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Sonntag, 22. Januar 2017

Tipps für einen gelingenden Diskurs



Im Jahr 2016 wurde das postfaktische Zeitalter ausgerufen. Da »postfaktisch« in politischen Debatten vor allem als Kampfbegriff dient, ist es sehr zweifelhaft, ob damit eine treffende Gegenwartsdiagnose gestellt wurde. An der Beobachtung, dass sich viele Menschen heute stärker auf ihre Gefühle verlassen als auf die Fakten, offenbart sich die Aufklärung möglicherweise selbst als Mythos. Das betrifft zumindest die Vorstellungen von Aufklärung, Vernunft und Wahrheit, die unter Politikern, Intellektuellen und vielen Journalisten geteilt werden. Maßen sie sich doch an, die Aufgabe der Wissenschaft und der Öffentlichkeit an sich zu reißen und die offizielle Sicht der Regierung als einzig gültige Wahrheit auszugeben. Wie man allerdings auf die Idee kommen kann, dass ausgerechnet in der Kommunikation zwischen Politikern und Bürgern die reine Vernunft herrschen würde, bleibt nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts schleierhaft. Man darf dies wohl eher als Hinweis lesen, wie mangelhaft einige Politiker über politische Prozesse aufgeklärt sind. Politische Kommunikation hat nicht Wahrheitsfindung zum Ziel, sondern die Herstellung kollektiv bindender Entscheidungen. Verlässliche Informationen sind dafür selbstverständlich äußerst wünschenswert. Notwendig sind sie jedoch nicht. Das hat die Geschichte oft genug gezeigt.

Doch trotz aller politischen Verzerrungen, wird mit dem Begriff »postfaktisch« auf ein ernstzunehmendes Problem aufmerksam gemacht. Ob sich viele Menschen tatsächlich zunehmend mehr auf ihre Gefühle verlassen, sei einmal dahin gestellt. Trotzdem kann man nicht ignorieren, dass man es in den gegenwärtigen politischen Debatten zum Teil mit Personen zu tun hat, die sich nicht mehr durch Argumente überzeugen lassen. Unter dieser Voraussetzung ist es nur noch schwer möglich einen Diskurs zu führen und zu kollektiv bindenden Entscheidungen zu kommen. Umso dringlicher wird die Frage, wie sich heute noch ein Diskurs führen lässt?

Mittwoch, 14. Dezember 2016

Postfaktisch. Über ein Unwort


Wer hätte das gedacht?! »Postfaktisch« ist von der Gesellschaft für Deutsche Sprache zum Wort des Jahres 2016 gekürt worden. Schon aufgrund der inflationären Verwendung dieses Wortes in den Medien wäre der Titel »Unwort des Jahres« passender gewesen. Dies gilt noch mehr, wenn man sich anschaut, wie das Wort gebraucht wird. Von postfaktisch wird gesprochen, wenn Menschen mehr auf ihre Gefühle vertrauen als auf Fakten. Dies sei vor allem in politischen Debatten ein zunehmendes Problem geworden. Einige Beobachter, unter anderem die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, sehen darin einen tiefgreifenden Wandel. Diesem Wandel wollte auch die Gesellschaft für Deutsche Sprache durch die Wahl zum Wort des Jahres Rechnung tragen.

Das Wort »postfaktisch« wurde vom englischen Wort »post-truth« entlehnt. Man könnte das für eine sehr freie Übersetzung, um nicht zu sagen Gleichsetzung, von Wahrheit (truth) mit Fakten halten. Das Präfix »post-« bedeutet so viel wie »nach-«. Mit diesem einen Wort werden also zwei Unterschiede auf einmal markiert. Zum einen wird zwischen Wahrheit und Gefühlen unterschieden, zum anderen zwischen früher und heute. Lässt man sich »postfaktisch« auf der Zunge zergehen, dann soll damit behauptet werden, dass wir oder zumindest ein Großteil der Menschen heute gleichsam »nach der Wahrheit« oder »in der Unwahrheit« leben würden. Statt von Fakten würden sich die Menschen heute von Gefühlen leiten lassen. Dieser Umstand wird zudem negativ bewertet. Denn wer sich von Gefühlen leiten lässt, handelt unvernünftig. Wer unvernünftig handelt, weicht von der Norm ab und gefährdet das soziale Miteinander. Das gilt insbesondere für Politik. Unausgesprochen ist also noch ein dritter, moralischer Unterschied mit im Spiel, der sich in Verbindung mit dem zeitlichen Unterschied als Sehnsucht nach der guten alten Zeit verstehen lässt, als die Menschen ihr Handeln noch von Fakten leiten ließen. So einfach ist es heute offensichtlich nicht mehr.

