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Mittwoch, 14. Dezember 2016

Postfaktisch. Über ein Unwort


Wer hätte das gedacht?! »Postfaktisch« ist von der Gesellschaft für Deutsche Sprache zum Wort des Jahres 2016 gekürt worden. Schon aufgrund der inflationären Verwendung dieses Wortes in den Medien wäre der Titel »Unwort des Jahres« passender gewesen. Dies gilt noch mehr, wenn man sich anschaut, wie das Wort gebraucht wird. Von postfaktisch wird gesprochen, wenn Menschen mehr auf ihre Gefühle vertrauen als auf Fakten. Dies sei vor allem in politischen Debatten ein zunehmendes Problem geworden. Einige Beobachter, unter anderem die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, sehen darin einen tiefgreifenden Wandel. Diesem Wandel wollte auch die Gesellschaft für Deutsche Sprache durch die Wahl zum Wort des Jahres Rechnung tragen.

Das Wort »postfaktisch« wurde vom englischen Wort »post-truth« entlehnt. Man könnte das für eine sehr freie Übersetzung, um nicht zu sagen Gleichsetzung, von Wahrheit (truth) mit Fakten halten. Das Präfix »post-« bedeutet so viel wie »nach-«. Mit diesem einen Wort werden also zwei Unterschiede auf einmal markiert. Zum einen wird zwischen Wahrheit und Gefühlen unterschieden, zum anderen zwischen früher und heute. Lässt man sich »postfaktisch« auf der Zunge zergehen, dann soll damit behauptet werden, dass wir oder zumindest ein Großteil der Menschen heute gleichsam »nach der Wahrheit« oder »in der Unwahrheit« leben würden. Statt von Fakten würden sich die Menschen heute von Gefühlen leiten lassen. Dieser Umstand wird zudem negativ bewertet. Denn wer sich von Gefühlen leiten lässt, handelt unvernünftig. Wer unvernünftig handelt, weicht von der Norm ab und gefährdet das soziale Miteinander. Das gilt insbesondere für Politik. Unausgesprochen ist also noch ein dritter, moralischer Unterschied mit im Spiel, der sich in Verbindung mit dem zeitlichen Unterschied als Sehnsucht nach der guten alten Zeit verstehen lässt, als die Menschen ihr Handeln noch von Fakten leiten ließen. So einfach ist es heute offensichtlich nicht mehr.

Donnerstag, 16. April 2015

Mensch und Technik. Gedanken zum Absturz der Germanwings-Maschine


Ich lese aktuell von Niklas Luhmann seine Vorlesung »Einführung in die Systemtheorie« (2011 [2002]). Im Kapitel »Operative Geschlossenheit« bin ich auf eine Passage gestoßen, die man als direkten Kommentar auf den absichtlich herbeigeführten Absturz der Germanwings-Maschine am 24. März 2015 lesen kann:

Sonntag, 1. Februar 2015

Wissen, Massenmedien und partizipierendes Bewusstsein


„Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir  durch die Massenmedien.“ 


Dieser berühmte Satz von Niklas Luhmann stammt aus seinem Buch "Die Realität der Massenmedien" (2004 [1995], S. 9) und sollte vermutlich die zentrale Rolle der Massenmedien in der modernen Gesellschaft betonen. Er suggeriert, dass die Massenmedien heute die einzige Informationsquelle sind, mit deren Hilfe man sich über die Welt informieren kann. Dieses Zitat vermittelt allerdings in zweierlei Hinsicht ein verzerrtes Bild über die Funktion der Massenmedien in der modernen Gesellschaft. Zum einen wird die Funktion der Massenmedien maßlos übertrieben. Denn man erlangt nicht sein vollständiges Wissen über die Welt aus den Massenmedien. Sicherlich werden einem über die Massenmedien Informationen aus Bereichen zugänglich gemacht, die einen über persönliche Kontakte kaum erreichen würden. Anderseits liefern die Massenmedien keine Informationen über den persönlichen Nahbereich, in dem man Beteiligungs- und Gestaltungsmöglichkeiten hat. Das gilt für das Privatleben ebenso wie für das Berufsleben. Über die Personen mit denen man täglichen Umgang hat, erfährt man – außer man hat selbst einen Beruf im Showbusiness – nichts aus den Massenmedien. Informationen über sie erhält man vorwiegend durch die Interaktion mit ihnen. Diese Überlegung führt zum zweiten Aspekt des verzerrten Bildes, das dieses Zitat suggeriert. Das Zitat ist nicht nur eine Aussage über die Funktion der Massenmedien in der modernen Gesellschaft, sondern zugleich auch eine Aussage darüber, wie Wissen heute produziert und verteilt wird. Ich möchte im Folgenden zunächst auf die wissenssoziologische Hintergrundannahme dieses Zitats eingehen. Diese Annahme korrespondiert mit einer von zwei existentiellen Grundhaltungen, mit denen Menschen ihrer Umwelt entgegentreten können. Im zweiten Schritt werden diese beiden Grundhaltungen, die als partizipierendes und nicht-partizipierendes Bewusstsein bezeichnet werden, skizziert. Bestimmte Erfahrungen zusammen mit dem Fehlen anderer Erfahrungen können die Bildung einer der beiden Grundhaltungen begünstigen. Auf der Grundlage dieser Überlegungen wird in einem dritten Schritt ein erneuter Blick auf die gesellschaftliche Funktion der Massenmedien geworfen.