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Samstag, 1. Oktober 2016

Der soziale Abstieg der deutschen Sozialwissenschaften. Eine Provokation


Wie er meinem Lebenslauf entnehmen könne, sei ich bereits vollständig in das akademische Leben eingegliedert, werbe immer wieder erfolgreich Forschungsgelder ein, habe lange an verschiedenen Hochschulen unterrichtet, publiziere regelmäßig, halte international Vorträge, arbeite an einem Buch, organisiere aktuell eine internationale Konferenz. Nur eben immer wieder ohne einen Cent Gehalt. 


Die Sozial- und Geisteswissenschaften in Deutschland stecken nicht erst seit gestern in der Krise. Sie siechen schon seit vielen Jahren in der gesellschaftlichen Irrelevanz vor sich hin. Dies betrifft Theorieentwicklung und Forschungspraxis, die es kaum noch vermögen eine nennenswerte Außenwirkung zu erzielen. Für eine Wissenschaft, die die Expertise für zwischenmenschliche Beziehungen für sich an Anspruch nimmt, ist das ziemlich merkwürdig, dass sie den Menschen nicht mal mehr erklären kann, warum man sie überhaupt noch braucht. Nicht dass sie überflüssig wäre. Aber auch das vermeintlich Notwendige sollte begründet werden, um akzeptiert zu werden. Nichts ist mehr gott- oder naturgegeben, nichts ist mehr selbstverständlich. Das wird gerade von Sozial- und Geisteswissenschaftlern immer wieder betont. Leider wird das sofort vergessen, sobald es um sie selbst geht. Viele von ihnen halten ihr Fach für eine unhinterfragte Selbstverständlichkeit. Wer jedoch nicht um Akzeptanz wirbt, darf auch keine erwarten. Wer es unterlässt, seine Behauptungen zu begründen, weiß es entweder nicht besser oder hat etwas zu verbergen. Manchmal fällt auch beides zusammen. Dass es unterlassen wird, stärker für die öffentliche Aufmerksamkeit und Akzeptanz der Sozial- und Geisteswissenschaften zu werben, liegt möglicherweise daran, dass man verbergen muss, dass man nicht weiß, wie das geht.

Trotz dieses Legitimationsproblems wird an den deutschen Universitäten eine relativ hohe Zahl an Sozial- und Geisteswissenschaftlern ausgebildet. Nur ein Bruchteil wird aufgrund der wenigen Stellen seine Karriere in Forschung und Lehre fortsetzen können. Wo der große Rest auf dem Arbeitsmarkt unterkommen soll, interessiert niemanden. Im Lehr- und Forschungsbetrieb wird diese Frage so gut wie nicht gestellt. Da wird höchstens mal auf die allgemein niedrige Arbeitslosenquote unter Akademikern verwiesen. Demnach braucht man sich also keine Sorgen machen. Darüber hinaus beruhigen sich nicht wenige mit der Erwartung, dass die Sozial- und Geisteswissenschaften nur noch den Nachwuchs für den deutschen Staatsbetrieb »Universität« ausbilden sollen. Viele Studenten und akademische Mitarbeiter halten das schon für ein ungeschriebenes Naturgesetz. Auch wenn dem nicht so ist, sind die Karriereerwartungen derzeit sehr eindimensional ausgerichtet. Im Anbetracht der wenigen Stellen im Universitätsbetrieb bietet das eigentlich genug Anlass zur Sorge.

Politisch gewollt wird ein Überangebot an mehr oder weniger gut qualifizierten Arbeitskräften geschaffen. Im Sinne der Erhöhung des Bildungsniveaus und Angleichung der Partizipationschancen mag man das zunächst begrüßen. Das hat jedoch auch seine Schattenseiten. Denn das Arbeitskräfteüberangebot erhöht den Konkurrenzdruck auf jeden einzelnen Absolventen. Wenn darüber hinaus alle dasselbe können, dann spielt die persönliche Leistung bei der Auswahl eines Bewerbers keine Rolle mehr, denn alle liefern dasselbe ab. Damit trotzdem eine Entscheidung für einen Bewerber getroffen werden kann, muss man sich stattdessen an sachfremden Kriterien orientieren. Gerecht ist das nicht. Chancengleichheit, bis zur letzten Konsequenz durchgespielt, führt also gar nicht zu mehr Gerechtigkeit, sondern erhöht sogar noch die Ungerechtigkeiten. Am Beispiel der Universität als Arbeitgeber zeigt sich diese Dialektik der Chancengleichheit derzeit sehr deutlich. Steht dem Überangebot an Arbeitskräften dann noch nicht einmal eine entsprechende Nachfrage durch offene Arbeitsstellen gegenüber, muss man kein Prophet sein und auch keine groß angelegten Untersuchungen durchführen, um zu ahnen, dass sich ein Großteil der Studenten direkt in die Arbeitslosigkeit qualifiziert. Wenn die beruflichen Perspektiven außerhalb der Wissenschaft fehlen, dann wird durch den Arbeitskräfteüberschuss das akademische Prekariat erst geschaffen, das heute so häufig beklagt wird