Samstag, 1. Oktober 2016

Der soziale Abstieg der deutschen Sozialwissenschaften. Eine Provokation


Wie er meinem Lebenslauf entnehmen könne, sei ich bereits vollständig in das akademische Leben eingegliedert, werbe immer wieder erfolgreich Forschungsgelder ein, habe lange an verschiedenen Hochschulen unterrichtet, publiziere regelmäßig, halte international Vorträge, arbeite an einem Buch, organisiere aktuell eine internationale Konferenz. Nur eben immer wieder ohne einen Cent Gehalt. 


Die Sozial- und Geisteswissenschaften in Deutschland stecken nicht erst seit gestern in der Krise. Sie siechen schon seit vielen Jahren in der gesellschaftlichen Irrelevanz vor sich hin. Dies betrifft Theorieentwicklung und Forschungspraxis, die es kaum noch vermögen eine nennenswerte Außenwirkung zu erzielen. Für eine Wissenschaft, die die Expertise für zwischenmenschliche Beziehungen für sich an Anspruch nimmt, ist das ziemlich merkwürdig, dass sie den Menschen nicht mal mehr erklären kann, warum man sie überhaupt noch braucht. Nicht dass sie überflüssig wäre. Aber auch das vermeintlich Notwendige sollte begründet werden, um akzeptiert zu werden. Nichts ist mehr gott- oder naturgegeben, nichts ist mehr selbstverständlich. Das wird gerade von Sozial- und Geisteswissenschaftlern immer wieder betont. Leider wird das sofort vergessen, sobald es um sie selbst geht. Viele von ihnen halten ihr Fach für eine unhinterfragte Selbstverständlichkeit. Wer jedoch nicht um Akzeptanz wirbt, darf auch keine erwarten. Wer es unterlässt, seine Behauptungen zu begründen, weiß es entweder nicht besser oder hat etwas zu verbergen. Manchmal fällt auch beides zusammen. Dass es unterlassen wird, stärker für die öffentliche Aufmerksamkeit und Akzeptanz der Sozial- und Geisteswissenschaften zu werben, liegt möglicherweise daran, dass man verbergen muss, dass man nicht weiß, wie das geht.

Trotz dieses Legitimationsproblems wird an den deutschen Universitäten eine relativ hohe Zahl an Sozial- und Geisteswissenschaftlern ausgebildet. Nur ein Bruchteil wird aufgrund der wenigen Stellen seine Karriere in Forschung und Lehre fortsetzen können. Wo der große Rest auf dem Arbeitsmarkt unterkommen soll, interessiert niemanden. Im Lehr- und Forschungsbetrieb wird diese Frage so gut wie nicht gestellt. Da wird höchstens mal auf die allgemein niedrige Arbeitslosenquote unter Akademikern verwiesen. Demnach braucht man sich also keine Sorgen machen. Darüber hinaus beruhigen sich nicht wenige mit der Erwartung, dass die Sozial- und Geisteswissenschaften nur noch den Nachwuchs für den deutschen Staatsbetrieb »Universität« ausbilden sollen. Viele Studenten und akademische Mitarbeiter halten das schon für ein ungeschriebenes Naturgesetz. Auch wenn dem nicht so ist, sind die Karriereerwartungen derzeit sehr eindimensional ausgerichtet. Im Anbetracht der wenigen Stellen im Universitätsbetrieb bietet das eigentlich genug Anlass zur Sorge.

