge Schuldgefühlen allein gelassen. Und bevor es den anderen Menschen nicht gut geht, kann bzw. darf es einem selbst auch nicht gut gehen. 

Für die seelische Gesundheit sind solche Denkfiguren sicherlich nicht förderlich. Aber was kann man in solch einer Situation tun? Da man selbst nichts tun kann, muss die Politik ran. In ihrer Macht liegt es die Gesellschaft zu kontrollieren - so glaubt man zumindest. Und Politiker haben ja heute immer ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte ihrer Bürger. Man kann sogar unerfüllbare Forderungen an sie herantragen. Da die Politiker um jede Stimme kämpfen müssen, sind die meisten heute zu schwach auch mal klar zu sagen, was nicht in ihrer Macht liegt. Dann lässt es sich umso besser unerfüllbare Forderungen stellen. Das entlastet zum einen. Zum anderen können sich die besorgten Bürger dann wieder an dem süßlichen Gift der Paradoxie berauschen und ihren Sorgen neue Nahrung geben. Im schaurig-schönen Hochgefühl der Angstgemeinschaftlichkeit lässt es sich dann wieder umso besser neue unerfüllbare Forderungen aufstellen. 

Der Teufelskreis ist geschlossen. Mit der Lösung der unlösbaren Probleme dürfen sich dann die Politiker rumschlagen. Und wenn sie es nicht schaffen, kann man sie wunderbar der Lüge bezichtigen. Der postmoderne Erstarrungstanz um das goldene Kalb der Paradoxie hat begonnen. Bei diesem Spiel ohne Gewinner handelt es sich nur um die populärste Form der Sthenographie. In diesem Beitrag soll es um Sthenographie in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen gehen.