In letzter Zeit konnte man einige Erfahrungsberichte von Betroffenen lesen, die mit der unangenehmen Erkenntnis konfrontiert wurden, dass das, was sie im Studium und in ihrer weiteren akademischen Karriere gelernt haben, außerhalb der Universitäten und Forschungsinstitute kaum etwas wert ist. Besonders bitter ist diese Erkenntnis, wenn sie sich erst nach der Promotion einstellt, da an diesem Punkt der Karriere bereits so viel Lebenszeit und persönliches Engagement investiert wurde, dass man nicht einfach neu anfangen kann. Liest man jedoch diese Erfahrungsberichte, kann man den Eindruck gewinnen, dass vielen akademischen Mitarbeitern früher oder später trotzdem nichts anderes übrig bleiben wird.

Samstag, 21. Mai 2016

Negativsprache oder Formkalkül?


Negationen haben bis heute etwas Rätselhaftes an sich. Durch eine Negation wird Etwas in Nichts verwandelt: aus »p« wird »~p«. Aber was bedeutet dieses »nicht-p«? Offenbar soll damit auf etwas anderes verwiesen werden als auf »p«. Aber was genau? Unter »~p« kann man sich nichts vorstellen. Negative Formulierungen lassen sich generell nicht visualisieren. Bei Negationen versagt die Vorstellungskraft. Im Versuch es trotzdem zu tun, wird man zudem mit einer Paradoxie konfrontiert. Gerade wenn man versucht »p« zu negieren, wird man von »p« verfolgt, denn auch mit der Formulierung, die durch eine Negation erzeugt wird, muss man sich auf »p« beziehen. So stellt sich die Frage, was dem Negierten durch die Negation hinzugefügt wird? Schon Ludwig Wittgenstein notierte dazu: 

»Daß aber die Zeichen ›p‹ und ›~p‹ das gleiche sagen können, ist wichtig. Denn es zeigt, dass dem Zeichen ›~‹ in der Wirklichkeit nichts entspricht.« (2003 [1918], S. 36; Hervorhebung im Original)

In meinem Text »Die Regeln der Form« (Walkow 2016) habe ich mich ausführlich mit dem Umgang mit Negationen und Negativität auseinandergesetzt. Es war zugleich eine Auseinandersetzung mit den Schriften zweier Autoren, die sich ebenfalls mit diesem Thema beschäftigt haben. Das waren zum einen George Spencer-Brown und zum anderen Gotthard Günther. Beide haben ebenfalls nach Lösungen für den Umgang mit Nichts gesucht. Spencer-Brown stellte in seinem Buch »Gesetze der Form« (1999 [1969]) einen Formkalkül vor, mit dem es möglich ist, jeden Ausdruck darauf hin zu untersuchen, welche Informationen mitgeteilt werden. Gotthard Günther entwickelte die Idee einer Negativsprache (vgl. 2000 [1979]). Sie blieb allerdings nur eine Idee. Günther ist es nicht gelungen eine Sprache zu entwickeln, mit der es möglich ist die Rolle der zweiten Negation, die G. W. F. Hegel als Akkretion bezeichnete, bei der Evolution von Sprache und Sinn zu beschreiben.

Schon in »Die Regeln der Form« habe ich mich gegen die Negativsprache ausgesprochen. Der Text hatte zum Ziel eine eigene Theorie über Negativität zu entwerfen. Es war kein expliziter Vergleich des Formkalküls mit der Negativsprache. Das möchte ich an dieser Stelle in aller Kürze nachholen. Ich werde mich nur auf den aus meiner Sicht wesentlichen Gesichtspunkt konzentrieren: die Unterscheidung von einfacher Negation und akkretiver Negation. Im Zuge dessen wird auch noch einmal der Leitgedanke von »Die Regeln der Form« deutlich.