Politisch gewollt wird ein Überangebot an mehr oder weniger gut qualifizierten Arbeitskräften geschaffen. Im Sinne der Erhöhung des Bildungsniveaus und Angleichung der Partizipationschancen mag man das zunächst begrüßen. Das hat jedoch auch seine Schattenseiten. Denn das Arbeitskräfteüberangebot erhöht den Konkurrenzdruck auf jeden einzelnen Absolventen. Wenn darüber hinaus alle dasselbe können, dann spielt die persönliche Leistung bei der Auswahl eines Bewerbers keine Rolle mehr, denn alle liefern dasselbe ab. Damit trotzdem eine Entscheidung für einen Bewerber getroffen werden kann, muss man sich stattdessen an sachfremden Kriterien orientieren. Gerecht ist das nicht. Chancengleichheit, bis zur letzten Konsequenz durchgespielt, führt also gar nicht zu mehr Gerechtigkeit, sondern erhöht sogar noch die Ungerechtigkeiten. Am Beispiel der Universität als Arbeitgeber zeigt sich diese Dialektik der Chancengleichheit derzeit sehr deutlich. Steht dem Überangebot an Arbeitskräften dann noch nicht einmal eine entsprechende Nachfrage durch offene Arbeitsstellen gegenüber, muss man kein Prophet sein und auch keine groß angelegten Untersuchungen durchführen, um zu ahnen, dass sich ein Großteil der Studenten direkt in die Arbeitslosigkeit qualifiziert. Wenn die beruflichen Perspektiven außerhalb der Wissenschaft fehlen, dann wird durch den Arbeitskräfteüberschuss das akademische Prekariat erst geschaffen, das heute so häufig beklagt wird

In letzter Zeit konnte man einige Erfahrungsberichte von Betroffenen lesen, die mit der unangenehmen Erkenntnis konfrontiert wurden, dass das, was sie im Studium und in ihrer weiteren akademischen Karriere gelernt haben, außerhalb der Universitäten und Forschungsinstitute kaum etwas wert ist. Besonders bitter ist diese Erkenntnis, wenn sie sich erst nach der Promotion einstellt, da an diesem Punkt der Karriere bereits so viel Lebenszeit und persönliches Engagement investiert wurde, dass man nicht einfach neu anfangen kann. Liest man jedoch diese Erfahrungsberichte, kann man den Eindruck gewinnen, dass vielen akademischen Mitarbeitern früher oder später trotzdem nichts anderes übrig bleiben wird.

Mittwoch, 3. Februar 2016

Ironie der deutschen Geschichte



Eine kritisch-aggressive Haltung ohne reale Substanz eines Gegners schlägt fast automatisch in einen Herrschaftsanspruch um, der von der Illusion und der künstlichen Erzeugung der alten Gegnerschaft lebt.
Helmut Schelsky


Ein Gespenst geht um in Deutschland – das Gespenst des Nationalsozialismus. Alle guten Mächte in Deutschland haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dieses Gespenst verbündet.

Diesen Eindruck kann man zumindest bekommen, wenn man sich die Diskussion über die Flüchtlingskrise und die Vorfälle vor dem Kölner Dom in der Silvesternacht anschaut. Sie erinnert an eine Geisterjagd, denn es ging dabei nicht um Flüchtlinge, sondern um Deutschland. Demnach gilt es, ankommende Flüchtlinge vor dem »dunklen« Deutschland zu beschützen. Dieses »dunkle« Deutschland steht für Rassismus und Gewalttätigkeit. Das ist es auch, was heute im Wesentlichen mit dem Nationalsozialismus assoziiert wird. Ideologische Feinheiten spielen schon längst keine Rolle mehr. Alles, was auch nur im Ansatz rassistisch, nationalistisch, autoritär oder gewaltbereit erscheint, wird heute in Deutschland sofort in die Nähe des Nationalsozialismus gerückt. Ob die Befürchtung berechtigt ist oder nicht, spielt keine Rolle. Was zählt, ist das Gefühl, dass es so sein könnte. Es herrscht ein gefühliger Generalverdacht.

Sonntag, 20. Dezember 2015

Der Islamische Staat - Organisation oder Bewegung?