Montag, 9. März 2015

Die Dummheit der Soziologen


„Wenn man etwas nicht definieren kann, hat man keine formale, rationale Kenntnis von seiner Existenz. Ebensowenig kann man dann einem anderen wirklich mitteilen, was es ist. Es besteht tatsächlich kein formaler Unterschied zwischen der Unfähigkeit zu definieren und Dummheit.“
Robert M. Pirsig

Dieses Zitat aus Pirsigs sehr empfehlenswertem Buch »Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten« (2013 [1974], S. 217f.) bringt für mich am besten zum Ausdruck, was Ludwig Wittgenstein vermutlich mit seinem berühmten Schlussparagraphen im »Tractatus logico-philosophicus« (2003 [1922]) sagen wollte. Dieser lautet:

„§ 7 Wovon man nicht reden kann, davon muss man schweigen.“

Worüber man nicht reden kann, existiert nur in der eigenen Wahrnehmung oder der eigenen Vorstellung. Das Wahrgenommene bleibt ohne Sprache inkommunikabel. Die große Errungenschaft der Sprache besteht darin, dass man nicht nur seine eigene Aufmerksamkeit auf einen Sachverhalt lenken kann, sondern auch die der Kommunikationspartner. Ohne Sprache kann man im Umkehrschluss seine Kommunikationspartner auch nicht auf einen bestimmten Sachverhalt aufmerksam machen, den man selber wahrzunehmen glaubt. Sozial existiert dieser Sachverhalt damit nicht, weil es nichts Mitteilbares gibt, woran der Kommunikationspartner anschließen könnte. Zugleich wird man nie erfahren, ob es sich bei dem Wahrgenommenen nicht vielleicht nur um eine Einbildung handelt oder ob es andere auch beobachten.

Donnerstag, 3. Juli 2014

Eugene Goostman – systemtheoretisch beobachtet



Das Ereignis

Am 07. Juni 2014 erregte die Meldung Aufmerksamkeit, dass es einem Computerprogramm gelungen sei den Turing-Test zu bestehen. Der Turing-Test wurde von dem britischen Mathematiker Alan Turing entworfen, um festzustellen, ob das getestete Programm eine dem Menschen vergleichbare Intelligenz hat. Besteht eine Maschine oder ein Computerprogramm den Turing-Test, wäre, so die Theorie, der Beweis erbracht, dass es gelungen ist eine künstliche Intelligenz zu entwickeln. Dass diese Meldung überhaupt massenmediale Resonanz fand, lag wohl an dieser Implikation des Turing-Tests, welche das Ereignis als bahnbrechend erscheinen lässt. Da ich hier nur knapp einen Monat vorher einen Beitrag veröffentlicht hatte, in dem ich die Entwicklung einer künstlichen Intelligenz im Sinne eines künstlichen Bewusstseins als mehr oder weniger unmöglich beschrieben hatte, soll an dieser Stelle betrachtet werden, wie sich dieses Ereignis im damals eröffneten theoretischen Kontext darstellt.

Sonntag, 4. Mai 2014

Künstliche Intelligenz aus soziologischer Sicht



Im Schatten der Zukunft 

Dieser Beitrag wird sich nicht, wie die früheren Beiträge, mit einer bestimmten Form interpersoneller Wahrnehmung beschäftigen. Trotzdem steht das Thema dieses Beitrags in einer unmittelbaren Beziehung zu den Formen interpersoneller Wahrnehmung. Sollte das, worum es in diesem Beitrag geht, jemals realisiert werden, wird diese technische Innovation auch nachhaltige Auswirkungen auf die Formen interpersoneller Wahrnehmung haben. Die Rede ist von Künstlicher Intelligenz. Um sich klar zumachen, um was für einen großen Schritt es sich handelt, wenn eine derartige technische Leistung realisiert werden würde, möchte ich auch von der Erschaffung von Leben auf einer anorganischen Basis ohne einen eigenen Reproduktionszyklus sprechen. Warum ich von Leben spreche, wird im weiteren Verlauf des Textes deutlicher werden.