Auf dem sozialwissenschaftlichen Portal Soziopolis und dem Sozialtheoristen-Blog fand vor einiger Zeit eine Diskussion über einen kurzen Text des Bielefelder Soziologen Stefan Kühl statt, in dem er die These aufstellt, dass der Islamische Staat durch »Verorganisierung« leichter bekämpfbar wird. Da ich im August diesen Jahres auf meinem Blog selbst einen Artikel über die Gemeinsamkeiten zwischen den Phänomenen Amok und Terror veröffentlicht habe, im Zuge dessen auch der Islamische Staat gestreift wurde, habe ich die Diskussion selbstverständlich verfolgt. Außerdem versuchte Kühl die Systemtheorie Niklas Luhmanns in Anschlag zu bringen, um den Islamischen Staat zu beobachten. Das versprach zunächst eine interessante Diskussion. Das Ergebnis fiel leider ziemlich ernüchternd aus. Daher möchte ich im Folgenden einige Anmerkungen machen, die zum einen den Zusammenhang von Organisation und sozialer Adresse und zum anderen das Phänomen Islamischer Staat betreffen. Bevor ich dazu komme, stelle ich Kühls These kurz vor. 

Donnerstag, 5. November 2015

Sind Nazi-Vergleiche ein Tabu in Deutschland?


Anlässlich einer Rede vom Organisator der Pegida-Demonstrationen Lutz Bachmann am 2. November 2015, in der er Justizminister Heiko Maas mit Joseph Goebbels verglich, gab der Münchener Soziologe Armin Nassehi dem Radiosender NDR Kultur am Tag darauf ein Interview zu diesem Vorfall. Was mich bei diesem Interview ins Stutzen gebracht hat, war die Prämisse, unter der das Interview geführt wurde. Die Moderatorin leitet es mit der scheinbar selbstverständlichen Behauptung ein, dass Nazi-Vergleiche in Deutschland ein Tabu seien. Schaut man sich jedoch den Verlauf vieler öffentlicher Debatten an, dann kommen mir erhebliche Zweifel, ob Nazi-Vergleiche in Deutschland wirklich tabuisiert sind.

Freitag, 24. Juli 2015

Hat sich die Soziologie in einem double bind verfangen? - Zum Dritten


Am 10.10.2014 habe ich beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie im Rahmen der Ad-Hoc-Gruppe „Krisen der Kommunikation. Wo bleibt der soziologische Diskurs?” einen Vortrag mit dem Titel „Hat sich die Soziologie in einem double bind verfangen?“ gehalten. Die Ad-Hoc-Gruppe wurde von den Machern des Soziologiemagazins veranstaltet. Die komplette Veranstaltung wurde damals auf Video mitgeschnitten. Nun wurden die Videos auf youtube veröffentlicht. Hier ist der Mitschnitt zu meinem Vortrag:

Montag, 16. Februar 2015

Die Soziologie und die Tragik der helfenden Berufe


Im letzten Jahr hatte ich einen Erklärungsansatz für die gegenwärtige Krise der Soziologie und für die geringe öffentliche Aufmerksamkeit der Soziologie vorgestellt. Die Grundthese war und ist, dass die Soziologie durch den Anspruch, die Gesellschaft analysieren und verändern zu wollen, eine widersprüchliche Selbstbeschreibung konstruiert. Bei dieser Selbstbeschreibung bleibt unklar, ob die Soziologie dem Wissenschaftssystem oder dem System sozialer Hilfe zugeordnet werden kann. Diese These wurde vor dem Hintergrund der Theorie funktionaler Differenzierung Niklas Luhmanns aufgestellt, wonach die moderne Gesellschaft in verschiedene Sub- bzw. Funktionssysteme wie Wirtschaft, Politik und eben auch Wissenschaft und helfende Systeme differenziert ist (vgl. Luhmann 1997). Jedes dieser Funktionssysteme erfordert es, dass die professionellen Leistungserbringer jeweils eine andere Leistungsrolle annehmen. Politiker sind keine Priester, Priester sind keine Wissenschaftler, Wissenschaftler sind keine Künstler, Künstler sind keine Politiker usw. Dementsprechend präzisieren sich auch die Erwartungen der potentiellen Leistungsempfänger. Wer Bauchschmerzen hat, geht nicht zum Biologen, sondern zum Arzt. Umso mehr muss mit der Zeit auch eine Selbstbeschreibung auffallen, die eine unklare oder widersprüchliche Leistungsrolle vermittelt. Man geht nicht gern zu Leuten, bei denen nicht klar ist, ob sie einen behandeln oder bekehren wollen. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass immer weniger Menschen eine unklar oder widersprüchlich definierte Leistung nachfragen. Daraus kann etwas entstehen, was ich Spirale wechselseitiger Nicht-Beachtung bezeichnet habe. Ein Angebot wird immer weniger nachgefragt bis es irgendwann komplett verschwindet, weil niemand mehr daran interessiert ist. Die Widersprüchlichkeit der soziologischen Selbstbeschreibung steigert ihre Ablehnungswahrscheinlichkeit. Weil die Ablehnungswahrscheinlichkeit durch das eigene Verhalten gesteigert wird, handelt es sich dabei um ein Risiko (vgl. Luhmann 2005 [1990]). Aus dem Anspruch, die Gesellschaft verändern zu wollen, ergibt sich für die Soziologie allerdings noch ein ganz anderes Risiko. Um dieses Risiko soll es im Folgenden gehen.

Mittwoch, 31. Dezember 2014

Zeit und Leben


Zum Abschluss des Jahres gibt es noch ein kurzes Fragment, zu dem ich am 24.12.2014 durch die Lektüre eines Artikels zum Thema Beschleunigung inspiriert wurde. Thematisch passt es allerdings besser zum Jahreswechsel, denn dann tritt verstärkt der Fortgang der Zeit ins Bewusstsein und man wird zugleich  Stichwort »gute Vorsätze«  mit seinen eigenen erfüllten und/oder unerfüllten Ambitionen konfrontiert.

Dienstag, 16. Dezember 2014

Genderneutralität und Sprachzerstörung


Aktuell ist das Thema genderneutrale Sprache mal wieder auf allen Onlinemedien präsent. Fast täglich erscheint ein neues Plädoyer für oder gegen genderneutrale Sprache. Das Thema gärt ja schon etwas länger im Untergrund. Im Frühjahr gab es bereits eine kleine Empörungswelle über das Ansinnen nach einer Sprache, die weniger bis gar nicht diskriminierend sei. Ich persönlich hatte ja gehofft, dass danach Ruhe ist und über die kindischen Mätzchen der Befürworter und Gegner sich der Mantel des Schweigens legt. Aus für mich nicht ganz nachvollziehbaren Gründen wird nun dieses typische Sommerloch-Thema wieder hervorgekramt und nochmal richtig breitgetreten und ausgewalzt bis auch die oder der Letzte seinen Senf dazu abgegeben hat. Ich bin mir natürlich darüber bewusst, dass ich mich mit diesem Beitrag nun selbst in die Reihe derer einreihe, die ihren Senf dazu abgeben müssen. Aber es wird Zeit festzustellen: Kinders, langsam nervt es! Auch wenn der folgende Text überwiegend gute Gründe anführt gegen genderneutrale Sprache zu sein, geht es mir nicht darum für oder gegen genderneutrale Sprache Position zu beziehen, sondern warum man die Entscheidung für oder gegen genderneutrale Sprache als solche ablehnen sollte. Als Vorschlag steht sie nun im Raum und fordert Zustimmung oder Ablehnung. Da sich beides auf genderneutrale Sprache bezieht, kommt man wohl oder übel um eine Auseinandersetzung mit ihr nicht herum. 

Donnerstag, 20. November 2014

Soziologen als Mythenjäger


»Wenn man verstehen will, worum es in der Soziologie geht, dann muß man in der Lage sein, in Gedanken sich selbst gegenüberzutreten und seiner selbst als eines Menschen unter anderen gewahr zu werden. Denn die Soziologie beschäftigt sich mit den Problemen der „Gesellschaft“, und zur Gesellschaft gehört auch jeder, der über die Gesellschaft nachdenkt und sie erforscht.« 
Norbert Elias*


Die Fähigkeit, über die Soziologen nach Elias verfügen sollten, ist die Fähigkeit zur Selbstreflexion. Sich selbst als jemand anderes gegenüber zu treten, bedeutet die Voraussetzung zu schaffen, um gewahr zu werden, welchen Eindruck das eigene Verhalten auf andere Menschen macht. Leider ist diese Fähigkeit unter Soziologen, speziell denen, die sich einer Kritischen Soziologie – egal welcher Schule – zurechnen, nicht sehr weit verbreitet. Kritische Theorien bilden zumeist eine gefährliche Kombination von Modellen, die Elias mythisch-magisch und naturwissenschaftlich bezeichnet (vgl. 2014 [1970], S. 16f.). Das mythisch-magische Modell zeichnet sich durch eine naiv-egozentrische Beobachtungsweise aus, das naturwissenschaftlich-mechanistische Modell durch die Beobachtung von Kausalbeziehungen. Beiden Beobachtungsformen ist eine zu starke Reduktion von sozialen, biologischen, chemischen oder physikalischen Sachverhalten auf unidirektionale Wirkungszusammenhänge gemein - im sozialen Bereich durch Reduktion auf Subjekt-Objekt-Beziehungen, in der Natur durch mechanische Ursache-Wirkungsbeziehungen.

Mittwoch, 29. Oktober 2014

Impressionen und Gedanken zum Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie 2014


Vom 06.10. bis 10.10.2014 fand in Trier der Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie statt. Ich hatte das Vergnügen bei der vom Soziologiemagazin organisierten Ad-Hoc-Gruppe „Krise der Kommunikation: Wo bleibt der soziologische Diskurs?“ einen Vortrag zu halten. Im Folgenden möchte ich einige meiner Eindrücke schildern, die ich während der Zeit sammeln konnte. Zwei Bemerkungen dazu vorweg. Zum einen, ich habe zwar Soziologie studiert, verdiene mein Geld aber heute außerhalb der Wissenschaft. Nichts desto trotz habe ich mir einen soziologischen Blick bewahrt und versuche diesen mit meinen beiden Blogs zu kultivieren. Trotzdem hatte ich die Befürchtung, dass ich aufgrund meiner weiteren beruflichen Sozialisation schwer für die Habitus- oder Verhaltensformen der professionellen Soziologen anschlussfähig sein werde. So hatte ich, um dem Abenteuer DGS-Kongress ein persönliches Motto zu geben, bereits auf der siebenstündigen Anfahrt nach Trier angefangen Robert A. Heinleins Roman „Ein Mann in einer fremden Welt“ (Engl. Originaltitel „Stranger in a strange land“) zu lesen. Diese Befürchtung hat sich zum Teil erfüllt, zum Teil aber auch nicht. Dazu im Folgenden mehr. Zum andere bot der DGS-Kongress eine große Anzahl an Veranstaltungen und man musste sich sehr gut überlegen, welche man besuchen möchte. Leider wurde man dabei häufig vor die Wahl gestellt zwischen verschiedenen Veranstaltungen zu wählen, die man alle gerne besucht hätte. So ist einer der wenigen Wermutstropfen des Kongresses, die kaum zu vermeidende Enttäuschung einige vielversprechende Veranstaltungen verpasst zu haben, die man auch gerne besucht hätte. Ich vermute, so wird es den meisten Teilnehmern ergangen sein. An diesem Problem konnte jeder das Komplexitätsproblem, was einen ja immer vor eine Entscheidung stellt, selbst erfahren. Zugleich kann man sich als Einzelner so gut wie kein allgemeines Urteil über den Kongress erlauben, weil man nur einen Bruchteil davon miterleben konnte. Deswegen werde ich aus meiner persönlichen Sicht einige Eindrücke und Gedanken schildern, die mich während des Kongresses bewegt haben. Hier spielen zum einen meine eigenen thematischen Interessen und die sich daran anschließende Auswahl der Veranstaltungen eine Rolle als auch einige Phänomene, die vielleicht nicht nur mir während der Zeit aufgefallen sind. Den soziologischen Blick konnte ich während des Kongresses natürlich nicht abstellen. 

Dienstag, 26. August 2014

Gesellschaftliche Konflikte und die Rolle der Soziologie


„Die soziologische Utopie lebt aufgrund eines eigenen Immunsystems, das mit dem der Gesellschaft inkompatibel ist. So wird die Soziologie zur Krankheit der Gesellschaft und die Gesellschaft zur Krankheit der Soziologie – wenn diese Inkompatibilität nicht theoretisch unter Kontrolle gebracht wird.“ Luhmann 1984, S. 505


Man muss heute 30 Jahre nach der Veröffentlichung von „Soziale Systeme“ ernüchtert feststellen, dass diese Inkompatibilität seitens der Soziologie bis heute nicht unter Kontrolle gebracht wurde. Ich habe in meinem Text "Die Beobachtung der Beobachtung 3.2 - Die Multifunktionalität der Kommunikation als Problem soziologischer Theoriebildung" unter Rekurs auf Thomas Szasz‘ Buch „Geisteskrankheit – ein moderner Mythos“ (2013) darauf hingewiesen, dass die Vorstellung einer kranken Gesellschaft als soziologischer Mythos betrachtet werden muss. Sie ist eine Schauergeschichte, mit der sich die sogenannten Gesellschaftskritiker selbst erschrecken und darauf hoffen, dass das auch bei anderen funktioniert. Die Gesellschaft hat sich gegen diese Krankheit dadurch immunisiert, dass die Soziologie heute überwiegend mit Nichtbeachtung bestraft wird. Soziologieintern wird dies als gesellschaftlicher Relevanzverlust registriert. Reagiert wird darauf jedoch nur mit immer schlimmeren Schauergeschichten, wie krank die Gesellschaft doch sei. Durch diesen Selbstüberbietungsmodus gewinnen solche Gesellschaftsbeschreibungen aber allenfalls noch, wenn überhaupt, massenmediale Relevanz. Sie dienen nur noch der Konfliktaufwertung (vgl. Luhmann 1984, S. 536). Wenn man sich mal versucht die Frage zu beantworten, welche Idealvorstellungen zugrunde liegen müssen, um derartige Beschreibungen des Ist-Zustands zu formulieren, merkt man, wie welt- und lebensfremd diese Idealvorstellungen bzw. Utopien zumeist sind. Teil des Problems ist ein nach wie vor weit verbreiteter Utopien-Fetischismus, der schon längst jegliche soziale Funktion verloren hat und nur noch einem psychischen Eskapismus dient. Umso größer ist dann natürlich der Schock, wenn man seine Aufmerksamkeit doch mal wieder auf die soziale Realität richtet. Außerdem verhindert das Festhalten an unrealistischen Utopien, dass man sich ernsthaft mit realisierbaren Lösungen auseinandersetzt. Mit halben Sachen oder Kompromissen kann man sich nicht zufrieden geben. Utopien liefern gute Gründe auf einem radikalen Nein zu bestehen.

Donnerstag, 5. Juni 2014

Über Protest, Moral und demokratische Kultur



Im Folgenden möchte ich auf ein Problem öffentlicher Diskussionen eingehen, dass sich vor allem in demokratisch verfassten politischen Systemen stellt. Öffentlichkeit ist, wie immer wieder betont wird, ein konstitutiver Bestandteil von demokratisch verfassten politischen Systemen. Inzwischen spricht man auch häufig von Transparenz. Öffentlichkeit und Transparenz werden heute gerne als Werte an sich verkauft. Unklar bleibt aber zumeist in welcher Beziehung Öffentlichkeit und Demokratie eigentlich zueinander stehen. Zuletzt zeigte sich dies in der Diskussion um die NSA-Überwachung. Die Überwachung wurde als Gefährdung der Demokratie betrachtet. Dabei parasitiert die NSA nur an einem technischen Verbreitungsmedium, dass es überhaupt erst ermöglicht eine globale Öffentlichkeit herzustellen. So fragte man sich bei vielen NSA-kritischen Beiträgen, denen als Lösung nicht viel mehr einfiel als das Internet selbst zu verteufeln, was die Aufregung eigentlich soll? Öffentlichkeit stellt Beobachtbarkeit von Themen und Personen her und der Beobachter weiß wer wofür steht. Man könnte also vermuten, dass das Internet in dieser Hinsicht die größte technische Errungenschaft zur Demokratisierung der Weltgesellschaft seit dem Buchdruck ist. Nicht ohne Grund wollen Machthaber in Diktaturen oder gelenkten Demokratien Plattformen wie youtube, Twitter oder Facebook verbieten. Sie gefährden den mühsam gepflegten Anschein der Alternativlosigkeit bzw. der Zwangsläufigkeit des eigenen politischen Programms. Das Internet als technisches Verbreitungsmedium erzeugt dagegen Kontingenz und fördert dadurch den für Demokratien notwendigen Wettkampf der Ideen. Dieser öffentlich inszenierte Wettkampf der Ideen ersetzt den gewaltsamen Kampf mit Waffen und ermöglicht so einen gewaltlosen Wechsel der Regierung. Autokraten sind jedoch in der Illusion der eigenen Alternativlosigkeit gefangen, in der ein Wechsel der Regierung nicht vorgesehen ist. Entsprechend bedrohlich muss daher ein Verbreitungsmedium, wie das Internet wirken. Es stellt den unkontrollierten Informationsumschlag [1] sicher und es können Alternativen entdeckt werden, die Autokraten konsequenterweise als Bedrohung ihrer Machtposition wahrnehmen müssen.

Samstag, 25. Januar 2014

Über Liebe, unfähige Männer und Feminismus*



Vor einiger Zeit hatte ich an anderer Stelle einige Gedanken zum Thema Liebe als sozialem Phänomen veröffentlicht. Ich spitzte sie damals auf folgende These zu: "Die Kunst des Liebens besteht also darin, miteinander zu reden obwohl man schweigen könnte." Das Reden würde in einer Beziehung dazu dienen, sich darüber zu vergewissern, ob das Schweigen weiterhin berechtigt wäre. Mit anderen Worten, Liebe lebt von der Abweichung vom Erwartbaren und wird gerade dadurch am Leben erhalten. In einer Ergänzung wies ich dann darauf hin, dass man wahrscheinlich auch die Romantriologie "Shades Of Grey" und Eva Illouz' Essay "Die neue Liebesordnung. Frauen, Männer und Shades Of Grey" in diesem Kontext lesen könnte, denn die im Roman beschriebenen SM-Praktiken können als solch eine Abweichung vom Erwartbaren betrachtet werden. SM-Praktiken erscheinen bei einer oberflächlichen Betrachtung ja nicht gerade als ein Ausdruck von Liebe.

Samstag, 11. Januar 2014

Für eine Ökologie des Geistes!

Hiermit möchte ich, der Beobachter der Moderne, einen neuen Blog vorstellen. Ich habe beschlossen einige meiner Facebook-Aktivitäten auf einen separaten Blog auszulagern. Wer mich auf Facebook geliked hat, wird schon seit längerem bemerkt haben, dass ich dort immer wieder etwas längere Beiträge gepostet hatte, die eigentlich in ein Blog-Format gehören. Die Beiträge waren weniger theoretisch und distanziert wie mein Hauptblog, sondern impressionistisch und subjektiv. D. h. sie waren engagierter und provokativer als der Hauptblog, da ich Themen angesprochen habe, die mich aktuell bewegen. Dieser Stil soll nun an dieser Stelle fortgesetzt werden. Desweiteren sollen auch gewisse im Hauptblog vorgestellte oder noch vorzustellenden Theoriefiguren griffiger erläutert werden. Gelegentlich werde ich auch versuchen mit anderen Theorien als nur der Systemtheorie Luhmann'scher Prägung zu beobachten. Insgesamt haben die Beiträge einen experimentellen und vorläufigen Charakter. Es werden Ideen und Argumente angetestet. Dieser Blog soll damit eine Art flankierendes Versuchslabor zu meinem Hauptblog sein.